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OLG Naumburg Urteil vom 15.03.2012 - 9 U 208/11 - Kein Auskunftsanspruch gegenüber der Bank bei Vertrieb markenverletzender Ware via Internet

OLG Naumburg v. 15.03.2012: Kein markenrechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber der Bank bei Vertrieb markenverletzender Ware via Internet- Bankauskunft


Das OLG Naumburg (Urteil vom 15.03.2012 - 9 U 208/11) hat entschieden:

   Kreditinstitute haben gegenüber einem Markeninhaber ein Auskunftsverweigerungsrecht hinsichtlich personenbezogener Daten solcher Kunden, über deren Konto der gewerbliche Verkauf von offensichtlich gefälschter Ware abgewickelt worden ist. Die Regelungen in §§ 19 Abs. 2 MarkenG; 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind mit der Richtlinie 2004/48/EG des europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vereinbar.




Siehe auch Markenrecht und Markenwaren - Vertrieb über das Internet, insbesondere über eBay oder andere Auktionsplattformen oder Discounter


Gründe:


I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Auskunft über Name und Anschrift eines Kontoinhabers in Anspruch.

Die Klägerin ist weltweite Lizenznehmerin für die Herstellung und den Vertrieb des Parfums „D. “. Im Rahmen ihrer Marktbeobachtung stieß sie im Januar 2011 auf das Angebot eines Verkäufers, der unter dem Synonym „...“ über die Internetauktionsplattform B. Parfum anbot. Nach Auskunft von B. war S. F., J.-​Straße 1, M. die Verkäuferin. Der Anbieter erbat die Zahlung auf das bei der Beklagten geführte Konto. Nachdem die Klägerin den Betrag überwiesen hatte, erhielt sie unter dem Nachnamen „H.“ ein Päckchen mit der Ware. Hierbei handelte es sich um eine auch für einen Laien erkennbare Fälschung (vgl. Anlage K 11; Bd. I, Bl. 44 d. A.). Eine Umsatzanalyse bei B. ergab ferner, dass der Verkäufer „...“ zwischen dem 12.12.2010 und 14.01.2011 einen Gesamtumsatz von 10.956,63 EUR erzielt hatte.

Die Klägerin behauptet, sie habe sich an S. F. gewandt und von ihr die Auskunft erhalten, nicht die Verkäuferin des Parfums zu sein und wegen eines bestehenden Zeugnisverweigerungsrechtes keine weiteren Informationen zu erteilen. Daraufhin forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 14.03.2011 erfolglos auf, Auskunft über Name und Anschrift des Kontoinhabers zu erteilen.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht verurteilte die Beklagte antragsgemäß und führte zur Begründung aus, es liege eine offensichtliche Rechtsverletzung vor, die unter Nutzung des von der Beklagten bereitgestellten Kontos erfolgt sei. Ein Zeugnisverweigerungsrecht stehe der Beklagten nicht zu. Das Bankgeheimnis wirke nur zwischen der Beklagten und dem Kontoinhaber, nicht jedoch gegenüber Dritten. Zudem überschreite das im nationalen Recht vorgesehene Zeugnisverweigerungsrecht die in Art. 8 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2004/48/EG vorgesehenen Einschränkungen des Auskunftsrechtes.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vertritt sie die Ansicht, das bei ihr geführte Konto stelle keine für die Rechtsverletzung genutzte Dienstleistung dar, da ein Zweckzusammenhang fehle. Der Zahlungsvorgang vollziehe sich erst nach einer vollendeten Schutzrechtsverletzung. Zudem sei die Benutzung für die Durchführung des identitätsverschleiernden Verkaufes weder abstrakt noch konkret erforderlich. Die Beklagte habe den Absatz der gefälschten Ware weder objektiv nach subjektiv gefördert. Sie sei von Rechts wegen verpflichtet, Girokonten auf Guthabenbasis zu führen. Einer Prüfungspflicht, welche Geschäfte über die bei ihr geführten Konten abgewickelt würden, bestünde nicht. Insbesondere sei für sie nicht ersichtlich, ob eine „offensichtliche Rechtsverletzung“ vorliege.

Die Beklagte könne sich ferner auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, das alle kundenbezogenen Tatsachen beträfe. Schließlich sei eine Preisgabe von Informationen nach dem Datenschutzrecht nur mit Einwilligung des Kunden möglich, die hier jedoch fehle.

Die Beklagte beantragt,

   das am 28. September 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg, Geschäftsnummer 7 O 545/11, aufzuheben.

Die Klägerin beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens darauf hin, dass das nationale Markenrecht in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2008/48/EG ausgelegt werden müsse. Das danach postulierte hohe Schutzniveau könne nur erreicht werden, wenn auch Banken zur Auskunft über die mutmaßlichen Rechtverletzer verpflichtet seien, weil der unbare Zahlungsverkehr in Vollzug eines Fernabsatzgeschäftes eine klassische Methode darstelle, die Identität eines Markenverletzers zu verschleiern. Nur wenn die Zahlung eingehe, komme es auch tatsächlich zum Warenaustausch.

Die Beklagte könne sich nicht auf das Bankgeheimnis berufen, das sich jedenfalls nicht auf Namen und Anschrift des Verkäufers beziehe. Hierbei handele es sich nicht um ein Geheimnis, weil der Händler diese Angaben sogar offen legen müsse. Die Güterabwägung falle zu Lasten des Verletzers aus, weil eine Auskunftspflicht der Bank nur bei „offensichtlichen Rechtsverletzungen“ bestehe. Zudem sei das Bankgeheimnis immanent beschränkt, soweit gesetzliche Auskunftspflichten bestünden. Das vom Markengesetz in Bezug genommene Zeugnisverweigerungsrecht nach der Zivilprozessordnung sei richtlinienkonform eng auszulegen bzw. sogar unangewendet zu lassen.

Wegen des weitergehenden Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.





II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und auch begründet worden (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO). Sie ist auch in der Sache erfolgreich und führt zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung, die auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung nach §§ 513, 546 ZPO beruht. Die Klägerin kann aus keinem Rechtsgrund verlangen, dass ihr Name und Anschrift des Inhabers des Kontos genannt werden, über das der Testkauf abgewickelt worden ist. Eine derartige Verpflichtung ergibt sich insbesondere nicht aus § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Markengesetz, der als Spezialregelung anderweitige Auskunftsansprüche – etwa nach § 242 BGB – verdrängt. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Markengesetz kann der Inhaber in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg von widerrechtlich gekennzeichneten Waren auch gegenüber einer Person verlangen, die im gewerblichen Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte. Das gilt allerdings nicht, wenn die Person nach § 383 ZPO im Prozess gegen den Verletzer zur Zeugnisverweigerung berechtigt wäre.

1. Die Klägerin ist zwar nicht Markeninhaberin, hat jedoch eine weltweite Lizenz zur Herstellung und zum Vertrieb von Parfümerie- und Kosmetikprodukten unter der Marke D. . Sie ist berechtigt, die Rechte am geistigen Eigentum von Z. D. SA in der Klasse 3, insbesondere Marken- und Wettbewerbsrechte, im eigenen Namen geltend zu machen (vgl. Anlage K 2; Bd. I, Bl. 8 d. A.). Sie steht daher dem Markeninhaber gleich (vgl. § 30 Markengesetz).

2. Die unter dem Namen S. F. /R. H. agierenden Verkäufer brachten über das Internetportal B. Parfums in den Verkehr, die offensichtlich eine Fälschung darstellten. Dies ist auch ohne besondere Fachkenntnisse anhand der unterschiedlichen Verpackung von Original einerseits und Ware aus dem Testkauf andererseits erkennbar (vgl. Lichtbilder in Anlage K 11; Bd. I, Bl. 44 d. A.). Da die Beklagte vorgerichtlich darauf hingewiesen worden, dass über ein bei ihr betriebenes Konto markenrechtswidrige Vorgänge abgewickelt werden (vgl. Anlage K 9), kann sie sich darauf berufen, die Auskunftserteilung sei für sie unzumutbar, weil die von ihren Kunden durchgeführten Geschäfte außerhalb ihres Wahrnehmungsbereiches lägen. Dass im Rahmen des Testkaufs eine erkennbare Fälschung veräußert worden ist, nimmt auch sie nicht in Abrede.



Die Rechtsverletzung erfolgte auch „im geschäftlichen Verkehr“ (vgl. §§ 19 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 2 Markengesetz). Darunter versteht man jede wirtschaftliche Tätigkeit auf dem Markt, die der Förderung des eigenen oder fremden Geschäftszwecks zu dienen bestimmt ist. Ausgeschlossen ist lediglich der Privatverkehr. Davon ist aber nicht mehr auszugehen, wenn die Ware einer unbestimmten Vielzahl von Personen angeboten wird (vgl. BGH, GRUR 1987, 438, 440). Hier handelten die unter dem Namen F. /H. firmierenden unbekannten Täter im eigenen Absatzinteresse, was bereits der von ihnen zwischen dem 12.12.2010 und 14.01.2011 bei B. erzielte Umsatz von 10.956,63 EUR zeigt.

3. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Markengesetz ist eine Person, die im gewerblichen Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbringt, zur Auskunft verpflichtet. Mit dieser Regelung wurde der Kreis der Auskunftsschuldner erweitert. Dazu gehört nicht nur der Verletzer. Das Institut der Störerhaftung ermöglicht auch die objektive Zurechnung willentlich und adäquat kausal erbrachter Verursachungsbeiträge zu einer Rechtsverletzung unter der Bedingung, dass die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung der Handlung bestand und zumutbare Prüfungspflichten verletzt wurden (vgl. BGHZ 158, 236, 251 – Internetversteigerung; BGHZ 148, 13, 17 – ambiente.de). Während die Auskunftspflicht für die vorgenannten Gruppen schon aus § 19 Abs. 1 Markengesetz folgt, wird sie durch § 19 Abs. 2 Nr. 3 Markengesetz hinsichtlich solcher Personen erweitert, die – wie die Beklagte – keine zumutbaren Prüfungspflichten verletzt haben (vgl. Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 19 Rn. 29).

a) Die Beklagte hat die von den Verletzern genutzte Dienstleistung – die Führung des Girokontos – „in gewerblichem Ausmaß“ erbracht. Weil § 19 Markengesetz der Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG des europäischen Parlamentes und des Rates vom 29.04.2004 zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums dient, kann zur Auslegung dieses Merkmals auf die dieser Richtlinie vorangestellten Erwägungen zurückgegriffen werden. Nach Erwägung Nr. 14 ist von einem „gewerblichen Ausmaß“ auszugehen, wenn „die beanstandete Handlung zur Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen wird; das schließt in der Regel Handlungen aus, die im guten Glauben vom Endverbraucher vorgenommen werden“.

Die Beklagte wurde demnach in gewerblichem Ausmaß tätig, weil sie ihre Zahlungsdienste gegen Entgelt anbietet oder weil die Girokonten – soweit sie kostenfrei geführt werden – als sogenanntes Ankergeschäft für andere Angebote, insbesondere die Vergabe von Krediten, dienen.

b) Die Beklagte hat Zahlungsdienste erbracht, welche für die rechtsverletzende Tätigkeit genutzt worden sind (vgl. Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., § 19 Rn. 20). Der in der Berufungsbegründung zu Recht postulierte Zweckzusammenhang zwischen der Dienstleistung einerseits und der Rechtsverletzung andererseits besteht vorliegend darin, dass sich die Täter nicht nur des virtuellen Handelsplatzes (der Internetauktionsplattform B.), sondern auch der unbaren Zahlungsart bedient haben, um ihre wahre Identität zu verschleiern. Weil sie ihm gegenüber nicht unmittelbar in Erscheinung treten, sind sie für den jeweiligen Markeninhaber bzw. Lizenznehmer weniger greifbar als bei einer Barzahlung und Abholung der Ware. Vor diesem Hintergrund reduziert sich die Zahlung auch nicht lediglich auf einen vom eigentlichen Markenverstoß abgelösten, eigenständig zu bewertenden Vollzugsakt. Die Rechtsverletzung ist vielmehr ein zeitlich gestreckter Vorgang. Weil die Verkäufer die Verschickung der Ware von einer Vorleistung durch den Käufer abhängig gemacht haben (vgl. Anlage K 3), ermöglicht die Zahlung über das bei der Beklagten unterhaltene Konto erst einen Eingriff in das Recht der Klägerin, welches sich nach §§ 14 Abs. 3, 30 Markengesetz auch auf das In-​Verkehr-​Bringen der Ware bezieht.

Eine Auskunftspflicht setzt indes nicht voraus, dass die Dienstleistung für die Rechtsverletzung erforderlich ist. Nach dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Markengesetz genügt es, dass sie tatsächlich hierfür genutzt worden ist, auch wenn die Täter den Geldtransfer anders hätten organisieren können (etwa durch Verschickung von Bargeld).

4. Die Beklagte kann eine Auskunft indes nach §§ 19 Abs. 1 Satz 1 Markengesetz; 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO verweigern, weil sie in einem Zivilprozess gegen den Verletzer zur Zeugnisverweigerung berechtigt wäre. Dieses Recht steht nach den vorgenannten Vorschriften jeder Person zu, soweit ihr kraft ihres Gewerbes Tatsachen anvertraut worden sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur geboten ist. Dies gilt insbesondere für Kreditinstitute (vgl. Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., § 383, Rn. 6), weil Kontodaten generell sensibel sind. Das betrifft – wie sich aus § 824 BGB (Kreditgefährdung) ableiten lässt – nicht nur die Vermögensverhältnisse, sondern auch andere Personen bezogene Daten wie Namen und Anschrift. Denn es sind nicht nur solche Tatsachen „anvertraut“, die der Zeuge aufgrund einer vertraulichen Mitteilung erfahren hat. Es genügt, dass er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit von objektiv vertraulichen Tatsachen Kenntnis erhält (vgl. BGH, NJW 2011, 1077; NJW 1984, 2893, 2894). Bei der Auslegung des Umfangs des Zeugnis- bzw. Auskunftsverweigerungsrechtes lässt sich zwar nicht unmittelbar auf das Bankgeheimnis zurückgreifen, weil es sich hierbei um eine rechtsgeschäftlich begründete Verpflichtung zwischen Kreditinstitut und Kunde handelt (vgl. Nr. 2 Abs. 1 AGB-​Banken). Eine vertragliche Schweigepflicht, deren Umfang die Beteiligten selbst festlegen, kann nicht den Inhalt eines gesetzlichen Auskunftsverweigerungsrechts bestimmen. Indes hat die Rechtsprechung für andere Berufsträger geklärt, welche Tatsachen in das Zeugnisverweigerungsrecht fallen. So dürfen etwa Notare Angaben über Zeit und Ort der Verhältnisse, die Identität der Beteiligten, den Inhalt von Erklärungen und erteilter Belehrungen sowie über vorbereitende Maßnahmen verweigern (vgl. BGH, NJW 2005, 1948). Diese Überlegungen lassen sich auch auf Kreditinstitute übertragen, die bei der Eingehung eines Zahlungsdienstevertrages neben anderen vertraulichen Daten auch Name und Anschrift aufnehmen. Da das Markengesetz nicht auf das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht in § 53 StPO Bezug nimmt, sondern auf § 383 ZPO, welcher den Kreis der schweigeberechtigten Personen weiterzieht, ist die Beklagte nach Maßgabe des nationalen Rechtes nicht zur Auskunft verpflichtet.




b) Eine richtlinienkonforme einschränkende Auslegung von §§ 19 Abs. 2 Markengesetz; 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist nicht veranlasst.

§ 19 Abs. 2 Markengesetz dient der Umsetzung der Enforcement-​Richtlinie 2004/48/EG. Das Prinzip der Unionstreue nach Art. 4 Abs. 3 EU-​Vertrag verlangt, dass Bestimmungen des nationalen Rechts soweit wie möglich richtlinienkonform ausgelegt werden (vgl. EuGH, verbundene Rechtssachen C-​397/01 bis C-​403/01; Herdegen, Europarecht, 12. Aufl., S. 180). Der Richter in einem EU-​Mitgliedstaat muss dabei alle Spielräume der Auslegung ausreizen. Allerdings hat der EuGH auch klargestellt, dass dies nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem führen darf (vgl. EuGH, Rechtssache C-​105/03, Sammlung 2005 I-​5258 Rn. 47). Vor diesem Hintergrund ist es – entgegen den Ausführungen der Klägerin – nicht zulässig, das nationale Recht unangewendet zu lassen. Der Anwendungsvorrang gilt nur für Unionsrecht, das unmittelbare Geltung beansprucht, etwa das Primärrecht oder Verordnungen (vgl. Herdegen, Europarecht, 12. Aufl. § 10 Rn 1). Bei Richtlinien, die der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürfen, kommt lediglich eine richtlinienkonforme Auslegung in Betracht; im vorliegenden Fall etwa eine teleologische Reduktion des Auskunftsverweigerungsrechtes. Dafür besteht jedoch keine Veranlassung, weil die Einschränkung des Auskunftsanspruchs nach nationalem Recht mit der Richtlinie 2004/48/EG vereinbar ist (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.11.2011, 2 W 56/11). Hierzu heißt es in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie:

   „Die Absätze 1 und 2 [Auskunftsrecht, Anmerkung des Senats] gelten unbeschadet anderer gesetzlicher Bestimmungen die […]

d) die Verweigerung von Auskünften zulassen, mit denen die in Abs. 1 genannte Person gezwungen würde, ihre Beteiligung oder die Beteiligung enger Verwandter an einer Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums zuzugeben, oder

e) den Schutz der Vertraulichkeit von Informationsquellen oder die Verarbeitung personenbezogener Daten regeln.“

Während Art. 8 Abs. 3 lit. d der Richtlinie nur die Zeugnisverweigerungsrechte aus persönlichen Gründen betrifft (vgl. § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO i. V. m. § 384 Nr. 2 ZPO), ist das hier relevante Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen in § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch Art. 8 Abs. 3 lit. a Alt. 1 der Richtlinie gedeckt, weil es dem „Schutz der Vertraulichkeit von Informationsquellen“ dient. Der Kunde ist für das Kreditinstitut eine „Informationsquelle“, weil er im Laufe des Zahlungsdienstevertrages persönliche Daten preisgeben muss (u. a. Namen und Anschrift) und sich für das Kreditinstitut aus der Kontobeziehung einer Reihe von weiteren Erkenntnissen über seine wirtschaftlichen Verhältnisse ergeben. Diese Auslegung steht nicht in Widerspruch zu den Erwägungen, die der Richtlinie zur Erläuterung ihres Zwecks vorangestellt wurden. Dort heißt es unter Nr. 20:

   „Da Beweismittel für die Feststellung einer Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung sind, muss sichergestellt werden, dass wirksame Mittel zur Vorlage, zur Erlangung und zur Sicherung von Beweismitteln zur Verfügung stehen. Die Verfahren sollten den Rechten der Verteidigung Rechnung tragen und die erforderlichen Sicherheiten einschließlich des Schutzes vertraulicher Informationen bieten. Bei in gewerblichem Ausmaß vorgenommenen Rechtsverletzungen ist es ferner wichtig, dass die Gerichte gegebenenfalls die Übergabe von Bank-​, Finanz- und Handelsunterlagen anordnen können, die sich in der Gewalt des angeblichen Verletzers befinden sollen.“

Diese Erwägung ist für die Auslegung von Bedeutung, weil sie auch die Erlangung von Beweismitteln betrifft. Aus ihr lässt sich ableiten, dass der Schutz des geistigen Eigentums nicht um jeden Preis verwirklicht werden soll, sondern sich in einem Spannungsverhältnis zu anderen Rechtsgütern befindet. Einerseits gibt die Richtlinie ein hohes Schutzniveau vor. Sie fordert etwa ein, dass ihr Anwendungsbereich soweit wie möglich gewählt wird (Erwägung Nr. 13) und das wirksame Mittel der Beweissicherung geschaffen werden (Erwägung Nr. 20). Andererseits gewährleistet sie aber auch, dass sich diejenigen, die wegen einer Verletzung des geistigen Eigentums in Anspruch genommen werden, wirksam verteidigen können, wozu auch der Schutz vertraulicher Informationen gehört.

Die Erwägung Nr. 20 erhält einen eigenen Satz über die Behandlung von Bankunterlagen. Er ist im vorliegenden Kontext von Bedeutung, auch wenn es hier nicht um die Übergabe von verkörperten Dokumenten geht, welche die Beklagte im Zusammenhang mit dem Zahlungsdienstevertrag über das Konto aufgezeichnet hat, über das der Testkauf abgewickelt worden ist. Der der Erwägung Nr. 20 zugrunde liegende Gedanke lässt sich nämlich auf die hier begehrte Auskunft übertragen. Danach sollen Gerichte in die Lage versetzt werden, die Übergabe von Bank-​, Finanz- und Handelsunterlagen anzuordnen, die sich in der Gewalt des angeblichen Verletzers befinden sollen. Der Richtliniengeber hat also offensichtlich bewusst solche Unterlagen von der Herausgabepflicht ausgenommen, die sich noch im Gewahrsam des Kreditinstituts befinden.



Die zum Teil gegenläufigen Zielsetzungen eines effektiven Rechtsschutzes einerseits und angemessener Verteidigungsmöglichkeiten einschließlich des Schutzes vertraulicher Informationen andererseits finden sich auch im eigentlichen Richtlinientext. Nach § 6 Abs. 2 wird der Zugriff auf Bankunterlagen eröffnet, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet ist (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Richtlinie). Dieselbe Einschränkung gilt für das in Art. 8 Abs. 1 statuierte Auskunftsrecht.

Die Beschränkung des Zugriffs auf die im Besitz des angeblichen Verletzers befindlichen Unterlagen und der Schutz vertraulicher Informationsquellen ist in der Richtlinie also wiederholt abgebildet und muss um so mehr gelten, wenn Unbeteiligte zum Vorteil von Vermögensinteressen einzelner Opfer von staatlichem Zugriff werden sollen. Daher kann sich insbesondere auch die Beklagte hierauf berufen, die an der Verletzung des geistigen Eigentums nicht beteiligt war und nicht einmal Störer ist (vgl. oben 3).

Der Senat darf die Richtlinie, die für die Interpretation des nationalen Rechtes von Bedeutung ist, selbst auslegen, ohne sie nach Art. 267 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AEUV dem EuGH vorlegen zu müssen, weil dieses Urteil mit der Revision anfechtbar ist.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung, weil eine höchstrichterliche Entscheidung zu der erst am 01.09.2008 in Kraft getretenen Regelung noch nicht vorliegt. Zudem zeigen mehrere – zum Teil divergierende – Entscheidungen von Instanz- oder Obergerichten die Bedeutung der Rechtsfrage in der markenrechtlichen Praxis.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 3, 4 ZPO, 47 GKG.


Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

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