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Landgericht Köln Urteil vom 31.08.2011 - 28 O 362/10 - Keine DNS- oder IP-Adressen-Sperre durch Accessprovider bei Urheberrechtsverletzung

LG Köln v. 31.08.2011: Keine DNS- oder IP-Adressen-Sperre durch Accessprovider bei Urheberrechtsverletzung durch Nutzer


Das Landgericht Köln (Urteil vom 31.08.2011 - 28 O 362/10) hat entschieden:

   Eine DNS- oder IP-Adressen-Sperre durch einen Accessprovider ist mit dem durch Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützten Fernmeldegeheimnis nicht zu vereinbaren. Der Schutzbereich des Art. 10 GG erfasst jegliche Art und Form von Telekommunikation und erstreckt sich auch auf Kommunikationsdienste des Internets, so dass es für entsprechende Filter- und Sperrmaßnahmen des Accessproviders einer gesetzlichen Grundlage bedürfte, die in der allgemeinen Störerhaftung des Zivilrechts nicht gesehen werden kann.




Siehe auch Internet-Service-Provider (ISP) und Stichwörter zum Thema Störer- und Betreiberhaftung


Entscheidungsgründe:


Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerinnen können von der Beklagten nicht gemäß § 97 Abs. 1 UrhG die Unterlassung beanspruchen, Dritten den Zugang zu den im Klageantrag näher bezeichneten Internetseiten zu vermitteln.

Ob die Klägerinnen als Tonträgerhersteller an den verfahrensgegenständlichen Musikstücken gemäß § 85 UrhG aktiv legitimiert sind, kann dahin stehen. Denn die Beklagte ist nicht als Störer im Sinne des §§ 97 Abs. 1, 16, 19 a UrhG für die von ihren Kunden begangenen Rechtsverletzungen auf der Internetseite "anonym1" verantwortlich.

1. Nach der herrschenden Rechtsprechung kann bei der Verletzung absoluter Rechte als Störer in Anspruch genommen werden, wer in irgendeiner Weise - ohne selbst Täter oder Teilnehmer zu sein - willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt (BGH NJW 2010, 2061, 2062 - Sommer unseres Lebens m. w. N.). Da die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, setzt die Haftung des Störers für Handlungen Dritter eine Verletzung ihm obliegender Prüfpflichten voraus (BGH a. a. O.). Die Reichweite der jeweiligen Prüf- oder Verhaltenspflicht richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Funktion und Aufgabenstellung des Störers und der Eigenverantwortlichkeit desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung unmittelbar vorgenommen hat (BGH GRUR 2003, 969, 970 f. - Vermessungsgrundlagen; GRUR 2004, 860 ff. - Internetversteigerung I; GRUR 2007, 708, 711 - Internetversteigerung II; s. auch Schricker/Loewenheim/Wild, 4. Aufl. 2010, § 97 UrhG Rn. 70).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze scheidet eine Haftung der Beklagten als Internetzugangsanbieter für die Rechtsverletzungen Dritter aus. Denn eine Haftung der Beklagten kommt schon aufgrund grundsätzlicher rechtlicher Erwägungen nicht in Betracht.

a) Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, der Internetzugangsanbieter erbringe eine rein technische Dienstleistung, in der aufgrund der sozial erwünschten Funktion kein willentliches und adäquat kausales Handeln zu sehen sei (Schnabel MMR 2008, 123, 125 Anm. zu Urt. des LG Kiel v. 23.11.2007, a.a.O.; wohl auch Schricker/Loewenheim/Wild, 4. Aufl. 2010, § 97 UrhG Rn. 100), teilt die Kammer diese Auffassung allerdings nicht. Zu Recht betont das LG Hamburg (MMR 2010, 488, 489) in Anschluss an die Rechtsprechung des BGH (NJW 2005, 1420, 1421), dass die Frage, ob eine bestimmte Handlung adäquat ursächlich für die Rechtverletzung geworden ist, nur danach zu beurteilen ist, ob das beanstandete Verhalten im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Acht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der fraglichen Art herbeizuführen (LG a.a.O. unter Bezug auf). Die Vermittlung des Zugangs für Rechtsverletzungen Dritter auf Internetseiten wie "anonym1" stellt ein solch adäquat kausales Verhalten dar (OLG Hamburg, Urt. 22.12.2010, 5 U 36/09). Denn wie die Klägerinnen substantiiert darlegt haben, dient die streitgegenständliche Internetseite gerade einer Vielzahl von Nutzern dazu, urheberrechtlich geschützte Werke ohne Erwerb der erforderlichen Lizenz im Internet herunterzuladen bzw. für den öffentlichen Download anzubieten.

