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OLG Hamburg Urteil vom 15.08.2007 - 5 U 173/06 - Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung durch zweimonatiges Abwarten

OLG Hamburg v. 15.08.2007: Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung durch zweimonatiges Abwarten


Das OLG Hamburg (Urteil vom 15.08.2007 - 5 U 173/06) hat entschieden:

   Wenn der Verletzte in einer durchschnittlich schwierigen Wettbewerbssstreitigkeit fast zwei Monate zwischen der Kenntniserlangung von dem Wettbewerbsverstoß und der Einreichung des Verfügungsantrags vergehen lässt (ohne vorherige Abmahnung des Verletzers), kann er die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs.2 UWG selbst widerlegt haben.




Siehe auch
Abmahnung
und
Dringlichkeit


Zum Sachverhalt:


Die Parteien sind Wettbewerber beim Angebot von Mobilfunkdienstleistungen. Die Antragsgegnerin bewarb im Internet unter der Bezeichnung “Simyo Industries” einen Prepaid-Tarif. In diesem Internetauftritt wurde “Simyo Industries” als ein Forschungsunternehmen auf dem Gebiet der Gentechnologie dargestellt, deren Forschern es gelungen sei, “das Einfachheitsgen eines Pantoffeltierchens zu separieren und mit einer herkömmlichen SIM-Karte zu kreuzen”. Der Internetauftritt war an mehreren Stellen mit der Internetseite simyo.de der Antragsgegnerin verlinkt, auf der über die Konditionen des Prepaid-Tarifs informiert wird. Unstreitig existiert ein Unternehmen namens “Simyo Industries” nicht, sondern es handelte sich um einen Werbegag, um die Einfachheit des Prepaid-Tarifs der Antragsgegnerin in origineller und humorvoller Form bekannt zu machen.




Die Antragstellerin hält den Internetauftritt unter “Simyo Industries” wegen Irreführung über die geschäftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin für wettbewerbswidrig und nimmt die Antragsgegnerin im Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch. Sie hat eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg erwirkt, die nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens in folgender Fassung bestätigt worden ist:

   Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten,

   im geschäftlichen Verkehr unter der Bezeichnung “Simyo Industries” aufzutreten und/oder Werbung zu betreiben,

wenn diese geschieht wie aus der nachfolgenden Anlage ersichtlich (es folgt eine Ablichtung der Anlage ...)



Gegen dieses Urteil wendete sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung und beantragt eine Änderung des landgerichtlichen Urteils dahingehend, dass der Verfügungsantrag zurückgewiesen wird. Sie wiederholte und vertiefte ihren erstinstanzlichen Vortrag, dass der Verkehr den Auftritt von “Simyo Industries” als irreal erkenne. Auch meinte sie, dass eine etwaige Irreführung des Verkehrs jedenfalls nicht relevant sei, da der Internetauftritt von “Simyo Industries” nicht mit einem Produktabsatz verknüpft sei. Schließlich vertrat sie - wie schon in erster Instanz - die Auffassung, dass ein Verfügungsgrund nicht gegeben sei. Der Antragstellerin habe die seit dem 30.5.2005 parallel zu einem Fernsehspot geschaltete Seite schon vor dem von ihr genannten Zeitpunkt der Kenntnisnahme am 8.9.2005 nicht entgehen können. Außerdem habe die Antragstellerin mit dem erst am 4.11.2005 bei Gericht eingegangenen Verfügungsantrag zu lange zugewartet.

Die Antragstellerin verteidigte das erstinstanzliche Urteil. Zum Verfügungsgrund trug sie ergänzend vor, dass die streitgegenständliche Internetwerbung erst am 20.8.2005 geschaltet worden sein könne, da die Antragsgegnerin zu diesem Termin Inhaberin der dazugehörigen Domain “simyoindustries.de” geworden sei. Hierzu macht die Antragsgegnerin geltend, dass die vorherigen Inhaber die Domain treuhänderisch für sie gehalten hätten und die fragliche Werbung ab dem 7.7.2005 in das Internet eingestellt gewesen sei.

Die Berufung hatte Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragstellerin wegen des Internetauftritts unter “simyo industries” ein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht. Denn jedenfalls fehlt es an einem Verfügungsgrund. Nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin hat sie durch zu langes Zuwarten zwischen der Kenntniserlangung von dem streitgegenständlichen Internetauftritt und der Antragstellung die Vermutung des § 12 Abs.2 UWG selbst widerlegt.

Die Antragstellerin hat zu diesem, bereits in erster Instanz streitigen Punkt bis zur Senatsverhandlung lediglich vorgetragen, dass sie erst im Internet habe recherchieren müssen, um festzustellen, ob es ein Unternehmen “simyo industries” gebe. Dieser Vortrag ist nicht ausreichend, um einen Zeitablauf von fast zwei Monaten bis zur Einreichung des Verfügungsantrags zu erklären.



Nach ständiger Rechtsprechung der Wettbewerbssenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts beurteilt sich die Frage, welche Zeiträume noch als dringlichkeitsunschädlich anzusehen sind, nach sämtlichen Umständen des Einzelfalls, z.B. Umfang und Schwierigkeit der Sache, Notwendigkeit weiterer Ermittlungen, Zeitablauf wegen vorgerichtlichen Schriftverkehrs, Häufung von Feiertagen usw.. Danach kann ein Zeitablauf von fast zwei Monaten zwischen der Kenntniserlangung von einem Wettbewerbsverstoß und der Einreichung des Verfügungsantrags in dem einen Fall noch dringlichkeitsunschädlich sein, in dem anderen Fall nicht mehr.

Vorliegend ist Letzteres der Fall. Es handelt sich um einen durchschnittlich schwierigen Wettbewerbsfall. Zur Ermittlung des Verständnisses der streitgegenständlichen Werbung bedurfte es keinerlei sachverständiger Hilfe, da sich die Werbung an jeden Verbraucher richtet. Ermittlungen waren allenfalls insoweit anzustellen, als zu überprüfen war, ob es ein Unternehmen “simyo industries” tatsächlich gibt. Zu der hierzu durchgeführten Recherche und dem erforderlichen Zeitaufwand hat die Antragstellerin nicht substantiiert vorgetragen. Unter Zuhilfenahme des Internets, wo der Mitarbeiter H. der Antragstellerin nach seiner eidesstattlichen Versicherung vom 2.11.2005 recherchiert hat, und der verschiedenen Suchmaschinen dürfte der Rechercheaufwand kaum länger als einige Stunden in Anspruch genommen haben. Vorgerichtlicher Schriftverkehr oder sonstige Gründe für das Zuwarten bis zum 4.11.2005 sind ebenfalls nicht vorgetragen. Somit vermag sich der Senat der Beurteilung des Landgerichts, ein Verfügungsgrund habe vorgelegen, nicht anzuschließen.

Soweit die Antragstellerin in der Senatsverhandlung ergänzend zu den Gründen des Zeitablaufs ab Kenntnisnahme von der Werbung vorgetragen und eine weitere eidesstattliche Versicherung ihres Mitarbeiters H. vom 31.7.2007 eingereicht hat, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Berufungsinstanz nicht mehr zugelassen werden kann. Die Antragsgegnerin hat das Vorbringen auch nicht unstreitig gestellt, sondern mit Nichtwissen bestritten und Verspätung gerügt. Gründe für die Zulassung im Sinne des § 531 Abs.2 ZPO hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Diese sind auch nicht erkennbar, zumal – wie ausgeführt – die Frage der Dringlichkeit bereits in der ersten Instanz umstritten war. Der neue Vortrag ist schließlich nicht als zulässige Erwiderung auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 30.7.2007 berücksichtigungsfähig, denn dieser stellt seinerseits lediglich eine Reaktion auf den ebenfalls neuen Vortrag der Antragstellerin dar, die Antragsgegnerin sei erst seit dem 20.8.2006 Inhaberin der Domain “simyoindustries.de”, so dass die Werbung nicht früher habe geschaltet werden können. Dieser Vortrag ist für die Frage, ob die Antragstellerin nicht schon durch ihr eigenes Zuwarten ab einem nachdem 20.8.2005 liegenden Zeitpunkt die Dringlichkeit selbst widerlegt hat, ohne Belang, so dass ergänzender Vortrag zu diesem Punkt auch nicht mehr auf diesem Wege in prozessual beachtlicher Weise in den Rechtsstreit eingeführt werden kann.



Im Übrigen ist der neue Vortrag aber auch inhaltlich nicht ausreichend, um der Antragstellerin die Dringlichkeit zu erhalten. Soweit die Antragstellerin geltend gemacht hat, die Werbung habe umfassend in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht geprüft werden müssen, um dem Vorwurf einer rechtsmissbräuchlichen “Salamitaktik” zu entgehen, vermag dies schon deshalb nicht zu überzeugen, weil nicht näher dargelegt ist, welche weiteren denkbaren Wettbewerbsverstöße die streitgegenständliche Werbung verwirklichen soll. Soweit der Mitarbeiter Held der Antragstellerin vom 28.9. bis 14.10.2005 im Urlaub gewesen ist, hat sich dies schon nicht ausgewirkt, da er die Sache nach seiner eidesstattlichen Versicherung vom 31.7.2005 bereits am 8.9.2005 an das Büro der Prozessbevollmächtigten abgegeben hat (was im Übrigen ebenfalls bestätigt, dass die von ihm in seiner früheren eidesstattlichen Versicherung vom 2.11.2005 genannten Recherchen im Internet keinen nennenswerten Zeitaufwand erfordert haben können). Die Abstimmungen und mehrfachen Überarbeitungen des Verfügungsantrags seit dem 4.10.2005 bis zur Einreichung des Verfügungsantrags am 4.11.2005 mögen einen normalen Ablauf der Vorbereitung eines Rechtsstreits zwischen Mandant und Anwalt dokumentieren. An die Zügigkeit einer wettbewerbsrechtlichen Rechtsverfolgung im Eilverfahren sind jedoch höhere Anforderungen zu stellen und in der Praxis auch gang und gäbe, wie z.B. die knappen Fristsetzungen bei Abmahnungen zeigen. Erst recht gilt dies in einem Markt, in dem ein so scharfer Wettbewerb herrscht und so viele wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten geführt werden wie in der Telekommunikationsbranche. Eine Partei und ihre Prozessbevollmächtigten sind gehalten, ihre Arbeitsabläufe so zu organisieren, dass diesen Anforderungen in einer durchschnittlich schwierigen Wettbewerbssache wie der vorliegenden Rechnung getragen wird. Auch dem ergänzten Vortrag der Antragstellerin ist damit nach allem nicht zu entnehmen, dass der Antragstellerin nicht auch eine deutlich zügigere Rechtsverfolgung möglich gewesen wäre, wenn es ihr wirklich darauf angekommen wäre, die Sache im Eilverfahren zu betreiben. ..."

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