Webshoprecht.de



A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Landgericht Essen Urteil vom 16.12.2016 - 16 O 174/16 - Ausschluss der freien Kündigung des Bestellers durch AGB

LG Essen v. 16.12.2016: Unzulässiger Ausschluss der freien Kündigung des Bestellers durch die AGB des Unternehmers


Das Landgericht Essen (Urteil vom 16.12.2016 - 16 O 174/16) hat entschieden:

  1.  Bestimmen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmers, dass die Laufzeit des Vertrags 48 Monate beträgt und dass der Vertrag nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, ist darin ein Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts zu sehen. Dieser Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts erfasst auch die so genannte freie Kündigung des Bestellers nach § 649 S. 1 BGB.

  2.  Der Ausschluss der freien Kündigung ist aber mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren, denn grundsätzlich bestehen das Recht zur freien Kündigung nach § 649 S. 1 BGB und zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund nach § 314 BGB nebeneinander. Somit stellt der Ausschluss der freien Kündigung eine unangemessene Benachteiligung des Bestellers i.S.v. §§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB dar.




Siehe auch Internetdienstleistungen - Suchmaschinenoptimierung - Suchmaschinenmarketing und Allgemeine Geschäftsbedingungen - AGB - bei Online-Verträgen und Wettbewerbsverstöße


Tatbestand:


Die Klägerin verlangt von der Beklagten, die einen Pflegedienst betreibt, Zahlung in Höhe des Entgelts für 48 Vertragsmonate aufgrund eines am 26.03.2015 geschlossenen Vertrages über die Nutzung von Software nebst Installation und Schulung.

Der Vertrag beinhaltet ausweislich der Leistungsbeschreibung die Überlassung und Nutzung des Softwaremoduls "E" und einer sog. "E1-​Schnittstelle". Unter der Rubrik "Dienstleistungen" ist außerdem als Vertragsleistung genannt: "Online Installation/Schulung – 1 Manntag". Auf dem Vertragsformular ist die Laufzeit aufgedruckt und mit 48 Monaten angegeben. Als Entgelt für die Nutzung der Software ist im Vertrag eine Summe von 108,- EUR (zzgl. MWSt.) monatlich ausgewiesen; auf die Schulung entfällt ein einmaliges Entgelt in Höhe von 390,- EUR (zzgl. MWSt.). In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen heißt es u.a.:

   § 1 Gegenstand der Vereinbarung

(1) Gegenstand dieser Vereinbarung ist die Überlassung und Nutzung durch den Kunden der E2 Software im Wege des Serverhostings.

(2) Hierzu wird die T dem Kunden für dessen Belange einen Einwahlserver sowie einen Datenbankserver bei der T zur Verfügung stellen. (...) Die T verpflichtet sich, die beiden vorgenannten Server sowie die zum Betrieb der Server erforderliche Software dem Stand der Technik angepasst zu halten sowie im Falle von Störungen unverzüglich mit allen erforderlichen Maßnahmen zu beginnen. (...)

(4) Einwahlserver sowie Datenbankserver stehen und verbleiben im Eigentum der T. An der von T zum Betrieb der Hardware zu stellenden Software erwirbt der Kunde keinerlei Eigentum. Ihm wird im Rahmen dieses Vertrages und auf die Laufzeit des Vertrages beschränkt lediglich ein Nutzungsrecht eingeräumt. (...)

§ 6 Vertragsdauer und Kündigung

(1) Mit dem 1. des auf die Bereitstellung der E2-​Software folgenden Monats beginnen die Laufzeit des Vertrages und die Zahlungspflicht des Kunden. Die Parteien vereinbaren die auf Seite 3 und 4 dieser Vereinbarung ersichtliche erstmalige Vertragsperiode. Dieser verlängert sich stillschweigend um eine weitere Vertragsperiode von jeweils 12 Monaten, wenn nicht von einer Vertragspartei schriftlich zum Ende der erstmaligen oder jeder darauf folgenden Vertragsperiode mit einer Frist von drei Monaten zum Ende der Vertragslaufzeit gekündigt wird (...).

(2) Das Recht der Vertragspartei, den Vertrag bei Vorliegen eines wichtigen Grundes außerordentlich und fristlos zu kündigen, bleibt unberührt. (...)"

In § 8 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist vereinbart, dass die Klägerin Zugriff auf die überspielten Daten zum Zwecke der Vertragsdurchführung erhält. Unstreitig wurde von der Klägerin bei Vertragsabschluss nicht ausdrücklich gegenüber der Beklagten thematisiert, dass die Klägerin hierdurch Zugriff auf die Patienteninformationen enthält und dass die Nutzung der Software daher eine Einwilligung aller betroffenen Patienten erfordert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages bzw. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird auf die Anlage K 1 (Bl. 18 – 22 d.A.) Bezug genommen. Am 26.03.2015 erteilte die Beklagte der Klägerin zugleich eine Einzugsermächtigung nebst SEPA-​Lastschriftmandat.

Am 17.04.2015 führte ein Mitarbeiter der Klägerin bei der Beklagten ca. 2 Stunden lang eine Schulung durch. Die weiteren Einzelheiten sind streitig.

Mit Schreiben vom 11.06.2015 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin, dass sie den Vertrag vom 26.03.2015 mit sofortiger Wirkung kündige. Die Beklagte begründete die Kündigung damit, dass die Schulung vom 17.04.2015 sowohl inhaltlich als auch zeitlich unzureichend gewesen sei. Zugleich widerrief die Beklagte die erteilte Einzugsermächtigung und das SEPA-​Lastschriftmandat.

Mit Schreiben vom 10.08.2016 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass es bei der Schulung wohl zu einem Missverständnis gekommen sei und bot an, zwei weitere Stunden Online-​Schulung kostenlos durchzuführen. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, das vorgenannte Angebot bis zum 19.08.2015 anzunehmen. Nach Fristablauf erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 02.09.2015 gegenüber der Beklagten die Kündigung des Vertrages vom 26.03.2015 und machte zugleich Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Höhe von 5.184,00 EUR (48 Monate x 108,00 EUR) geltend. Nach weiterer schriftlicher Korrespondenz der Parteien ließ die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 13.10.2015 nochmals die fristlose Kündigung des Vertrages erklären.

Die Klägerin meint, der zwischen den Parteien am 26.03.2015 geschlossene Vertrag sei als Mietvertrag zu qualifizieren. Die vertragliche Regelung über die Mindestlaufzeit sei wirksam. Die Klägerin trägt weiter vor, ihr Mitarbeiter habe am 17.04.2015 die vertraglich vereinbarten Schulungsleistungen ordnungsgemäß erbracht. Mit der Formulierung "1 Manntag" sei vertraglich eine Schulungsdauer von 4 Stunden gemeint gewesen. Die Klägerin behauptet, sie habe der Beklagten angeboten, über diese 4 Stunden hinausgehenden Schulungsbedarf ohne weitere Berechnung zu erfüllen. Die Klägerin meint, dass die Beklagte vor diesem Hintergrund Schadensersatz wegen Nichterfüllung schulde, der mit insgesamt 5.184,00 EUR (48 Monate x 108,00 EUR) zu beziffern sei.

Die Klägerin beantragt,

   die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.184,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.01.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die Schulung vom 17.04.2015 nicht vertragsgerecht erfolgt sei. Hierzu behauptet sie, ohne Schulung sei die Software für sie nicht nutzbar. Da Zweck der Software die Abrechnung mit der Krankenkasse sei, habe dies nach der Vereinbarung der Parteien auch der eigentliche Schulungsinhalt sein sollen. Damit habe sich die Schulung am 17.04.2015 aber überhaupt nicht befasst. Mit der Formulierung "1 Manntag" sei vertraglich eine Schulungsdauer von 8 Stunden gemeint gewesen. Die Beklagte meint, ihre Kündigung vom 11.06.2015 sei wirksam. Der Klägerin sei insbesondere auch im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Problematik bezüglich der Patienteninformationen eine Aufklärungspflichtverletzung vorzuwerfen. Die Regelung zur Laufzeit des Vertrages stelle eine unangemessene Benachteiligung dar und sei deshalb unwirksam. Die Beklagte meint, die Klägerin habe jedenfalls bei der Geltendmachung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung die angebliche Schadenshöhe nicht hinreichend dargelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zur Akte gereichten Unterlagen Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Zahlung von 5.184,00 EUR.

1. Die Klägerin kann namentlich keinen Schadensersatz wegen Nichterfüllung auf Grundlage der §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB verlangen.

a) Die Parteien haben einen Werkvertrag gem. § 631 BGB geschlossen. Bei der zwischen den Parteien am 26.03.2015 geschlossenen "Nutzungsvereinbarung" handelt es sich um einen typengemischten Vertrag, der sowohl werk-​, als auch dienst- und mietvertragliche Elemente enthält. Gegenstand der Vereinbarung ist nicht nur die Überlassung und Nutzung von Software, sondern auch Serverhosting sowie Wartungsarbeiten und täglich verfügbarer Kundensupport.

Der Vertrag findet seinen Schwerpunkt jedenfalls auch in der Gewährleistung des Zugriffs auf die Server der Klägerin. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 04.03.2010, III ZR 79/09, NJW 2010, 1449 f.) bewertet das Gericht die Vereinbarung vom 26.03.2015 insgesamt als Werkvertrag.

b) Die Kündigung der Klägerin vom 02.09.2015 geht ins Leere, weil der Vertrag bereits zuvor durch die Beklagte wirksam gekündigt worden war.

Die Kündigung der Beklagten vom 11.06.2015 ist wirksam nach Maßgabe des § 649 S. 1 BGB.




Das Recht zur freien Kündigung ist zwar durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin ausgeschlossen worden. Dieser Ausschluss verstößt aber gegen § 307 BGB und ist daher unwirksam.

Die AGB der Klägerin bestimmen, dass die Laufzeit des Vertrags 48 Monate beträgt und dass der Vertrag aus wichtigem Grund gekündigt werden kann (§ 6 Abs. 2 der AGB). Darin ist ein Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts zu sehen, denn die vorgenannte Klausel ist gemäß §§ 133, 157 BGB so zu verstehen, dass ein Kündigungsrecht nur im Falle des Vorliegens eines wichtigen Grundes besteht. Andernfalls macht die Regelung des § 6 Abs. 2 der AGB nämlich keinen Sinn. Sie ist insbesondere auch vor dem Hintergrund der Befristung des Vertrags zu sehen. Eine solche bewirkt nämlich im Regelfall ohne Weiteres den Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung. Deswegen ist davon auszugehen, dass dies auch im Streitfall von der Klägerin als Verwenderin so gewollt und von ihren jeweiligen Vertragspartnern so zu verstehen war.

Dieser Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts erfasst auch die sogenannte freie Kündigung nach § 649 S. 1 BGB. Denn auch darin liegt eine Möglichkeit des Kunden, sich unabhängig von einem wichtigen Grund im Sinne von § 314 BGB vom Vertrag zu lösen, was nach dem Willen der Klägerin als Verwenderin der in Rede stehende AGB-​Klausel gerade nicht möglich sein sollte.

Der Ausschluss der freien Kündigung ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren und benachteiligt die Vertragspartner der Klägerin unangemessen (§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeiten im Werkvertragsrecht auf die außerordentliche Kündigung ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 649 S. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Denn grundsätzlich bestehen beide Kündigungsarten nebeneinander. § 314 BGB gilt auch im Werkvertragsrecht (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 24.09.2010, 22 S 64/10, juris, m.w.N.).

Die unangemessene Benachteiligung des Bestellers ergibt sich daraus, dass dieser durch den Ausschluss der Kündigung bis zur Vollendung des Werkes in ganz erheblichem Umfang in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird, während der Werkunternehmer auch im Fall der Kündigung durch den nach § 649 S. 2 BGB festgelegten Schadensersatzanspruch in ausreichendem Maße geschützt wird (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 24.09.2010, 22 S 64/10, juris; AG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2010, 44 C 13247/09, juris).



2. In Ansehung der wirksamen Kündigung durch die Beklagte steht der Klägerin  zwar im Grundsatz ein Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung nach §§ 631 Abs. 1, 649 S. 2 BGB zu. Die Klägerin hat aber die Höhe dieses Anspruchs nicht substantiiert dargelegt. Dazu hätte sie die erbrachten und die nicht erbrachten Leistungen darlegen und bezüglich letzterer die ersparten Aufwendungen vortragen müssen (vgl. Palandt-​Sprau, BGB, 76. Aufl., § 649 Rd. 11 m.w.N.). Sache der Beklagten wäre es dann gewesen, höhere Ersparnisse darzulegen und zu beweisen. Die Klägerin hat jedoch keinerlei Abrechnung vorgenommen.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 649 S. 3 BGB stützen. Voraussetzung für den Anspruch auf die Pauschale von 5 % ist nach § 649 S. 3 BGB, dass der Unternehmer die auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallende vereinbarte Vergütung darlegt. Es reicht nicht, die Gesamtvergütung darzulegen, denn diese ist nicht Grundlage für die Berechnung der Pauschale von 5 %. Vielmehr muss der Unternehmer auch insoweit darlegen, welche Leistungen er erbracht hat und welche Leistungen nicht erbracht worden sind. Er muss sodann auf der Grundlage der vertraglichen Vergütungsvereinbarung darlegen, welcher Teil der vereinbarten Vergütung auf die erbrachten und welcher Teil auf die nicht erbrachten Leistungen entfällt (BGH, Urteil vom 28.07.2011, VII ZR 45/11, juris). Auch hierzu fehlt jeder weitergehende Vortrag der Klägerin.

II.

Mangel berechtigter Hauptforderung ist auch der Zinsanspruch unbegründet.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum