Webshoprecht.de



A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Urteil vom 16.02.2016 - X ZR 98/14 - Klausel über die vollständige Zahlung des Flugpreises bei der Buchung

BGH v. 16.02.2016: Wirksamkeit einer AGB-Klausel über die vollständige Zahlung des Flugpreises bei der Buchung


Der BGH (Urteil vom 16.02.2016 - X ZR 98/14) hat entschieden:

   Vorauszahlungsbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Luftbeförderungsvertrags unterliegen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle, da durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.




Siehe auch Vorleistungspflicht des Auftragnehmers oder Vorauszahlungspflicht des Kunden? und Allgemeine Geschäftsbedingungen - AGB


Tatbestand:


Der Kläger, ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherverband, verlangt von dem beklagten inländischen Luftfahrtunternehmen, es beim Abschluss von Luftbeförderungsverträgen mit Verbrauchern zu unterlassen, folgende Allgemeine Geschäftsbedingung zu verwenden:

   "Die Bezahlung ist bei Buchung in voller Höhe fällig. [...] Da die Bezahlung bei Buchung in voller Höhe fällig ist, erfolgt die Belastung Ihrer Kreditkarte bzw. der Einzug des Flugpreises sofort."

Das Landgericht hat der Beklagten die Verwendung der Klausel untersagt und sie zur Erstattung der Abmahnkosten nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Verurteilung.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine - in RRa 2015, 45 veröffentlichte -Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die beanstandete, die Vorleistungspflicht des Verbrauchers im Luftbeförderungsvertrag begründende Allgemeine Geschäftsbedingung sei nicht wegen unangemessener Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Aufgrund der sich aus der Natur des Luftbeförderungsvertrags ergebenden Besonderheiten sei die Klausel weniger an der gesetzlichen Vorleistungspflicht des Werkunternehmers nach § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB als an der Einrede des nichterfüllten Vertrags nach § 320 BGB zu messen. Die in Abkehr von der gesetzlichen Regelung dem Fluggast auferlegte Vorauszahlungspflicht verursache keine derartig gravierenden Nachteile für den Verbraucher, dass sie in Anbetracht der berechtigten Interessen des Luftfahrtunternehmens an einer Vorauszahlung bei Vertragsabschluss zu einem erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnis der Rechte und Pflichten der Parteien des Luftbeförderungsvertrags führte.

Das Leistungsverweigerungsrecht als Druckmittel des Fluggasts sei entsprechend den Erwägungen des Bundesgerichtshofs zum Reisevertrag (BGH, Urteil vom 12. März 1987 - VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 167 f.) von vornherein ohne große Bedeutung. Gestehe man - wie der Kläger selbst - einem Luftfahrtunternehmen zu, den kompletten Flugpreis bereits Wochen (z.B. 30 Tage) vor Flugantritt einfordern zu dürfen, mache es keinen entscheidenden Unterschied, ob das Leistungsverweigerungsrecht erst 30 Tage vor Abflug oder bereits geraume Zeit vorher verloren gehe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Leistungsstörungen im Regelfall ohnehin erst am Abflugtag aufträten, nicht aber Wochen oder Monate zuvor. Aufgrund der Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. EU L 46 S. 1 vom 17. Februar 2004, nachfolgend: Fluggastrechteverordnung oder FluggastrechteVO) habe der Fluggast - im Gegensatz zum "normalen" Reisekunden - auch ohne das vertragliche Leistungsverweigerungsrecht ein Mittel an der Hand, welches auf das Luftfahrtunternehmen finanziellen Druck zur Sicherstellung der Leistungserbringung ausübe.

