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OLG München Urteil vom 15.03.2017 - Az.: 3 U 3561/16 - Widerrufsrecht bei einem Küchenkauf auf einer Messe

OLG München v. 15.03.2017: Zum Widerrufsrecht bei einem auf einer Messe geschlossenen Kaufvertrag


Das OLG München (Urteil vom 15.03.2017 - Az.: 3 U 3561/16) hat entschieden:

   Ob einem Verbraucher bei einem auf einer Messe gekauften Küche ein Widerrufsrecht zusteht oder nicht, hängt davon ab, ob e sich bei dem Messestand um einen „beweglichen“ Geschäftsraum im Sinne des § 312b BGB handelt und ob sich der ´Verbraucher in einer Überrumpelungssituation befunden hat.




Siehe auch Fernabsatzgeschäfte - Vertragsabschluss durch Einsatz von Fernkommunikationsmitteln und Stichwörter zum Thema Widerrufsrecht


Tatbestand:


Der Kläger will im Wege der Feststellungsklage die Wirksamkeit eines von ihm erklärten Widerrufs hinsichtlich eines von ihm mit der Beklagten abgeschlossenen Vertrages bestätigt erhalten. Er hat am 20.4.2015 auf der alle zwei Jahre in R. stattfindenden „Messe R.“ mit der Beklagten an einem von dieser betriebenen Messestand einen Kaufvertrag über eine Einbauküche abgeschlossen. Noch am selben Tag hat der Kläger diesen Vertrag widerrufen (K 2).

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, insbesondere zu den Einzelheiten des Zustandekommens des Vertrages und den Modalitäten der Messe, hinsichtlich des beiderseitigen Parteivortrags, der jeweils vorgetragenen Rechtsstandpunkte und der vom Landgericht für maßgeblich erachteten Gesichtspunkte wird auf das angefochtene, die Klage abweisende Endurteil des LG Traunstein Bezug genommen.

Der Kläger verfolgt seinen Feststellungsantrag im Wege der Berufung fort. Er macht geltend, entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der Vertragsabschluss hier außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne von § 312 b Abs. 2 BGB erfolgt, weswegen er zum Widerruf des Vertrages berechtigt und der von ihm erklärte Widerruf daher wirksam sei. Entgegen der Auffassung des Landgerichts handele es sich bei der Messe R. um keine reine Verkaufsmesse, sondern primär um eine Informationsveranstaltung, wobei zwar mit der Veräußerung kleinerer Utensilien gerechnet werden möge, nicht aber mit dem Abschluss von Verträgen über namhafte Summen. Hinsichtlich letzterer liege aus Sicht des Verbrauchers eine Überrumpelungssituation vor, vor der der neu geschaffene § 312 b BGB den Verbraucher schützen wolle. Die Beklagte, die unstreitig erstmals auf der Messe Rosenheim mit einem Stand vertreten war, habe ihre Tätigkeit im Sinne von § 312 b Abs. 2 Satz 1 BGB dort entsprechend auch nicht „für gewöhnlich“ ausgeübt. Der Kläger habe mit seiner Frau zusammen ohne Kaufabsicht die Messe besucht. Dem eigentlichen Vertragsschluss seien auch nur sehr oberflächliche Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten am vorgesehenen Aufstellort der Küche vorausgegangen. Stattdessen habe der Verkäufer die Ehefrau des Klägers umschmeichelt und den Kläger mit einer Flasche Sekt und einem kostenlosen Topfset „geködert“. Der Vertragstext, der so gut wie keine Spezifikationen bezüglich der Küche enthält, belege, dass es der Beklagten nur um einen schnellen und den Vertragspartner überraschenden Vertragsabschluss gegangen sei.

Der Kläger beantragt:

  I.  Das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 25.07.2016 zum Aktenzeichen 7 O 2383/15 wird aufgehoben.

  II.  Es wird festgestellt, dass die auf den Abschluss des Kaufvertrages vom 20.4.2015 gerichtete Willenserklärung des Klägers und Berufungsklägers von diesem wirksam widerrufen wurde und der Beklagten und Berufungsbeklagten aufgrund des Widerrufs keine Ansprüche mehr aus dem Kaufvertrag vom 20.04.2015 gegen den Kläger und Berufungskläger zustehen.

  III.  Die Beklagte und Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits für beide Instanzen.

Die Beklagte beantragt,

   die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Ersturteil. Dass eine Feinplanung und ein Aufmaß-Termin noch notwendig seien, um die Einbauküche liefern zu können, ergebe sich schon aus dem Vertragstext. Die Küche solle dann individuell nach den Wünschen des Klägers unter Berücksichtigung von Heizkörpern, Fenstern, Türen, Raumgröße, Anschlüssen angepasst und eingebaut werden. Daraus ergebe sich für die Frage der Wirksamkeit des Vertrages nichts. Die Feststellungen des Landgerichts zum Charakter des Messe R. beruhten im Wesentlichen auf den Angaben des Zeugen K., aus der sich ergebe, dass bei dieser Veranstaltung der Verkauf im Vordergrund stehe. Dass die Beklagte tatsächlich auf dieser Messe erstmals vertreten sei, könne für die Frage der Anwendbarkeit des § 312 b BGB keine Rolle spielen, da eine Differenzierung zwischen erstmals bei einer Messe auftretenden Anbietern und den übrigen Anbietern ersichtlich nicht von der Gesetzesintention erfasst werde. Dass die Ehefrau des Klägers durch Schmeicheleien „bezirzt“ worden wäre, bestreitet die Beklagte. Eine Flasche Sekt und ein Topfset seien als Prämien bei solchen Vertragsabschlüssen üblich. Eine Überrumpelung könne schon deshalb nicht vorliegen, weil neben der Beklagten auch noch weitere Küchenanbieter auf der Messe vertreten gewesen seien. Dies hätte zudem auch die Möglichkeit des Preisvergleichs eröffnet. Dem Vertragsabschluss sei eine normale Vertragsanbahnung vorausgegangen. Das gegenteilige Vorbringen der Klägerin sei unsubstantiiert.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze vom 26.10.2016 (Berufungsbegründung; Bl. 96/105) und vom 23.1.2017 (Berufungserwiderung; Bl. 111/121) Bezug genommen. Der Senat hat am 01.02.2017 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 122/125) Bezug genommen. Mit Zustimmung der Parteien wurde für den zwischenzeitlich eingetretenen Fall des Widerrufs des damals geschlossenen Vergleichs das schriftliche Verfahren angeordnet und als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung gleich steht, der 8.3.2017 bestimmt.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet.

Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Willenserklärung des Klägers, mit der er den streitgegenständlichen Kaufvertrag mit der Beklagten abgeschlossen hat, liegen nicht vor (Dazu unter A). Auch sind keine anderen Gründe ersichtlich, die die Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages begründen würden (Dazu unter B).

A)

Zur Frage der Widerrufbarkeit der Willenserklärung des Klägers vom 20.4.2015 auf Abschluss eines Kaufvertrages

1) Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 BGB sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat, sofern dem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht im Sinne von § 355 BGB eingeräumt wurde.

2) Unstreitig und offenkundig ist der Kläger Verbraucher im Sinne von § 13 BGB. Ebenso unstreitig und offenkundig ist die Beklagte Unternehmerin im Sinne von § 14 Abs. 1 BGB. Unstreitig und offenkundig wahrt die Erklärung des Klägers vom 20.4.2015 (K 2) auch die Vorgaben des § 355 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BGB sowie die Frist nach § 355 Abs. 2 BGB.

3) Allerdings vermag der Senat nicht zu erkennen, dass dem Kläger hier durch Gesetz ein Widerrufsrecht eingeräumt wurde. Gemäß § 312 g Abs. 1 1. Alternative BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zwar ein Widerrufsrecht zu.

3.1) Der Kaufvertrag bzw. Werklieferungsvertrag bezüglich einer Einbauküche begründet hier auch keinen Ausnahmetatbestand nach § 312 g Abs. 2 BGB, wobei insoweit allein § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB in Betracht kommen könnte. Zwar setzt der Einbau der Küche nach den vertraglichen Bestimmungen und wohl auch der Natur der Sache die Berücksichtigung der Wünsche des Klägers sowie der Lage der Heizkörper, Fenster und Türen sowie der Raumgröße und der Lage der Anschlüsse voraus. Angesichts der ausweislich des Kaufvertragsformulars der Beklagten (K1) grundsätzlich vorgesehenen Preisbestimmung „per lfd. M. Euro 1.199“ steht für den Senat aber außer Zweifel, dass die von der Beklagten geschuldeten Leistungen mit vorgefertigten Bauelementen erbracht werden sollten und deren konkreter Zuschnitt für sich genommen hier den Charakter der Leistung nicht im Sinne von § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB bestimmend prägt. Wollte man dies anders sehen, so wäre die Berufung schon aus diesem Grund erfolglos.

