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Oberlandesgericht Celle Urteil vom 24.07.2018 - 13 U 158/17 - Zur freiwilligen Teilnahme am Verbraucherschlichtungsverfahren

OLG Celle v. 24.07.2018: Zur freiwilligen Teilnahme am Verbraucherschlichtungsverfahren


Das Oberlandesgericht Celle (Urteil vom 24.07.2018 - 13 U 158/17) hat entschieden:

   Die „Bereiterklärung“ des Unternehmers i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG in Allgemeinen Geschäftsbedingungen führt nicht dazu, dass sich der Unternehmer zur Teilnahme am Verbraucherschlichtungsverfahren i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG verpflichtet hat und löst deshalb nicht die dort statuierten weitergehenden Informationspflichten aus.




Siehe auch
Alternative Streitbeilegung - außergerichtliche Schlichtung
und
Informationspflichten im Onlinehandel - Pflichtangaben


Gründe:


I.

Der klagende Dachverband der Verbraucherzentralen nimmt die Beklagte, die unter … einen Online-Shop betreibt, auf Unterlassung in Anspruch.

Die Beklagte verwendet für ihren Online-Shop Allgemeine Geschäftsbedingungen (Anlage K 1, Anlagenhefter Kläger), die in § 12 folgende Regelung enthalten:

   „§ 12 ODR Verordnung
Die EU hat ein Online Portal eingerichtet, um unzufriedenen Kunden zu helfen. Bei Beschwerden über Waren und Dienstleistungen, die Sie bei uns im Internet gekauft haben, können Sie unter folgender Adresse http:/… eine neutrale Streitbeilegungsstelle finden, um zu einer außergerichtlichen Lösung zu gelangen. Bitte beachten Sie, für einige Branchen und in einigen Ländern gibt es derzeit (Stand 01.02.2017) keine Streitbeilegungsstellen. Deshalb können Sie als Verbraucher dieses Portal möglicherweise nicht zur Beilegung von Streitigkeiten mit uns in diesen Ländern nutzen. Weitere Informationen finden Sie im Online Portal der EU. Zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle sind wir nicht verpflichtet. Dennoch sind wir zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle grundsätzlich bereit. Für weitere Fragen wenden Sie sich bitte an …“




Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Internetseite der Beklagten enthalten keine Informationen dazu, an welche Verbraucherschlichtungsstelle sich die Verbraucher wenden können. Insbesondere fehlen Informationen zur Anschrift und Webseite der zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle.

Der Kläger hat gemeint, dies verstoße gegen die Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG), die eine entsprechende Hinweispflicht enthalte. Deshalb hat der Kläger von der Beklagten nach vergeblicher vorgerichtlicher Abmahnung (Anlage K 2, Anlagenhefter Kläger) mit der Klage Unterlassung sowie die Erstattung vorgerichtlicher Kosten verlangt.

Die Beklagte hat sich gegen die Klage verteidigt und insbesondere eingewandt, die Hinweispflicht des § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG greife mangels bestehender Verpflichtung der Beklagten zur Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren nicht ein.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat der Einzelrichter ausgeführt, die von der Beklagten verwandte Bestimmung in den AGB verstoße nicht gegen § 36 VSBG, weil die Beklagte sich hiermit nicht zu der Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle verpflichtet, sondern lediglich ihre grundsätzliche Bereitschaft zu dieser Teilnahme erklärt habe. Durch den Wortlaut der Klausel bringe die Beklagte zum Ausdruck, dass sie sich eine Entscheidung im Einzelfall vorbehalte. Ein durchsetzbarer Anspruch des Verbrauchers ergebe sich hieraus nicht. Er bestehe auch nicht aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften. Gegen die Annahme einer Informationspflicht in der vorliegenden Konstellation spreche auch die Regelung des § 37 VSBG betreffend die Informationspflichten nach Entstehung einer Streitigkeit.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge auf Unterlassung und Zahlung weiterverfolgt. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, die Beklagte sei in § 12 ihrer AGB eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren eingegangen. Auch eine bloße Erklärung zur Bereitschaft begründe eine entsprechende - zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher wirkende - vertragliche Verpflichtung. Dies gelte jedenfalls vor dem Hintergrund des § 305c Abs. 2 BGB, wonach Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zulasten des Verwenders gehen. Danach sei die Regelung in den AGB der Beklagten dahingehend auszulegen, dass sich die Beklagte vertraglich zu einer Teilnahme an den Schlichtungsverfahren verpflichte, weil der durchschnittlich informierte und aufmerksame Verbraucher die Regelung nur in diesem Sinne verstehen könne. Die Beklagte sei hier also nach dem Verständnis der Verbraucher eine vertragliche Selbstverpflichtung eingegangen, aus der auch die Pflicht zur Angabe der Schlichtungsstelle nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG resultiere. Etwas anderes folge nicht aus § 37 VSBG. Die hiernach erbrachte Information könne die nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG geforderten nicht ersetzen. Vielmehr bestünden beide Informationspflichten nebeneinander und unabhängig voneinander. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 68 ff. d.A.) Bezug genommen.



Der Kläger beantragt,

   unter Abänderung des Urteils des Landgerichts die Beklagte zu verurteilen,
        1.  es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken an den Geschäftsführern, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern auf der Internetseite unter der Adresse www… Lebensmittel anzubieten oder anbieten zu lassen, ohne Angaben zur Anschrift und Webseite der zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle zu machen, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen folgende Regelung enthalten

   „Zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle sind wir nicht verpflichtet. Dennoch sind wir zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle grundsätzlich bereit.“


        2.  die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 214,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Eine (Selbst-)Verpflichtung der Beklagten zur Teilnahme am Schlichtungsverfahren sei nicht gegeben. Vielmehr habe die Beklagte durch die gewählte Formulierung klargestellt, dass sie keine vollumfängliche Ablehnung erteilen, aber auch keine vollumfängliche Selbstverpflichtung eingehen wolle. Insoweit sei - wie im VSBG angelegt - zwischen der „Verpflichtung“ und der „Bereitschaft“ zu differenzieren. Für letztere bestehe keine Hinweispflicht i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.




II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist nicht aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 12 UKlaG i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG begründet.

Zwar kommt § 36 VSBG nach den genannten Vorschriften des UKlaG der Rang eines Verbraucherschutzgesetzes zu, so dass der klagende Verbraucherschutzverband im Falle eines Verstoßes gegen die dort statuierten Informationspflichten Unterlassungsansprüche geltend machen kann. Die Beklagte hat jedoch nicht gegen § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG verstoßen, weil die Voraussetzungen für eine Hinweispflicht auf die zuständige Verbraucherschlichtungsstelle nicht vorliegen.

1. § 36 Abs. 1 VSBG lautet:

 (1)  Ein Unternehmer, der eine Webseite unterhält oder Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, hat den Verbraucher leicht zugänglich, klar und verständlich

        1.  in Kenntnis zu setzen davon, inwieweit er bereit ist oder verpflichtet ist, an Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle teilzunehmen, und

        2.  auf die zuständige Verbraucherschlichtungsstelle hinzuweisen, wenn sich der Unternehmer zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle verpflichtet hat oder wenn er auf Grund von Rechtsvorschriften zur Teilnahme verpflichtet ist; der Hinweis muss Angaben zu Anschrift und Webseite der Verbraucherschlichtungsstelle sowie eine Erklärung des Unternehmers, an einem Streitbeilegungsverfahren vor dieser Verbraucherschlichtungsstelle teilzunehmen, enthalten.
[Hervorhebungen durch den Senat]

Ausweislich der Gesetzesbegründung zum VSBG (BT-Drs. 18/5089, S. 75) trifft die allgemeine Informationspflicht nach § 36 VSBG

   „Unternehmer, die sich zur Teilnahme an Streitbeilegungsverfahren vor einer bestimmten Verbraucherschlichtungsstelle verpflichtet haben (zum Beispiel durch Mediations- bzw. Schlichtungsabreden oder aufgrund der Satzung des Trägervereins der Schlichtungsstelle, dem sie als Mitglied angehören), ... Gleiches gilt bei einer Teilnahmeverpflichtung, die sich aus Gesetz oder aufgrund Gesetzes ergibt.“

Voraussetzung für die vom Kläger behauptete Pflicht der Beklagten, Angaben zur Anschrift und Webseite der zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle zu machen, ist also nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG, dass die Beklagte entweder

   „auf Grund von Rechtsvorschriften zur Teilnahme verpflichtet ist“

- was hier unstreitig nicht der Fall ist - oder dass sie sich

   „zur Teilnahme an einem Streitbelegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle verpflichtet hat“.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt nicht aus der beanstandeten Formulierung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten

   „Zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle sind wir nicht verpflichtet. Dennoch sind wir zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle grundsätzlich bereit“,

dass sich die Beklagte zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren verpflichtet hat.

a) Aus § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG ergibt sich, dass die Übernahme einer solchen Verpflichtung zu unterscheiden ist von der bloßen Erklärung, ob und wenn ja inwieweit der Unternehmer zur Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren (freiwillig, d.h. ohne Verpflichtung) „bereit“ ist. Das Gesetz differenziert also zwischen der - auch vertraglich übernommenen - Verpflichtung des Unternehmers, die weitergehende Informationspflichten zur Folge hat, und der bloßen Erklärung der Bereitschaft, die in § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG keine Erwähnung findet.

b) Die Beklagte hat sich durch die Erklärung in ihren veröffentlichten AGB, dass sie zur Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren grundsätzlich bereit sei, noch nicht zur Teilnahme an diesem Verfahren vertraglich verpflichtet.

Die öffentliche Erklärung der Bereitschaft zur Teilnahme am Schlichtungsverfahren in Allgemeinen Geschäftsbedingungen könnte allenfalls eine zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher wirkende vertragliche Verpflichtung begründet, wenn sich zwischen ihnen ein Vertragsschluss anbahnt (so Roder in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, § 7 Rn. 26); es könnte sich also um ein Angebot auf Abschluss einer Schlichtungsabrede handeln, das der Verbraucher durch Einreichung des Schlichtungsantrags annehmen kann (so Greger, Das neue Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, MDR 2016, 365, 367; ders. in: Greger/Unberath/Steffek, Recht der alternativen Konfliktlösung, 2. Aufl. 2016 = Anlage 11 zur Berufungserwiderung, § 36 VSBG Rn. 13 f.). Ob diese Auffassung zutrifft, bedarf jedoch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, weil sich die Beklagte mit der Abgabe eines - unterstellten - bindenden Angebots ad incertam personam noch nicht bereits i.S.d. § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG „verpflichtet hat“ (so auch: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, § 36 Rn. 7, wonach ein Abschluss von Mediations- bzw. Schlichtungsabreden vor dem Geschäftsschluss erforderlich ist; vgl. auch Braun/Weiser in: Althammer/Weller-Hannich, VSBG, § 36 Rn. 41, wonach die Angabe der zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle bei der bloßen Bereiterklärung nur „empfehlenswert“ sei; auch Greger lehnt in Greger/Unberath/Steffek, Recht der alternativen Konfliktlösung, 2. Aufl. 2016 = Anlage 11 zur Berufungserwiderung, § 36 VSBG Rn. 8, trotz Annahme einer bindenden Offerte die Verpflichtung aus § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG ab).

c) Es kann nach alledem offen bleiben, ob die Annahme einer Verpflichtung der Beklagten im vorliegenden Fall auch deshalb ausscheidet, weil die Beklagte mit der Formulierung ihrer AGB hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie sich - trotz ihrer „grundsätzlichen“ Bereitschaft - zur Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren gerade nicht verpflichtet sieht und auch nicht verpflichten will, sondern sie sich eine Prüfung im Einzelfall vorbehält, ob sie an einem solchen Verfahren mitwirken will oder nicht.




III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, weil die Frage, ob die „Bereiterklärung“ des Unternehmers i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine (Selbst-) „Verpflichtung“ i.S.v. Nr. 2 der Vorschrift begründet und deshalb die dort statuierten weitergehenden Informationspflichten auslöst, von grundsätzlicher Bedeutung ist. Grundsätzliche Bedeutung kann einer Rechtssache auch dann zukommen, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die nicht nur entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig ist, sondern darüber hinaus - wie hier - in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann. Das kann insbesondere bei Musterprozessen und Verfahren, in denen die Auslegung typischer Vertragsbestimmungen oder allgemeiner Geschäftsbedingungen erforderlich wird, der Fall sein (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, juris Rn. 26).

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