Das mit der Vorauszahlung verbundene, vom Fluggast zu tragende allgemeine Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des Luftfahrtunternehmens sei nicht von erheblichem Gewicht. Das Insolvenzrisiko eines Luftfahrtunternehmens sei aufgrund der staatlichen Überwachung seiner finanziellen Verhältnisse für die Erteilung und den Fortbestand der Betriebsgenehmigung nach Art. 5 und Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. EU L 293 S. 3 vom 31. Oktober 2008) im Rahmen der Beurteilung einer Vorauszahlungsklausel anders zu bewerten als das Insolvenzrisiko eines nicht staatlich überwachten Unternehmens. Gegen das verbleibende Ausfallrisiko des Luftfahrtunternehmens könne sich der Kunde (für ca. 5 € pro Person und Ticket) selbst absichern. Schließlich dürfe nicht übersehen werden, dass der Kunde den Zeitpunkt seiner Buchung selbst bestimme und sich bei einer frühzeitigen Buchung aus den nur begrenzt zur Verfügung stehenden Kapazitäten die ihm genehme Leistung und einen möglichst guten Preis sichere, dann aber im Gegenzug bis zum Reiseantritt das Insolvenzrisiko trage.

Die als nicht gravierend erkannten Nachteile des Verbrauchers seien durch das überwiegende Interesse des Luftfahrtunternehmens an einer sofortigen Bezahlung des Flugpreises bei Buchung gerechtfertigt.

Mehr als andere Unternehmen müsse ein Luftfahrtunternehmen im Linienverkehr erhebliche Vorkehrungen für die Erbringung der vereinbarten Leistung zu dem bei der Buchung festgelegten Zeitpunkt treffen und sei dabei in besonderem Maße auf Planungssicherheit angewiesen. Dürfte ein Luftfahrtunternehmen erst 30 Tage vor Abflug den kompletten Flugpreis fordern, wäre bei einem größeren Umfang ausbleibender Zahlungen eingedenk der nach erfolgloser Mahnung und Rücktritt vom Vertrag noch verbleibenden Zeit von wenigen Tagen, um andere Kunden zu finden, eine hinreichende Flugzeugauslastung für einen wirtschaftlichen Betrieb des aufgestellten Flugplans nicht sichergestellt. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Luftfahrtunternehmen im Fluglinienverkehr nach § 21 Abs. 2 Satz 3 LuftVG einem Kontrahierungszwang unterlägen. Sei ein Luftfahrtunternehmen zum Vertragsschluss und zur Beförderung im Rahmen des veröffentlichten Flugplans außer im Fall der Unzumutbarkeit jedermann gegenüber verpflichtet, müsse es sicher gehen können, dass der Kunde die Leistung wirklich bezahlen werde.

Schließlich habe ein Luftfahrtunternehmen wie die Beklagte ein berechtigtes Interesse an der Geringhaltung des Verwaltungs- und Abrechnungsaufwands. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass ein Ausscheiden aus dem weltweit praktizierten Flugbuchungsverfahren mit der allgemein üblichen Bezahlung eines Fluges bei Buchung für die Luftfahrtunternehmen mit unübersehbaren Folgen und erheblichen Wettbewerbsnachteilen verbunden wäre.

II.

Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.




1. Vorauszahlungsbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Luftbeförderungsvertrags unterliegen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle, da durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Das Berufungsgericht hat eine Klausel, die den Fluggast zur Zahlung des Flugpreises bei der Flugbuchung verpflichtet, zu Recht nicht als eine den Fluggast entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligende Regelung und damit als wirksam angesehen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).

2. § 309 Nr. 2 Buchst. a BGB, wonach in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Bestimmung unwirksam ist, durch die das Leistungsverweigerungsrecht, das dem Vertragspartner des Verwenders nach § 320 BGB zusteht, ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, findet keine Anwendung (vgl. zu § 11 Nr. 2a AGBG: BGH, Urteil vom 12. März 1987 - VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 161).

3. Eine Vorauszahlungsklausel ist nicht mit wesentlichen Grundgedanken des Personen(luft)beförderungsrechts unvereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

a) Ein auf die entgeltliche (Luft-)Beförderung von Personen gerichteter Vertrag ist allerdings nach allgemeiner Auffassung als Werkvertrag zu qualifizieren (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1973 - IV ZR 158/72, BGHZ 62, 71, 75 ff.; Urteil vom 24. Juni 1969 - VI ZR 48/67, NJW 1969, 2014, 2015; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., Einf. v. § 631 Rn. 17a; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2014, Vorbem. zu §§ 631 ff. Rn. 76; MünchKommBGB/Tonner, 6. Aufl., Nach § 651 Rn. 1; Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl., S. 1102; Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl., S. 549; Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag, 3. Aufl., S. 130 f.). Das Werkvertragsrecht sieht keine Vorleistungspflicht des Bestellers, welche das Gebot, gegenseitige Verträge Zug um Zug abzuwickeln (§§ 320, 322 BGB), verdrängte, sondern vielmehr eine Vorleistungspflicht des Werkunternehmers vor. Gemäß § 641 Abs. 1 Satz 1 und § 646 BGB ist der Werklohn erst bei Abnahme oder Vollendung der Leistung des Werkunternehmers zu entrichten.

b) Diese gesetzliche Regelung kann jedoch das Leitbild des Personenbeförderungsvertrages, an dem sich eine allgemeine Geschäftsbedingung messen lassen müsste, allenfalls mit erheblichen Einschränkungen bestimmen. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat zwar im Besonderen Schuldrecht in Titel 9 (Werkvertrag und ähnliche Verträge) nur für den Reisevertrag ein eigenständiges Regelungswerk geschaffen. Gleichwohl weist (aber) auch der Personenbeförderungsvertrag Besonderheiten auf, denen bei der Bestimmung des gesetzlichen Leitbilds Rechnung getragen werden muss.

aa) Das Berufungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass mit der Vorleistungspflicht des Werkunternehmers in der vom Gesetzgeber zugrunde gelegten typischen Situation das Recht des Werkunternehmers korrespondiert, das Werkstück nur gegen Zahlung des Werklohns herauszugeben. Ihm steht unter den Voraussetzungen des § 647 BGB ein Unternehmerpfandrecht zu, er kann unter den Voraussetzungen des § 648 BGB die Einräumung einer Sicherungshypothek verlangen, und er kann unter den Voraussetzungen des § 648a BGB Sicherheit für die von ihm zu erbringenden Bauleistungen beanspruchen. Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden nach § 651 BGB in erster Linie und bei vertretbaren Sachen ausschließlich die Vorschriften über den Kauf und die §§ 640, 646 BGB mithin keine Anwendung. Schließlich hat der Werkunternehmer unter den Voraussetzungen des § 632a BGB einen Anspruch auf Abschlagszahlungen gegen den Besteller.

Ähnlich wie dem Werkunternehmer steht auch dem Frachtführer nach § 440 Abs.1 HGB für alle Forderungen aus dem Frachtvertrag ein Pfandrecht an dem ihm zur Beförderung übergebenen Gut zu.

bb) Bei der Personenbeförderung besteht demgegenüber kein Sicherungsrecht für den Vergütungsanspruch des Unternehmers. Dementsprechend wäre der Unternehmer ungesichert mit der Gefahr von Zahlungsausfällen in erheblicher Größenordnung belastet, sähe man ihn grundsätzlich als vorleistungspflichtig an, was umso schwerer wöge, als denjenigen, der Personenbeförderungsleistungen öffentlich anbietet, in der Regel eine Beförderungspflicht trifft, wie sie in § 10 AEG und ebenso - darauf weist das Berufungsgericht zu Recht hin - in § 21 Abs. 2 Satz 3 LuftVG vorgesehen ist. Zudem kann bei der Personenbeförderung eine Parallelität der vertraglichen Leistungen im Sinne des § 320 BGB nicht erreicht werden. Um eine zeitnahe und zügige Erfüllung des Beförderungsvertrags zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass eine der Vertragsparteien in Vorleistung tritt. Diese Verpflichtung trifft in der Regel den Fahr- oder Fluggast, denn eine Abwicklung des Personenbeförderungsvertrags dergestalt, dass das Beförderungsentgelt erst nach Vollendung des Werks, mithin bei Ankunft am Zielort gezahlt wird, wäre, wie auch die Revision nicht verkennt, beim Massengeschäft der Fahr- oder Fluggastbeförderung im Linienverkehr kaum praktikabel.



c) Dieser vom allgemeinen Werkvertragsrecht abweichenden Besonderheit des Personenbeförderungsvertrags hat auch der Gesetzgeber verschiedentlich Rechnung getragen. So ist die Vorauszahlung des Beförderungspreises im Recht der Eisenbahnbeförderung ausdrücklich vorgesehen (vgl. Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. EU L 315 S. 14 vom 3. Dezember 2007) i.V.m. Anhang I, Titel II, Art. 8 Abs. 1 COTIF). Auch bei der Luftbeförderung zeigen die Regelungen zur Erstattung des Flugpreises nach Art. 8 FluggastrechteVO insbesondere in den Fällen der Nichtbeförderung oder Annullierung eines Fluges, dass das Unionsrecht davon ausgeht, dass der Flugpreis vor Flugantritt gezahlt wird. Nichts anderes gilt für das nationale Recht. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 9 Nr. 2 AGBG wird der Verzicht auf ein gesetzliches Verbot der formularmäßigen Vereinbarung einer Vorleistungspflicht damit begründet, dass derartiges zu weit gehe, "zumal in vielen Bereichen die technische Abwicklung des Vertrags ohne Vorleistungen kaum vorstellbar wäre (Eintrittskarten, Fahrkarten)" (BT-Drucks. 7/3919, S. 28). Die gängige Redeweise vom "Kauf" einer Fahrkarte spiegelt den Umstand wieder, dass bei der Personenbeförderung der Erwerb der in der Fahrkarte "verkörperten" Berechtigung zur Inanspruchnahme der Beförderungsleistung regelmäßig Zug um Zug gegen Zahlung des Fahrpreises erfolgt und damit die Vorleistung nicht vom Unternehmer, sondern vom Fahrgast erbracht wird.

Schließlich werden die Besonderheiten des Personen(luft)beförderungsvertrags, die vom werkvertraglichen Leitbild abweichen, auch in der über die International Air Transport Association (IATA) weltweit etablierten internationalen Buchungs- und Abrechnungspraxis abgebildet, zu denen, wovon das Berufungsgericht unangegriffen ausgegangen ist, auch die Praxis der Vorauskasse für Flüge im globalen Buchungs- und Reservierungssystem gehört.

d) Auch die Revision stellt eine Vorleistungspflicht des Fahr- oder Fluggastes nicht grundsätzlich in Frage, wenn sie es für möglich hält, eine Verpflichtung des Fluggastes zur vollständigen Zahlung 30 Tage vor Abflug wirksam zu vereinbaren. Ihre Annahme, weiter dürfe die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild mangels Erforderlichkeit einer solchen Regelung nicht gehen, setzt jedoch voraus, dass dem gesetzlichen Leitbild des Personenbeförderungsvertrages die Zahlung des Flugpreises nach Ankunft des Flugzeugs am Bestimmungsort und damit nach Fertigstellung des "Beförderungswerks" entspräche. Dies trüge, wie ausgeführt, der Eigenart des Personenbeförderungsvertrages nicht Rechnung.