3.2) Der Senat ist in Übereinstimmung mit den von den Parteien und im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsauffassungen der Überzeugung, dass im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, ob der streitgegenständliche Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen wurde. Dies ist nach Auffassung des Senats indes zu verneinen.

Gemäß § 312 b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist von einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag dann auszugehen, wenn bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers der Vertrag an einem Ort geschlossen wird, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist, wobei gemäß § 312 b Abs. 1 Satz 2 BGB dem Unternehmer die Person gleichsteht, die in seinem Namen oder in seinem Auftrag handelt. Diese Voraussetzungen würden ersichtlich dann vorliegen, wenn der von der Beklagten betriebene Messestand auf der Messe R. kein Geschäftsraum der Beklagten wäre.

Von einem Geschäftsraum ist gemäß § 312 b Abs. 2 Satz 1 BGB immer auszugehen bei unbeweglichen Geschäftsräumen, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, was bei einem Messestand ersichtlich nicht der Fall ist. Von einem Geschäftsraum kann aber auch dann auszugehen sein, wenn dieser beweglich ist und der Unternehmer seine Tätigkeit dort für gewöhnlich ausübt. Dass auch die Räume Geschäftsräume sind, in denen nicht der Unternehmer selbst, sondern Personen in seinem Namen oder seinem Auftrag handeln, ergibt sich aus § 312 b Abs. 2 Satz 2 BGB unmittelbar.



3.2.1) Der Senat stellt zunächst fest, dass der Begriff „beweglich“ in Bezug auf die Geschäftsräume nicht physikalisch zu verstehen sein wird und auch nicht mit dem baurechtlichen Begriff der fliegenden Bauten gleichzusetzen ist. Dass der Verbraucherschutz davon abhängig sein sollte, wie die bauliche Ausgestaltung eines vorübergehend betriebenen Geschäftslokals erfolgt ist, macht nach der Intention des Gesetzes ersichtlich keinen Sinn. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob der „bewegliche“ Geschäftsraum nur für eine vorübergehende Zeit betrieben wird. Entsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob ein „Raum“ im physikalischen oder bautechnischen Sinne anzunehmen ist. Grundsätzlich kann ein „beweglicher Geschäftsraum“ daher auch unter freiem Himmel betrieben werden, wenn die übrigen Voraussetzungen hierfür gegeben sind (unklar Grüneberg in Palandt, BGB, 75. Auflage, § 312 b Rn. 2, der der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen oder Plätze von vornherein als Geschäftsräume ausgeschlossen wissen will und im Übrigen auf die zu § 90 BGB erarbeiteten Definitionen verweist, andererseits aber Marktstände als Geschäftsräume anerkennt).

Ausgehend von diesem Vorverständnis der Begrifflichkeiten ist ein Messestand grundsätzlich geeignet, ein beweglicher Geschäftsraum zu sein. Das wird von der Berufung auch nicht in Zweifel gezogen und entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers, der mit der Schaffung des § 312 b BGB Art. 2 Nr. 8 und Nr. 9 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 umsetzen wollte. In dieser Richtlinie werden in Erwägungsgrund 22 ausdrücklich Messestände als mögliche bewegliche Geschäftsräume bezeichnet. Hierauf wurde schon vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend hingewiesen.

3.2.2) Entscheidend ist in begrifflicher Hinsicht folglich zunächst, ob dieser Messestand der Ort ist, an dem die Beklagte ihre Tätigkeit „für gewöhnlich“ ausübt. Wie vom Landgericht zutreffend herausgearbeitet, würde zwar der Wortlaut des Gesetzes nahe legen, „für gewöhnlich“ in zeitlicher Hinsicht zu interpretieren, wofür der Gegensatz zu „dauerhaft“ (nicht „ständig“) bezogen auf unbewegliche Geschäftsräume sprechen würde (so wohl Grüneberg a. a. O.., der „sporadisch“ als nicht ausreichend für die Annahme eines beweglichen Geschäftsraums ansieht). Eine solche Lesart des Gesetzes würde zu rechtspolitisch kaum gewollten Zufallsergebnissen und den vom Kläger in erster Instanz monierten Wertungswidersprüchen führen. Nach dieser Logik wäre der Umstand, dass die Beklagte erstmals auf der alle zwei Jahre stattfindenden Messe R. mit einem Messestand vertreten war, maßgeblich dafür, dass den von ihr dort gewonnenen Kunden ein Widerrufsrecht zusteht, während andere Anbieter, die schon öfter auf derselben Messe mit einem Stand vertreten waren, ein solches Widerrufsrecht nicht gegen sich gelten lassen müssten. Auch würde diese Lesart implizieren, dass regionale Anbieter, die nur auf der Messe R. und nicht auf weiteren Messen ihre Leistungen anbieten, grundsätzlich, weil dann nur sporadisch auftretend, das Widerrufsrecht gegen sich gelten lassen müssten, während Anbieter, die sich auf die Vermarktung ihrer Leistungen auf Messen spezialisiert haben und - wie wohl auch die Beklagte - über entsprechende Marketing-Strategien (Sekt, Topfset, Preisgestaltung per laufendem Meter nebst Pauschalangebot etc.) verfügen, das Widerrufsrecht nicht gegen sich gelten lassen müssten. Diese Erwägung zeigt, dass eine rein zeitliche Betrachtung weder die vom Gesetzgeber mit § 312 b Abs. 2 BGB verfolgte Intention noch den eigentlich gewollten Verbraucherschutz sinnvoll gewährleisten kann.

Für die Bestimmung des Bedeutungsgehalts des Begriffs „für gewöhnlich“ in § 312 b Abs. 2 Satz 1 BGB ist daher allein auf den Schutzzweck des in § 312 g Abs. 1 BGB i. V. m. § 312 b BGB normierten Widerrufsrechts abzustellen. Wie vom Landgericht zutreffend dargestellt, besteht dieser ausweislich des Erwägungsgrundes 21 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 darin, den Verbraucher vor dem möglicherweise bestehenden psychischen Druck, der außerhalb von Geschäftsräumen besteht, bzw. dem Überraschungsmoment zu schützen, wobei die Frage, ob der Verbraucher von sich aus den Besuch beim Unternehmer herbeigeführt hat oder dieser auf ihn zukam, gerade keine Rolle spielen soll. Die Bundesregierung hat in der Begründung des Gesetzesentwurfs (BR-Drucksache 817/12 Seite 80 = BT-Drucksache 17/2637 S. 50) darauf hingewiesen, dass die gewöhnliche Tätigkeit des Unternehmers dessen Auftreten auf Märkten oder Messeständen umfassen solle, weil der Verbraucher durch die Bestimmungen vor übereilten Entschlüssen bewahrt werden soll, insbesondere dann, der Verbraucher nicht mit dem Abschluss eines Vertrages über bestimmte Waren rechnen muss. Bei Wochenmärkten und dem dort typischen Warenangebot bestehe daher keine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, auf Messen in Bezug auf fachfremde oder mit dem Thema der Messe bzw. der Ausstellung nicht in Zusammenhang stehende Waren aber schon.



Maßgeblich ist daher, ob von einer Überrumpelung des Verbrauchers ausgegangen werden kann oder ob der Verbraucher mit entsprechenden Angeboten rechnen musste. In letzterem Fall wäre der Betrieb des beweglichen Geschäftsraums „gewöhnlich“ im Sinne von § 312 B Abs. 2 Satz 2 BGB (so auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.6.2016, 4 U 217/15 = MDR 2016, 1321f).

3.2.3) Entsprechend ist nach Auffassung des Senats gerade nicht entscheidungserheblich, dass die Beklagte auf der Messe R. erstmals vertreten ist und es kommt auch nicht darauf an, ob die Beklagte auf weiteren Messen vertreten ist oder nicht. Vielmehr ist zum einen auf den Charakter der Messe abzustellen und zum andern auf das konkrete Angebot der Beklagten, das zum Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages geführt hat.

4) Gemessen hieran vermag der Senat eine Überrumpelungssituation nicht zu erkennen.

4.1) Entgegen der Darlegungen in der Berufungsbegründung stellt die Messe R. eine klassische Verkaufsmesse dar, auch wenn einzelne Aussteller ihren Messestand primär auf die Information der Messebesucher und nicht den unmittelbare Abschluss von Verträgen abgestellt haben mögen. Es mag zutreffen, dass die Messe R., zumal sie nicht den Umfang der in diesem Zusammenhang vom OLG Karlsruhe (a. a. O.) zu beurteilenden „Grünen Woche“ in Berlin hat, in 2,5 h abzugehen ist und der durchschnittliche Besucher dort 4 h verweilt. Zutreffend ist auch der Sachvortrag der Berufungsbegründung, wonach die Messe R. als „Schaufenster der Region“ beworben wird und sich auch so versteht. Zutreffend ist, dass die Messe Rosenheim weder in ihrer Gesamtheit noch in den einzelnen der 14 Ausstellungshallen ein besonderes Thema hat. Vielmehr werden die einzelnen Aussteller vom Veranstalter 19 verschiedenen Branchen zugeteilt, die in einem „bunten Mix“ über die einzelnen Ausstellungshallen verteilt werden. Daraus mag man mit der Berufungsbegründung durchaus den Schluss ziehen, dass der durchschnittliche Verbraucher diese Messe ohne konkrete Zielrichtung und ohne konkrete „Kaufabsicht“ aufsucht. Doch folgt aus diesen Umständen weder zwangsläufig noch auch nur nahe liegender Weise eine Überrumpelung des Verbrauchers durch solche Anbieter, die Verträge abschließen wollen. Dass an den einzelnen Messeständen nicht nur vergleichsweise geringwertige Waren erworben werden können wie etwa der von der Ehefrau des Klägers käuflich erstandene Fensterwischer, sondern auch höherwertige Vertragsabschlüsse offeriert werden, ergibt sich schon aus der Vielzahl der Anbieter, insbesondere auch mit auffallenden Warenangeboten wie etwa Whirlpools, Sauna-Kabinen, Kaminöfen, Baumaschinen, „ergonomischen Schlafsystemen“, Wasserbetten, Markisen etc. Dass der durchschnittliche Verbraucher, der sich mehrere Stunden auf der Messe aufhält, davon nichts mitbekommt und deshalb durch ein konkretes Angebot in dieser Hinsicht überrumpelt wird, vermag der Senat so nicht nachzuvollziehen. Richtig ist zwar, dass es eine Vielzahl anderer Aussteller gibt, die ihre Messestände primär oder ausschließlich zu Informationszwecken betreiben. Die Berufungsbegründung benennt insoweit zutreffend die Agentur für Arbeit, die AOK, den Arbeiter-Samariterbund, die TouristInformation A., die Kurverwaltung Bad E. und weitere. Richtig ist weiterhin, dass es gewerbliche Aussteller gibt, die zwar auf einen Vertragsabschluss mit Kunden angewiesen sind, jedoch nicht darauf setzen, schon am Messestand verbindliche Verträge abschließen zu können. Die Berufungsbegründung benennt insoweit Dachdecker, Zimmerer, Bauunternehmer, Pflasterer und Schreiner. Abgesehen gerade von letzteren leuchtet ein, dass deren Gewerbe auf Vertragsgestaltungen beruht, die nicht ad hoc auf Messeständen zustande kommen. Es trifft insoweit insbesondere zu, dass der Auftraggeber, Verbraucher wie Unternehmer in diesen Branchen üblicherweise Vergleichsangebote einholt und schon deshalb kein unmittelbarer Vertragsabschluss an einem Messestand zu erwarten ist. Aber auch in diesen Branchen ist die Gewährung von „Messepreisen“ nicht ausgeschlossen. Für Schreinereien trifft die Annahme der Berufungsbegründung, diese setzten auf Messeständen nicht auf die Erlangung verbindlicher Aufträge in dieser Allgemeinheit ohnehin nicht zu.



Aber auch das Vorhandensein solcher Aussteller, denen nicht am sofortigen Abschluss verbindlicher Verträge gelegen sein mag, vermag eine Überrumpelung im konkreten Fall der Messe R. nicht zu begründen. Nach der Aussage des Zeugen K., Geschäftsführer der die Messe R. veranstaltenden K. Ausstellungs GmbH, steht bei dieser Messe „der Verkauf“ im Vordergrund. Das ergibt sich so auch aus dem vom Landgericht im Einzelnen aufgelisteten Branchenverzeichnis und inzident auch aus dem von der bayerischen Wirtschaftsministerin zu verantwortenden Grußwort im Messemagazin, in dem sie allen Ausstellern „gute Geschäfte“ wünscht. Soweit die Berufungsbegründung moniert, der Zeuge K. habe vom Absatz von „Waren“ gesprochen, was begrifflich auf Einbauküchen nicht recht passe, kann der Senat den diesbezüglichen Denkansatz nicht verstehen. Der Zeuge K. war ersichtlich nicht um eine rechtliche, den Sprachgepflogenheiten des allgemeinen Schuldrechts verpflichtete Ausdrucksweise bemüht, sondern wollte das Anliegen der von ihm zu verantwortenden Messe darlegen. Dass seine Aussage zum gewünschten Warenabsatz sich nicht auch auf Einbauküchen bezog, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die von der Berufungsbegründung erhobenen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen vermag der Senat ebenfalls nicht zu teilen. Seine Aussage, bei den Automobilhändlern komme es in der Regel nicht zum unmittelbaren Vertragsabschluss, bei den übrigen Ausstellern aber schon, rechtfertigt weder inhaltlich noch formal Zweifel an ihrer Belastbarkeit. Wie vom Landgericht nachvollziehbar dargelegt, bestanden auch aufgrund des als ruhig und sachlich beschriebenen Aussageverhaltens keine Gründe, an dessen Angaben zu zweifeln.

4.2) Auch das konkrete Angebot der Beklagten auf Abschluss eines so bezeichneten Kaufvertrages über eine Einbauküche beinhaltet kein Überrumpelungsmoment. Zutreffend dürfte das AG Pinneberg (Urteil vom 11.1.2016; Az. 68 C 7/15; zitiert nach JURIS) entschieden haben, dass auf einer Reisemesse nicht mit dem Verkauf von hochwertigen Dampfstaubsaugern gerechnet werden muss, auch wenn diese theoretisch auch in einem Wohnmobil betrieben werden können und deshalb von einem im Sinne von § 312 b Abs. 2 BGB „ungewöhnlichen“ beweglichen Geschäftsraum auszugehen sei. Eine solche Konstellation liegt hier indes nicht vor. Die Messe Rosenheim ist keine Fachmesse, die ein bestimmtes Publikum anzieht, welches bestimmte Fachangebote erwartet. Wie das vom Landgericht referierte Branchenverzeichnis zeigt, ist das Angebot breit gefächert und beinhaltet alle möglichen Waren und Dienstleistungen. Dass auf einer solchen Messe auch Einbauküchen vermarktet werden, beinhaltet gegenüber dem durchschnittlichen Verbraucher gerade kein Überraschungsmoment.

5) Soweit der Kläger geltend macht, diese Sichtweise begründe im Bereich des Verbraucherschutzes Wertungswidersprüche, da der Handwerker, der bei einem Hausbesuch ordnungsgemäß das Aufmaß für die von ihm zu erbringende Leistung nehme und dann in der Wohnung des Kunden den Vertrag unterschreiben lasse, über ein Widerrufsrecht belehren müsse, Unternehmer wie die Beklagte an ihren Messeständen dagegen nicht, ist dem entgegenzuhalten, dass die ganze Argumentation schon im Hinblick auf die Bestimmungen des § 312 g Abs. 2 BGB, hier speziell § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB der geltenden Rechtslage nicht gerecht wird. Unabhängig davon wären Wertungswidersprüche im Bereich des Verbraucherschutzes von der Rechtsprechung grundsätzlich hinzunehmen, denn die verbraucherschützenden Normen beinhalten für sich genommen immer Durchbrechungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, worauf die Beklagte im Ansatz zutreffend hingewiesen hat, wenn sie sich auf den Grundsatz, wonach Verträge einzuhalten sind (pacta sunt servanda) beruft. Das besagt nicht, dass nicht in besonderen Konstellationen die Rechtsprechung nicht befugt wäre, eine verbraucherschützende Norm wie hier etwa § 312 g BGB analog auf vergleichbare, vom Wortlaut der Bestimmungen gerade nicht erfasste Konstellationen anzuwenden. Letztlich ergibt sich dies unmittelbar aus § 312 k Abs. 1 Satz 2 BGB. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall die Beklagte eine „Gestaltung“ gewählt hat, mit der § 312 g BGB umgangen werden sollte, sind jedoch nicht ersichtlich, zumal die von der Beklagten hier praktizierte Vermarktungsform auf Messen älter als die Bestimmung des § 312 b BGB bzw. die diesem zugrundeliegende Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011.



B)

Zu sonstigen Gründen für die Unwirksamkeit des Kaufvertrages

Unbeschadet des auf die Feststellung der Wirksamkeit des erklärten Widerrufs gerichteten Klageantrags hat der Senat geprüft, ob der von den Parteien abgeschlossene Vertrag aus anderen Gründen unwirksam bzw. nichtig sein könnte, da gegebenenfalls vom Senat gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 letzte Alternative ZPO auf das Erfordernis einer entsprechenden Antragsmodifizierung hätte hingewiesen werden müssen.

Zutreffend moniert die Berufungserwiderung insoweit zwar, dass in erster Instanz vom Kläger der konkrete Verkaufsvorgang nicht tiefergehend problematisiert worden ist. Es mag auf sich beruhen, ob der entsprechend in der Berufungsbegründung nunmehr konkretisierte Sachvortrag im Sinne von §§ 529, 531 ZPO in der Berufungsinstanz berücksichtigungsfähig ist oder nicht. Selbst wenn man unterstellt, dass der Verkäufer vor Vertragsabschluss die Ehefrau des Klägers „bezirzt“ hat, was auch immer man sich darunter vorstellen soll, vermag dies die Wirksamkeit der vom Kläger abgegebenen Willenserklärung ebenso wenig zu begründen wie die angesprochene Flasche Sekt und das als Dreingabe offerierte Topf-Set. § 312 g BGB ist insoweit von vornherein nicht tangiert, denn dieser stellt auf die Örtlichkeit des Vertragsabschlusses ab und nicht auf sonstige Marketing-Strategien. Grundsätzlich vermag der Konsum von Alkohol zwar geeignet sein, die Wirksamkeit einer danach abgegebenen Willenserklärung in Zweifel zu ziehen. Der diesbezügliche Sachvortrag des Klägers vermag aber ersichtlich Zweifel an seiner Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Willenserklärung nicht zu begründen. Dass der Konsum von Sekt zu einer aufgelockerten Stimmung beigetragen haben mag, die den Kläger in seiner Kritikfähigkeit einschränkte, mag vom Verkäufer der Beklagten durchaus mit einkalkuliert gewesen sein, stellt aber weder für sich genommen noch in Zusammenschau mit den Komplimenten der Ehefrau des Klägers gegenüber und der Darstellung der Dreingabe eines Topf-Sets einen Umstand dar, der für sich genommen den Vertrag als sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB einstufen lässt. Dafür fehlt zum einen schon Sachvortrag zum objektiven Wert der von der Beklagten versprochenen Leistung im Verhältnis zur vom Kläger versprochenen Kaufpreiszahlung. Zum andern sind diese nach Einschätzung des Senats durchaus messe-üblichen Verkauf-Strategien für sich genommen nicht anstößig, sondern entsprechen der Üblichkeit, ohne dass dies nach den grundlegenden Wertvorstellungen unserer Gesellschaft als anstößig betrachtet würde. Für Komplimente an die Ehefrau und das Anbieten einer Dreingabe gilt dies generell, für das Offerieren von Alkohol zumindest in dem hier vom Kläger vorgetragenen Maße.

C)

Kosten

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

D)

Vorläufige Vollstreckbarkeit

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

E)

Revisionszulassung

Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen ist, liegen vor. Wie schon vom OLG Karlsruhe (a. a. O..) ausgeführt, sind die Tatbestandsmerkmale des § 312 b Abs. 2 BGB obergerichtlich noch nicht geklärt. Hinzu kommt, dass der Senat - insoweit in Übereinstimmung mit dem OLG Karlsruhe und den dort zitierten Stimmen aus dem Schrifttum - die sehr neue Vorschrift des § 312 b Abs. 2 BGB zwar in Einklang mit den vom (Europäischen) Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Motiven für die Schaffung dieser Norm, aber sicher nicht wortlautnah auslegen musste, um das hier für zutreffend erachtete Ergebnis zu begründen.









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