b) Nach den vorstehend skizzierten Grundsätzen der Störerhaftung, wie sie in der Rechtsprechung anerkannt sind, folgt die Störerhaftung jedoch nicht allein aus einem adäquat kausalen Handeln des in Anspruch genommenen. Es bedarf vielmehr einer wertenden Betrachtung, inwieweit die Beklagte unter Berücksichtigung der Eigenverantwortlichkeit ihrer Kunden eine Störerverantwortlichkeit treffen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte eine bloße technische Dienstleistung erbringt ("reines Durchleiten"), die Voraussetzung für die Nutzung des Internets ist. Wollte man die Beklagte für sämtliches rechtswidriges Verhalten Dritter bzw. die von ihnen angebotenen oder abgerufenen Dienstleistungen verantwortlich machen, hätte dies eine Überdehnung der Grundsätze der Störerhaftung zur Folge, die nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH in Bezug auf Dritte gerade nicht gerechtfertigt ist (vgl. auch OLG Hamburg, Urt. v. 22.12.2010, 5 U 36/09). Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, zukünftig dafür Vorsorge zu treffen hat, dass es möglichst zu keinen weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt, so dass ein Verstoß gegen entsprechende Vorkehrungen einen Verstoß gegen die Prüfpflichten der Beklagten begründen würde (BGH GRUR 2007, 708, 712 - Internetversteigerung II).

c) Nach der Auffassung der Kammer ist die Beklagte zu solchen Vorsorgemaßnahmen nicht verpflichtet. Zwar ist der Klageantrag nicht auf eine bestimmte Maßnahme, sondern auf die Unterlassung der konkreten vermeintlichen Rechtsverletzung bezogen. Im Rahmen der rechtlichen Bewertung der Störereigenschaft ist jedoch zu berücksichtigen, welche Maßnahmen die Beklagte ergreifen müsste, um ihre Vorsorgepflichten zu erfüllen, um nicht als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden zu können. Die Klägerinnen verlangen von der Beklagten im Ergebnis zur Erreichung des verfolgten Zwecks die Errichtung von DNS- und IP-Sperren, mit denen die Abrufbarkeit von Internetlinks zu Internettauschbörsen auf der Internetseite "anonym1." verhindert werden soll, wenn unter diese Internetadressen Musiktitel zum kostenlosen öffentlichen Download angeboten werden, an denen die Klägerinnen Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte in Bezug auf das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19 a UrhG) sind.

Die Umsetzung solcher Vorsorgemaßnahmen hätte zur Folge, dass die Beklagte die Datenkommunikation zwischen ihren Kunden auf Begehung von gerügten Verletzungshandlungen kontrollieren müsste, wodurch sie Kenntnis von den Umständen der Telekommunikation einschließlich ihres Inhalts erhielte (vgl. LG Hamburg MMR 2010, 488, 490; OLG Hamburg, Urt. v. 22.12.2010, 5 U 36/09). Die Errichtung solcher Filter- und Sperrmaßnahmen durch den Internetzugangsanbieter als zentrale Schnittstelle für die Datenkommunikation ist ohne gesetzliche Grundlage mit dem durch Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützten Fernmeldegeheimnisses, dessen Wertungen auch bei der Auslegung zivilrechtlicher Norm Geltung beanspruchen (vgl. BVerfG NJW 2003, 2815; BGH 1999, 1326, jeweils m. w. Nachw. d. Rspr.), nicht zu vereinbaren. Der Schutzbereich des Art. 10 GG erfasst jegliche Art und Form von Telekommunikation und erstreckt sich auch auf Kommunikationsdienste des Internets, so dass es für entsprechende Filter- und Sperrmaßnahmen der Beklagten einer gesetzlichen Grundlage bedürfte, die in der allgemeinen Störerhaftung des Zivilrechts nicht gesehen werden kann (vgl. LG Hamburg MMR 2010, 488, 489; OLG Hamburg, Urt. v. 22.12.2010, 5 U 36/09).




d) Nichts anders folgt auch unter Anwendung der Grundsätze des europäischen Rechts. Zwar ist es zutreffend, dass Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Rechteinhabern gerichtliche Anordnungen gegen "Vermittler" zu ermöglichen, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandten Schutzrechts genutzt wird, wozu grundsätzlich auch die Dienste eines Internetzugangsanbieter zu rechnen sind (EuGH GRUR 2009, 579 LSG / Tele 2). Wie das LG Hamburg (MMR 2010, 488) und OLG Hamburg (Urt. v. 22.12.2010, 5 U 36/09) zu Recht ausführen, ist dieser Vorschrift jedoch nichts zu den konkret anzuordnenden oder zulässigen Maßnahmen zu entnehmen, die aufgrund der Eigenart der Norm als Richtlinienvorschrift der weiteren Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber bedarf. Eine Störereigenschaft der Beklagten folgt aber auch nicht aus einer richtlinienenkonformen Auslegung des § 97 Abs. 1 UrhG. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung gebietet es den Gerichten der Mitgliedsstaaten, den Beurteilungsspielraum, den ihm das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (BGH NJW 2009, 427, 428; EuGH NJW 1984, 2021 - von Colson und Kamann/Nordrhein-Westfalen). Erfordert das nationale Recht jedoch für einen Eingriff in die Rechte Dritter eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, kann diese nicht durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 97 UrhG ersetzt werden. Zwar bestehen in den Vorschriften der Störerhaftung der §§ 97 Abs. 1 UrhG, 1004 Abs. 1 BGB gesetzliche Regelungen, die grundsätzlich auch gegenüber Internetzugangsanbietern rechtliche Unterlassungsansprüche begründen können. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit auch die erforderlichen Maßnahmen wie DNS- und IP-Sperren, die mit einem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis verbunden sind, von vornherein umfasst sind, und die Vorschriften der §§ 97 UrhG, 1004 BGB hierfür eine hinreichend bestimmte Grundlage sein könnten (i. E. ebenso LG Hamburg MMR 2010, 488, 489; OLG Hamburg, Urt. v. 22.12.2010, 5 U 36/09; Spindler MMR 2008, 166, 169 Anm. zu OLG Frankfurt MMR 2008, 166).

3. Die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen dargestellten Maßnahmen sind für die Beklagte im Rahmen einer etwaigen Vorsorgepflicht im Übrigen unzumutbar, so dass sie nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nicht als Störer für die Rechtsverletzungen Dritter haftet. Aufgrund der Vielzahl von Rechtsverletzungen im Internet hätte die Etablierung einer entsprechenden Vorsorgepflicht zur Folge, dass die Beklagte eine Vielzahl von technischen Sicherheitsvorkehrungen in Form von Datenfiltern einrichten müsste, die wiederum immer neuen Gegebenheiten und neuen Verletzungsformen angepasst werden müssten. Mag dies im Einzelfall je nach Stellung und Nähe des Beteiligten zur Verletzungshandlung in Betracht zu ziehen sein (vgl. hierzu Schricker/Loewnheim/Will, § 97 UrhG Rn. 100 ff.), erscheint eine solche weitgehende Haftung des Internetzugangsanbieters, der lediglich die technische Infrastruktur für den Internetzugang zur Verfügung stellt, nicht gerechtfertigt. Die Verantwortlichkeit der Beklagten beschränkt sich auf den Transport von Daten, ohne von ihnen Kenntnis oder in sonstiger Weise Einfluss zu nehmen (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 22.12.2010, 5 U 36/09).



Hinzu tritt, dass die begehrten Sperren kein taugliches Mittel zur Vorsorge weiterer Rechtsverletzungen darstellen (s. etwa Schnabel MMR 2008, 123, 125). Da die begehrten Maßnahmen nicht so weit gehen können, den Zugang zum Internetanbieter "anonym1" für sämtliche Inhalte zu sperren, was auch ein zulässiges Angebot und damit Rechtspositionen Dritter betreffen würde, führt bereits die Änderung eines Zeichens der URL dazu, dass das gleiche rechtswidrige Angebot von Musiktiteln unter der gleichen Internetdomain, wenn auch mit einer anderen URL abrufbar bliebe. Die mangelnde Tauglichkeit des Mittels wird im vorliegenden Fall daran deutlich, dass die Klägerinnen den Klageantrag mehrfach ändern und auf immer neue URL erweitern mussten, um dem rechtswidrigen Angebot auf der verfahrensgegenständlichen Internetdomain zu begegnen. Die Beklagte vor diesem Hintergrund dazu zu verpflichten, die technische Infrastruktur zu schaffen und entsprechendes Personal vorzuhalten, erscheint auch unter Berücksichtigung der Bestimmung des Art. 8 Abs. 3 Richtlinie 2001/29/EG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung in Sachen LSG/Tele 2 (EuGH GRUR 2009, 579) unangemessen. Denn die Klägerinnen vermögen einen "effektiven rechtlichen Schutz" durch die Inanspruchnahme der Beklagten gerade nicht zu begründen. Selbst bei entsprechender "großzügiger Auslegung" der Zumutbarkeitserwägungen der nationalen Vorschriften zur Störerhaftung (so etwa Nordemann/Schaefer Anm. zu Beschl. d. EuGH v. 19.02.2009, GRUR 2009, 583, 584), ist ein Anspruch in Bezug auf die von den Klägerinnen begehrte Unterlassung daher nicht anzuerkennen.

4. Die Bedingungen für den Hilfsantrag sind nicht eingetreten, so dass hierüber nicht zu entscheiden war.

5. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 150.000,00.

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