4. Vor diesem Hintergrund hält eine Vorauszahlungsklausel in einem Luftbeförderungsvertrag, die die sofortige Fälligkeit des Flugpreises unabhängig von dessen Höhe auch bei erst Monate später anstehenden Flügen vorsieht, der Wirksamkeitskontrolle bei Abwägung der Interessen der Vertragspartner stand. Denn die von der gesetzlichen Regelung abweichende Vorleistungspflicht des Kunden kann sich auf sachliche Gründe stützen.

a) Eine Vorleistungspflicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann wirksam vereinbart werden, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, der bei Abwägung mit den hierdurch für den Vertragspartner entstehenden Nachteilen Bestand hat (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 85/12, BGHZ 203, 335 Rn. 23; Urteil vom 4. März 2010 - III ZR 79/09, BGHZ 184, 345 Rn. 12; Urteil vom 24. September 2002 - KZR 38/99, GRUR 2003, 542, 543; Urteil vom 10. März 1999 - VIII ZR 204/98, BGHZ 141, 108, 114).

b) Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Personenbeförderungsvertrags und vor dem Hintergrund des Unionsrechts, dem - wie die Beklagte - die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft (Art. 2 Buchst. c FluggastrechteVO, Art. 2 Nr. 11 VO (EG) Nr. 1008/2008) unterworfen sind, widerspricht die beanstandete Regelung nicht einem angemessenen Interessenausgleich. Die gebotene Interessenabwägung erfordert es entgegen der Auffassung des Klägers und von Teilen des Schrifttums (Staudinger, RRa 2014, 58-63; Tamm, RRa 2015, 109, 112) insbesondere nicht, die Vorauszahlungsmodalitäten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf eine Anzahlung bei Vertragsschluss (in Höhe von regelmäßig 20 % des Flugpreises) und eine Restzahlung (höchstens 30 Tage) vor Flugantritt zu beschränken, wie dies der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Reisevertragsrecht entspräche (BGHZ 203, 335).

aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der Reiseveranstalter in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vorauszahlung des Reisepreises vorsehen kann (BGHZ 203, 335 Rn. 24; BGH, Urteil vom 20. Juni 2006 - X ZR 59/05, RRa 2006, 256 Rn. 10; BGHZ 100, 157, 164 f.). Beschränkungen bei der Vereinbarung einer Vorauszahlungspflicht des Reisenden unterliegt er nur insoweit, als er den vollen Reisepreis grundsätzlich erst 30 Tage vor Reiseantritt verlangen und bei einer bei Vertragsschluss fälligen Anzahlung grundsätzlich keinen Betrag beanspruchen darf, der 20 % des Reisepreises übersteigt. Auch insoweit hat der Bundesgerichtshof jedoch anerkannt, dass vom Reiseveranstalter zu erbringende höhere Vorleistungen, insbesondere in Gestalt der Erfüllung von Forderungen der Leistungsträger, deren sich der Reiseveranstalter für die Erbringung der Reiseleistungen bedient, auch eine höhere Anzahlungsquote rechtfertigen können (BGHZ 203, 335 Rn. 28); als solche Vorleistungen sind insbesondere die Kosten einer Luftbeförderung in Betracht gezogen worden (BGHZ 203, 335 Rn. 33).

bb) Bei sofortiger Zahlung des Flugpreises verliert der Fluggast die Einrede des nicht erfüllten Vertrags, d.h. das Recht, die ihm obliegende Zahlung bis zur Bewirkung der Gegenleistung zu verweigern (§ 320 Abs. 1 BGB). Wie beim Reisevertrag wäre aber ein solches Leistungsverweigerungsrecht faktisch regelmäßig ohne Bedeutung. Auch der Fluggast könnte das Leistungsverweigerungsrecht nicht ausüben, weil er typischerweise keinen Einblick in die Flugvorbereitungen des Luftfahrtunternehmens hat (vgl. zum Reisevertrag BGHZ 203, 335 Rn. 28; BGHZ 100, 157, 167). Anders als im Reisevertragsrecht besteht jedoch bei Luftbeförderungsverträgen im Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung aufgrund der darin gewährten unabdingbaren Mindestrechte der Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung, Annullierung oder großen Verspätung, namentlich des pauschalen Ausgleichsanspruchs nach Art. 7, ein unionsrechtlicher Mechanismus, der unabhängig von einem individuellen Leistungsverweigerungsrecht präventiv auf die Luftfahrtunternehmen einwirkt und diese zur Einhaltung der Flugplanung und Erbringung der vertraglichen Beförderungsleistung anhält.




cc) Es verbleibt der Umstand, dass der Fluggast bei einer vollständigen und sofortigen Vorauszahlung des Flugpreises - worauf der Kläger zutreffend hinweist - einen Liquiditätsnachteil erleidet und das volle Risiko der Leistungsunfähigkeit seines Vertragspartners zu tragen hat, das nicht, wie im Reisevertragsrecht gemäß § 651k BGB, durch eine obligatorische Sicherstellung der Flugpreisrückerstattung im Insolvenzfall kompensiert wird. Beide Gesichtspunkte sind nicht ohne Gewicht, vermögen jedoch im Ergebnis keine Unbilligkeit der angegriffenen Klausel zu begründen.

(1) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Berechtigung des Luftfahrtunternehmens nicht in Frage steht, den vollen Flugpreis 30 Tage vor Abflug fällig zu stellen. Insoweit ist die Überwälzung des Liquiditätsverlustes wie des Insolvenzrisikos ohnedies unvermeidlich. Hinzu kommt, dass Beförderungsverträge im Land- wie im Luftverkehr ohnehin häufig relativ kurzfristig geschlossen werden. Die verbleibenden Risiken rechtfertigen es nicht, je nach Buchungszeitpunkt eine Abweichung von der Regel für geboten zu halten, dass der Preis für den Flugschein wie für die Fahrkarte "beim Kauf" verlangt werden darf.

(2) Das Insolvenzrisiko ist bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durch die unionsrechtlichen Zulassungs- und Aufsichtsbestimmungen im Vergleich zu einem Unternehmen, das keiner staatlichen Aufsicht unterliegt, deutlich verringert. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines in der Europäischen Union niedergelassenen Luftfahrtunternehmens gehört gemäß Art. 4, 5 VO (EG) Nr. 1008/2008 zu den Schwerpunkten des Verfahrens bei der Erteilung einer Betriebsgenehmigung. Um die Gültigkeit der Genehmigung aufrechtzuerhalten, unterliegt das Luftfahrtunternehmen der staatlichen Überwachung und ist jederzeit verpflichtet, seine finanzielle Leistungsfähigkeit nachzuweisen (Art. 8, 9 VO (EG) Nr. 1008/2008). Erscheinen die finanziellen Bedingungen für eine Aufrechterhaltung des Betriebs nicht gesichert, hat die Genehmigungsbehörde - nicht zuletzt zur Verringerung des Risikos für Fluggäste (Erwägungsgrund 6 der VO (EG) Nr. 1008/2008) - die Betriebsgenehmigung auszusetzen oder zu widerrufen.

(3) Sowohl der Unions- als auch der nationale Gesetzgeber halten im Bereich des Personenbeförderungsrechts durch spezielle Unionsvorschriften, namentlich die Fluggastrechteverordnung und die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008, einen ausreichenden Verbraucherschutz für gewährleistet. Dies folgt aus Erwägungsgrund 27 der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates; ABl. EU L 304 S. 64 vom 22. November 2011), wonach die Beförderung von Personen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen sein solle, weil sie bereits im Rahmen anderer Unionsvorschriften geregelt werde, beziehungsweise, was den öffentlichen Verkehr und Taxis betrifft, auf nationaler Ebene geregelt sei. Infolge der Umsetzung der Richtlinie fällt im nationalen Recht die Beförderung von Personen nicht unter den Anwendungsbereich des Untertitels über besondere Vertriebsformen, "da hier europarechtliche Vorgaben, etwa bei Fluggastrechten und öffentlichrechtliche Regelungen einen ausreichenden Schutz bieten" (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung; BT-Drucks. 17/12637, S. 47 zu § 312 Abs. 2 Nr. 5 BGB).

(4) Der Liquiditätsnachteil des Kunden geht mit einem Liquiditätsvorteil des Luftfahrtunternehmens einher, der Teil der Flugpreiskalkulation und damit Gegenstand der Preisfestsetzung ist. Nach Art. 22 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1008/2008 legen die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ihre Flugpreise und Frachtraten für innergemeinschaftliche Flugdienste (unbeschadet des Art. 16 Abs. 1, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, dem Linienflugverkehr in wirtschaftlich schwachen Regionen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen) frei fest. Unter dem Begriff "Flugpreise" sind nach Art. 2 Nr. 18 die Beförderungspreise zu verstehen sowie etwaige Bedingungen, unter denen diese Preise gelten. Dies bedeutet, dass für das Luftfahrtunternehmen ein Spielraum für die Festsetzung der Flugpreise einschließlich der Bedingungen, unter denen diese gelten, besteht. In diese Festsetzung kann deshalb grundsätzlich auch ein Liquiditätsvorteil einfließen, der, auch wenn nicht bei jeder frühzeitigen Flugbuchung ein Preisvorteil erzielbar sein mag, in der Regel nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Kunden führen wird. Der Liquiditäts- und gegebenenfalls Zinsnachteil wird bei frühzeitiger Flugbuchung jedenfalls tendenziell wirtschaftlich durch einen Preisvorteil des Kunden gegenüber einer späteren Buchung ausgeglichen.

(5) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine andere Beurteilung das Luftfahrtunternehmen zwänge, die bereits erwähnte, auf einer Empfehlung der IATA beruhende Buchungs- und Abrechnungspraxis auf ein Vorauszahlungsmodell mit einer Anzahlung bei Vertragsschluss und Restzahlung möglichst kurz vor Flugantritt umzustellen.



Eine solche Umstellung verursachte für das Luftfahrtunternehmen einen erheblichen verwaltungsmäßigen und abrechnungstechnischen Zusatzaufwand, dem - je nach Buchungszeitpunkt - kein wesentlicher Ausgleich der Nachteile gegenüberstünde, die für den Fluggast mit einer Vorauszahlung ohnehin verbunden sind.

Zudem darf bei der gebotenen Interessenabwägung eine mögliche wirtschaftliche Beeinträchtigung der Luftfahrtunternehmen, auch mit Blick auf einen bei einer Abkehr von der international angewandten Abrechnungspraxis möglicherweise auftretenden Wettbewerbsnachteil, nicht unberücksichtigt bleiben. Eine Umstellung der etablierten Zahlungsabwicklung griffe in das Geschäftsmodell der Unternehmen ein. Zur Sicherstellung des für die Sommer- und Winterflugperiode eines jeden Jahres aufzustellenden Flugplans im Fluglinienverkehr sind die Luftfahrtunternehmen in besonderem Maße auf Planungssicherheit bei der Refinanzierung der Vorlaufkosten angewiesen. Das Luftfahrtunternehmen kann auch einzelne Plätze eines Fluges nur in begrenztem Umfang vorsorglich mehrfach vergeben, da eine Überbuchung der Kapazitäten zu einer Nichtbeförderung von Fluggästen und damit zu Ausgleichszahlungen nach Art. 7 i.V.m. Art. 4 FluggastrechteVO führen kann. Es ist zwar richtig, dass das Risiko, kostendeckend zu wirtschaften, vom Unternehmen zu tragen ist. Da höhere Risiken aber regelmäßig höhere Kosten bedeuten und daher auch das Verbraucherinteresse an niedrigen Preisen berühren, sind die Auswirkungen von Risikoerhöhungen gleichwohl in die Interessenabwägung einzubeziehen, zumal, wie dargelegt, Luftfahrtunternehmen im Linienverkehr dem Kontrahierungs- und Beförderungszwang im Rahmen des veröffentlichten Flugplans (§ 21 Abs. 2 Satz 3 LuftVG) unterworfen sind und ihre wirtschaftliche Tätigkeit deshalb auch im Allgemeininteresse liegt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum