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BGH Urteil vom 30.11.1979 - I ZR 1/78 - Die Vorschriften des TextilKennzG sind wettbewerbsrechtlich wertneutral, deren Verletzung ist jedoch wettbewerbswidrig, wenn damit ein Vorsprung im Wettbewerb erstrebt wird

BGH v. 30.11.1979: Die Vorschriften des TextilKennzG sind wettbewerbsrechtlich wertneutral, deren Verletzung ist jedoch wettbewerbswidrig, wenn damit ein Vorsprung im Wettbewerb erstrebt wird


Der BGH (Urteil vom 30.11.1979 - I ZR 1/78) hat entschieden:

   Die Vorschriften des Textilkennzeichnungsgesetzes über Rohstoffgehaltsangaben sind wettbewerbsrechtlich wertneutrale Ordnungsvorschriften; deren Verletzung ist jedoch wettbewerbswidrig, wenn damit ein Vorsprung im Wettbewerb erstrebt wird.



Siehe auch
Textilien
und
Wettbewerb


Zum Sachverhalt:


Die Beklagte, ein Wäscheversandunternehmen, forderte durch Zeitungsanzeigen dazu auf, Bestellungen auf die von ihr vertriebenen Waren abzugeben. Jedenfalls bis April 1975 (Anzeige vom 1.4.1975 in "Neue Post" Nr 14/75; Anzeige vom 13.4.1975 in "Bild am Sonntag" Nr 15/75) hat sie in folgender Weise inseriert, ohne dabei Angaben über den Rohstoffgehalt ihrer Waren zu machen:

   "Neue Post" - Wäschepaket
Wäschepaket "Super" ...
"Bild am Sonntag" - Wäschepaket
"Elegance" ...

Die Klägerin, die satzungsgemäß das Ziel verfolgt, unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen, hält diese Anzeigen für wettbewerbswidrig, weil sie die nach § 1 Abs 2 des Textilkennzeichnungsgesetzes (TKG) vorgeschriebenen Rohstoffgehaltsangaben nicht enthielten. Sie meint, in dem Verstoß gegen die gesetzliche Kennzeichnungsvorschrift liege zugleich ein Verstoß gegen § 1 UWG, da sich die Beklagte durch ihre gesetzwidrige Werbung einen ungerechtfertigten Vorsprung vor ihren gesetzestreuen Mitbewerbern verschaffe.

Die Klägerin hat beantragt,

   der Beklagten zu verbieten, gewerbsmäßig im Versandhandel gegenüber Endverbrauchern in Zeitungsinseraten Textilerzeugnisse der Beklagten zum Zwecke der Bestellung auf dem Versandwege zu beschreiben, wenn in diesen Beschreibungen nicht eine Rohstoffgehaltsangabe für die angebotenen Textilerzeugnisse entsprechend den §§ 3 bis 10 des Textilkennzeichnungsgesetzes vom 25.8.1972 enthalten sei.

Demgegenüber meinte die Beklagte, ihre Zeitungsanzeigen verstießen nicht gegen § 1 Abs 2 TKG. Angaben über den Rohstoffgehalt seien nur erforderlich, wenn der Verbraucher aufgrund der Anzeige die Möglichkeit zu unmittelbarer Bestellung habe. Das sei bei ihren Anzeigen nicht der Fall, weil die von der Klägerin beanstandeten Inserate keinen vorgedruckten, ausschneidbaren Bestellschein enthielten. Für bloße Werbeanzeigen wie hier schreibe § 1 Abs 2 TKG die Rohstoffgehaltsangabe nicht vor. Abgesehen davon habe sich die Beklagte weder einen ungerechtfertigten Vorsprung vor Mitbewerbern verschafft, noch habe sie eine wettbewerbswidrige Täuschungshandlung begangen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Die Revision blieb erfolglos.





Aus den Entscheidungsgründen:


"I.

Das Berufungsgericht führt aus, die Beklagte verstoße mit den beanstandeten Zeitungsanzeigen gegen § 1 Abs 2 TKG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1972 (BGBl I S 1545). Die Beklagte habe es unterlassen, den Beschreibungen der von ihr vertriebenen Textilerzeugnisse die vorgeschriebenen Rohstoffgehaltsangaben beizufügen. Ihre Inserate seien nicht lediglich Anpreisungen von Waren, sondern Aufforderungen an die Verbraucher zu schriftlicher oder mündlicher Bestellung. Es sei unerheblich, dass ein Bestellvordruck in die Werbeanzeige nicht mitaufgenommen worden sei. Auch ohne einen solchen Vordruck habe der Verbraucher jederzeit die Möglichkeit, Ware bei der Beklagten zu bestellen. In dem Verstoß gegen die gesetzliche Kennzeichnungsvorschrift liege hier zugleich ein Verstoß gegen § 1 UWG. § 1 Abs 2 TKG sei wettbewerbsrechtlich zwar nicht wertbezogen, sondern eine wertneutrale Ordnungsvorschrift. Dennoch sei das Verhalten der Beklagten sittenwidrig, weil sie durch Weglassen der Rohstoffgehaltsangabe bewusst und planmäßig § 1 Abs 2 TKG zuwidergehandelt habe, um sich einen sachlich ungerechtfertigten Vorsprung vor ihren gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen. Sie habe dem Verbraucher einen Qualitätsvergleich der von ihr angebotenen Waren mit denen anderer Versandhändler unmöglich gemacht, aber gleichzeitig durch die in ihren Anzeigen enthaltenen Anpreisungen den Eindruck einer hohen Qualität ihrer Waren erweckt.

II.

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beklagte verpflichtet ist, in den von der Klägerin beanstandeten Zeitungsanzeigen die dort näher beschriebenen Textilerzeugnisse mit Rohstoffgehaltsangaben zu versehen. Nach § 1 Abs 2 TKG dürfen Beschreibungen von Textilerzeugnissen gewerbsmäßig letzten Verbrauchern zur Entgegennahme oder beim Aufsuchen von Bestellungen auf Textilerzeugnisse nur gezeigt oder überlassen werden, wenn sie mit einer Angabe über Art und Gewichtsanteil der verwendeten textilen Rohstoffe (Rohstoffgehaltsangabe) versehen sind. Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht in den beanstandeten Anzeigen eine solche Beschreibung erblickt.




Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts wirbt die Beklagte ua für den Verkauf von Wäschepaketen, die ein Sortiment von Bettwäsche, Frottiertüchern, Geschirrtüchern und Tischdecken enthalten, wobei sie zugleich alle für eine Bestellung benötigten Einzelheiten mitteilt, so ihre Versandanschrift und Telefonnummer, die Bezeichnungen und die Preise der Waren, die Höhe der Teilzahlungsgebühren und die Monatsraten, sowie Hinweise auf Umtauschrechte und auf die Möglichkeit einer Lieferung ohne Anzahlung. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Ausgestaltung der Anzeigen davon ausgeht, dass es sich bei ihnen um eine Aufforderung zur Abgabe von Bestellungen auf die bereits verkaufsfertig zusammengestellten Wäschepakete und sonstigen Leistungen handele und nicht nur um ein die Kauflust allgemein anreizendes Anpreisen von Waren, kann das aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden.

Ohne Erfolg wendet die Revision unter Berufung auf § 286 ZPO dagegen ein, dass ohne Beifügung eines Bestellscheinvordrucks, allein aus den Einzelheiten der Anzeige nicht die Aufforderung an das Publikum zur Abgabe von Bestellungen hergeleitet werden könne, weil ein Versandhandel, wie ihn die Beklagte betreibe, nur auf dem von der Klägerin beanstandeten Wege die Möglichkeit habe, sich werbend an Kunden zu wenden. Der Beklagten steht es frei zu entscheiden, wie sie ihre Geschäfte gestaltet und abwickelt und auf welchem Wege sie den Käufer anspricht. Wie jeder ihrer Mitbewerber muss aber auch sie sich dabei im Rahmen der Gesetze halten, also auch die Kennzeichnungsvorschriften des Textilkennzeichnungsgesetzes beachten, wenn sie mit Werbeanzeigen um Kunden wirbt. Handelt es sich dabei, wie hier, um Beschreibungen von Textilerzeugnissen im Sinne von § 1 Abs 2 TKG, kann es deshalb für die vorgeschriebenen Rohstoffgehaltsangaben entgegen der Auffassung der Revision nicht darauf ankommen, welche Möglichkeiten der Werbung der Beklagten als einem Versandhandelsunternehmen zur Verfügung stehen und ob ihren Anzeigen ein Bestellscheinvordruck beigefügt ist. Denn die Verpflichtung zur Rohstoffgehaltsangabe gilt unter den Voraussetzungen des § 1 TKG allgemein und unterschiedslos auch für die Unternehmen der Versandhandelsbranche, und die Möglichkeit zur Abgabe von Bestellungen ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts über den Inhalt der Werbeanzeigen, der Beklagten auch ohne Beifügung eines Bestellscheins ohne weiteres gegeben. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Verpflichtung zur Rohstoffgehaltsangabe eine mit Art 2 Abs 1, 12 Abs 1 und 14 Abs 1 GG nicht zu vereinbarende Beeinträchtigung der Gewerbetätigkeit der Beklagten enthalten soll, wie die Revision meint. Denn weder hindern die Vorschriften des § 1 TKG den Unternehmer, sich wirtschaftlich frei zu entfalten (vgl BVerfG 12, 341, 347; NJW 1963, 1243), noch beeinträchtigen sie das Grundrecht der freien Berufsausübung oder das am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (vgl BGH GRUR 1977, 799, 800 - Rohstoffgehaltsangabe). Worin eine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift erblickt werden könnte, führt auch die Revision nicht aus.

2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage der Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten unterliegen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.



a) Das Berufungsgericht geht davon aus, dass sich die Unlauterkeit des Verhaltens der Beklagten nicht schon aus dem Verstoß gegen § 1 Abs 2 TKG ergebe, weil nicht jede Missachtung gesetzlicher Vorschriften als sittenwidrig im Sinne von § 1 UWG gewertet werden könne. Dem ist zuzustimmen. Zur Frage der Sittenwidrigkeit von Verstößen gegen Preisauszeichnungsvorschriften hat der erkennende Senat wiederholt ausgesprochen, dass es sich bei diesen Bestimmungen um wertneutrale Vorschriften zum Schutze der Verbraucher handelt, die nicht Ausdruck einer sittlichen Wertung sind (GRUR 1973, 655 - Möbelauszeichnung; 1974, 281 - Clipper; 1979, 553, 554 - Luxus-Ferienhäuser). Bei den Verstößen gegen Bestimmungen des Textilkennzeichnungsgesetzes gilt nichts anderes. Auch diese Vorschriften dienen in erster Linie dem Schutz des Verbrauchers (BGH GRUR 1977, 799, 800 - Rohstoffgehaltsangabe). Dieser soll sich über die verarbeiteten Materialien, deren Qualität und Verwendbarkeit unterrichten und seinen Kaufentschluss in voller Kenntnis dieser Umstände treffen können (siehe die Begründungen der Regierungsentwürfe zum Textilkennzeichnungsgesetz vom 1.4.1969 und zum 3. Gesetz zur Änderung des Textilkennzeichnungsgesetzes vom 7.8.1972, BT-Drucks V/2865 und VI/3344). Vorschriften dieses Inhalts und dieser Zielsetzung sind nicht ohne weiteres Ausdruck einer sittlichen Grundanschauung. Zwar trifft zu, dass auch das Textilkennzeichnungsgesetz wettbewerbsrechtliche Bezüge insofern aufweist, als es im Rahmen und infolge seiner dem Verbraucherschutz dienenden Zweckbestimmung Maßnahmen und Tätigkeiten der Wettbewerber beeinflusst. Indessen handelt es sich dabei nur um die Auswirkung von Vorschriften, die im Verbraucherinteresse aus Gründen ordnender Zweckmäßigkeit erlassen worden sind, aber nicht derart unmittelbar in den Wettbewerb eingreifen, dass ihre Missachtung nach den Anschauungen eines verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden und der Allgemeinheit ein Verstoß gegen die guten Sitten wäre.

b) Gleichwohl ist im Streitfall nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts der Verstoß gegen § 1 Abs 2 TKG gleichzeitig auch wettbewerbswidrig, weil sich die Beklagte dadurch einen sachlich ungerechtfertigten Wettbewerbsvorsprung vor ihren gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft hat.

Das Berufungsgericht führt aus, die Beklagte habe sich auch durch zwei abmahnende Schreiben der Klägerin vom 14. Januar und 13. Februar 1975 nicht von weiterer Veröffentlichung der beanstandeten Zeitungsanzeigen abhalten lassen. Dieser Tatsache entnimmt das Berufungsgericht, dass es die Beklagte bewusst und planmäßig unterlassen habe, die Rohstoffgehaltsangabe gemäß § 1 Abs 2 TKG mitzuteilen. Entgegen den Ausführungen der Revision ist diese Würdigung des Verhaltens der Beklagten aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass jedenfalls für die Zeitungsanzeigen vom 1. April und 13. April 1975 von einem vorsätzlichen Gesetzesverstoß auszugehen ist, begegnet daher keinen Bedenken (vgl BGH GRUR 1979, 553, 554 - Luxus-Ferienhäuser).

Zutreffend ist schließlich die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe sich durch ihre gesetzwidrige Werbung auch einen Vorsprung vor gesetzestreuen Wettbewerbern verschafft, indem sie sich durch das Unterlassen einer Rohstoffgehaltsangabe der Möglichkeit eines Preisvergleichs und Qualitätsvergleichs der von ihr angebotenen Waren mit denen anderer Versandhändler entzogen habe. Auch diese Ausführungen lassen einen Rechtsverstoß nicht erkennen. ..."

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