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EuGH Urteil vom 09.06.2005 - C-211/03 - Zur Auslegung der Arzneimittel-Richtlinie EuGH v. 09.06.2005: Zur Auslegung der Arzneimittel-Richtlinie

Das EuGH (Urteil vom 09.06.2005 - C-211/03) hat entschieden:

URTEIL DES GERICHTSHOFES

(Erste Kammer)

vom 9. Juni 2005


In den verbundenen Rechtssachen C-211/03, C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) mit Beschlüssen vom 7. Mai sowie vom 4., 3., 7. und 8. Juli 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai, 11. und 24. Juli 2003,

in den Verfahren HLH Warenvertriebs GmbH (C-211/03), Orthica BV (C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03)

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

unterstützt durch den Vertreter des öffentlichen Interesses beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,

hat der Gerichtshof (Erste Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), M. Ilešič und E. Levits - Generalanwalt: L. A. Geelhoed; Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin - am 9. Juni 2005 ein Urteil mit folgendem Tenor erlassen:

   Die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel oder als Lebensmittel muss unter Berücksichtigung aller seiner Merkmale vorgenommen werden, die das Erzeugnis sowohl in seinem ursprünglichen Zustand als auch dann aufweist, wenn es gemäß der Gebrauchsanweisung in Wasser oder Joghurt verrührt worden ist.

Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit stellt gegenüber der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel eine ergänzende Regelung dar, deren Anwendung insoweit ausgeschlossen ist, als eine Gemeinschaftsregelung wie diese Richtlinie für bestimmte Kategorien von Lebensmitteln spezielle Bestimmungen enthält.

Auf ein Erzeugnis, das sowohl die Voraussetzungen eines Lebensmittels als auch diejenigen eines Arzneimittels erfüllt, sind nur die speziell für Arzneimittel geltenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden.

Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, aufgrund dessen die mitgliedstaatlichen Behörden ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten dieses Erzeugnisses zu beurteilen haben, ob es im Sinne des Artikels 1 Nummer 2 Absatz 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden. Die Gesundheitsgefahr, die die Verwendung eines Erzeugnisses nach sich ziehen kann, ist ein eigenständiger Faktor, den die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen der Einstufung dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ebenfalls zu berücksichtigen haben.

Ein Erzeugnis, das ein Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 darstellt, kann nur dann in einen anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, wenn eine gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen erwirkt wurde, und zwar auch dann, wenn das Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel in zulässiger Weise vertrieben wird.

Dem Begriff der "sicheren Höchstmengen" in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2002/46 kommt für die Zwecke der Unterscheidung zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln keine Bedeutung zu.

Ein Mitgliedstaat kann im Rahmen der Prüfung, welche Gefahren Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel für die Gesundheit der Bevölkerung heraufbeschwören können, das Kriterium des Ernährungsbedürfnisses seiner Bevölkerung berücksichtigen. Jedoch reicht das Fehlen eines solchen Bedürfnisses allein nicht aus, ein völliges Verbot des Inverkehrbringens von in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten oder in den Verkehr gebrachten Erzeugnissen, sei es nach Artikel 30 EG oder nach Artikel 12 der Richtlinie 2002/46, zu rechtfertigen.

Der Umstand, dass der Beurteilungsspielraum der nationalen Behörden hinsichtlich der Feststellung des Fehlens eines Ernährungsbedürfnisses gerichtlich nur beschränkt überprüfbar ist, steht unter der Voraussetzung mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang, dass das nationale Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen dieser Behörden auf diesem Gebiet dem mit einer Anfechtungsklage gegen eine solche Entscheidung befassten Gericht ermöglicht, im Rahmen der Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit die maßgebenden Grundsätze und Vorschriften des Gemeinschaftsrechts tatsächlich anzuwenden.

Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten ist dahin auszulegen, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat in der Gemeinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls feststeht, dass dieses Lebensmittel oder diese Lebensmittelzutat vor dem Bezugszeitpunkt in keinem Mitgliedstaat in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Bezugszeitpunkt für die Prüfung des Umfangs des menschlichen Verzehrs dieses Lebensmittels oder dieser Lebensmittelzutat ist der 15. Mai 1997.

Ein nationales Gericht kann keine Fragen zur Einstufung von Erzeugnissen an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit richten. Ein eventuell von dieser Behörde erstattetes Gutachten zu einer Frage, die Gegenstand eines vor einem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits ist, kann ein Beweismittel darstellen, das dieses Gericht im Rahmen dieses Rechtsstreits berücksichtigen müsste.


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