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BGH Beschluss vom 17.08.2011 - I ZR 84/09 - Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Markenrechtsrichtlinie

BGH v. 17.08.2011: Vereinbarkeit einer nationalen Regelung über die rechtserhaltende Benutzung einer Marke mit Gemeinschaftsrecht - PROTI


Der BGH (Beschluss vom 17.08.2011 - I ZR 84/09) hat entschieden:
Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Markenrechtsrichtlinie: Vereinbarkeit einer nationalen Regelung über die rechtserhaltende Benutzung einer Marke mit Gemeinschaftsrecht - PROTI




Siehe auch Markenrecht für Onlinehändler und Lebensmittel - Genussmittel - Inhaltsstoffe - Kennzeichnung


Tenor:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

  2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Ersten Richtlinie 89/104/EWG vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. EG Nr. L 40 vom 11. Februar 1989, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1. Ist Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 89/104/EWG dahin auszulegen, dass diese Vorschrift generell und allgemein einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der von der Benutzung einer Marke (Marke 1) auch dann auszugehen ist, wenn die Benutzung der Marke (Marke 1) in einer von der Eintragung abweichenden Form erfolgt, ohne dass die Abweichungen die Unterscheidungskraft der Marke (Marke 1) beeinflussen, und wenn die Marke in der Form, in der sie benutzt wird, ebenfalls eingetragen ist (Marke 2)?

    2. Falls die Frage 1 verneint wird:
      Ist die vorstehend unter 1 bezeichnete nationale Vorschrift mit der Richtlinie 89/104/EWG vereinbar, wenn die nationale Vorschrift einschränkend dahin ausgelegt wird, dass sie nicht auf eine Marke (Marke 1) angewandt wird, die nur dazu eingetragen ist, um den Schutzbereich einer anderen eingetragenen Marke (Marke 2) abzusichern oder auszuweiten, die in der Form, in der sie benutzt wird, eingetragen ist?
    3. Falls die Frage 1 bejaht oder die Frage 2 verneint wird:

      1. Ist eine Benutzung einer eingetragenen Marke (Marke 1) im Sinne von Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 89/104/EWG nicht gegeben,
        aa) wenn der Markeninhaber die Form eines Zeichens benutzt, die von der Eintragung der Marke (Marke 1) und einer weiteren Marke (Marke 2) des Markeninhabers nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass durch die Abweichungen die Unterscheidungskraft der Marken (Marke 1 und Marke 2) beeinflusst wird;

        bb) wenn der Markeninhaber zwei Formen von Zeichen benutzt, von denen keine der eingetragenen Marke (Marke 1) entspricht, von denen aber eine benutzte Zeichenform (Form 1) mit einer anderen eingetragenen Marke (Marke 2) des Markeninhabers übereinstimmt und die zweite vom Markeninhaber verwandte Zeichenform (Form 2) in Bestandteilen von beiden eingetragenen Marken (Marke 1 und Marke 2) abweicht, ohne dass durch die Abweichungen die Unterscheidungskraft der Marken beeinflusst wird, und wenn diese Zeichenform (Form 2) die größere Ähnlichkeit mit der anderen Marke (Marke 2) des Markeninhabers aufweist?
      2. Darf ein Gericht eines Mitgliedstaates eine einer Richtlinienbestimmung (hier Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 89/104/EWG) entgegenstehende nationale Vorschrift (hier § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG) in Fällen anwenden, deren Sachverhalt vor einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union, aus der sich erstmalig Anhaltspunkte für die Unvereinbarkeit der Vorschrift des Mitgliedstaats mit der Bestimmung der Richtlinie ergeben (vorliegend EuGH, Urteil vom 13. September 2007 C-234/06, Slg. 2007, I7333 Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]), bereits abgeschlossen war, wenn das nationale Gericht das Vertrauen eines der an dem gerichtlichen Verfahren Beteiligten in die Rechtsbeständigkeit seiner verfassungsrechtlich gesicherten Position höher bewertet als das Interesse an einer Umsetzung einer Vorschrift der Richtlinie?

    Gründe:

    I.

    Der Kläger ist Inhaber der Wortmarken Nr. 397 02 429 "PROTI" (eingetragen am 3. März 1997) und Nr. 395 49 559.8 "PROTIPLUS" (eingetragen am 20. Mai 1996) sowie der nachfolgend wiedergegebenen Wort/Bildmarke Nr. 396 08 644.6 (eingetragen am 5. März 1997):



    Die Marken sind unter anderem für Eiweiß eingetragen. Die Marke Nr. 397 02 429 "PROTI" ist auch für Eiweiß mit dem Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie Kohlenhydraten und für Lebensmittelzubereitungen mit hohen Eiweißanteilen zur Anreicherung für Lebensmittel registriert.

    Der Kläger vertrieb zunächst über die P. R. & M. Gesellschaft bürgerlichen Rechts und anschließend über die P. GmbH Nahrungsergänzungsprodukte unter den Bezeichnungen "Proti Power", "PROTIPLUS", "PROTIPLEX" und "PROTI 4-​K" in verschiedenen Aufmachungen und mit weiteren Zusätzen ("Plus 80", "XXL", "Power 75, 80 oder 90").

    Der Beklagte bietet unter der am 11. Februar 2003 für näher beschriebene Nahrungsergänzungsmittel, Vitaminpräparate und diätetische Lebensmittel eingetragenen und am 14. März 2003 veröffentlichten Wortmarke Nr. 302 47 818 "Protifit" ein Milchproteingemisch an.

    Nachdem der Beklagte die Einrede mangelnder Benutzung der Marke "PROTI" erhoben hatte, hat der Kläger geltend gemacht, diese Marke durch die Bezeichnungen "Proti Power" und "PROTIPLUS" in Preislisten und grafisch gestalteten, nachfolgend wiedergegebenen Aufmachungen verwandt zu haben:



    Der Kläger begehrt unter Berufung auf seine prioritätsälteren Marken vom Beklagten die Einwilligung in die Löschung der Marke "Protifit" sowie das Verbot, dieses Zeichen zu verwenden. Der Kläger verfolgt weiter einen Auskunftsanspruch und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten.

    Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (vgl. OLG Köln, GRUR 2009, 958 = WRP 2009, 1286).

    Mit der (vom Senat zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.


    II.

    Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Ersten Richtlinie des Rates 89/104/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 21. Dezember 1988 (ABl. Nr. L 40 vom 11. Februar 1989, S. 1) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

    1. Das Berufungsgericht hat die auf die Wortmarke "PROTI" gestützten Ansprüche nach § 22 Abs. 1 Nr. 2, § 49 Abs. 1 Satz 1, § 51 Abs. 4 Nr. 1 MarkenG verneint. Es hat angenommen, der Kläger habe eine rechtserhaltende Benutzung seiner Marke in den fünf Jahren vor der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke im Sinne von § 26 MarkenG nicht dargelegt. Die Benutzung der Bezeichnungen "PROTIPLUS" und "Proti Power" sei keine rechtserhaltende Benutzung der Marke "PROTI", weil diese Zeichen für den Kläger als Marken eingetragen seien und der Markeninhaber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eine eingetragene Marke nicht durch die Verwendung eines abgewandelten, ebenfalls als Marke registrierten Zeichens rechtserhaltend benutzen könne.

    Eine rechtserhaltende Benutzung der Marke "PROTI" durch die Bezeichnungen "PROTI Power 90", "Proti XXL" oder "Proti 85" sei nicht gegeben. Mit diesen Zeichen habe der Kläger vor der Veröffentlichung der Eintragung der Marke des Beklagten keine Umsätze erzielt. Die Verwendung der Zeichen "PROTI 4-​K" und "Protiplex" sei keine rechtserhaltende Benutzung der Marke "PROTI", weil deren kennzeichnender Charakter durch die Zusätze "4-​K" und "PLEX" verändert werde.

    Ansprüche aus den Marken "PROTIPLUS" und "Proti Power" gegen die angegriffene Marke "Protifit" des Beklagten hat das Berufungsgericht mangels Verwechslungsgefahr verneint.

    2. Der Kläger hat sein Klagebegehren in erster Linie auf Ansprüche aus der Marke Nr. 397 02 429 "PROTI" und nur hilfsweise auf die weiteren Marken Nr. 395 49 559.8 "PROTIPLUS" und Nr. 396 08 644.6 "Proti Power" gestützt. Es ist deshalb zunächst abschließend über die Ansprüche aus der Klagemarke "PROTI" zu entscheiden; nur wenn dem Kläger die gegen den Beklagten geltend gemachten Ansprüche aufgrund dieser Marke nicht zustehen, ist auch über die Ansprüche aus den weiteren Marken "PROTIPLUS" und "Proti Power" zu befinden.

    Das Berufungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Bezeichnungen "PROTIPLUS" und "Proti Power" trotz ihrer Abweichungen von der Marke "PROTI" den kennzeichnenden Charakter dieser Marke nicht verändern (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 89/104/EWG = § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG). Die Ausführungen des Berufungsgerichts im Zusammenhang mit den Zeichen "Proti®4K" und "PROTIPLEX" können auch nicht dahin ausgelegt werden, dass die Marken "PROTIPLUS" und "Proti Power" die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG nicht erfüllen. Das Berufungsgericht hat in die Begründung zu der Frage der rechtserhaltenden Benutzung der Klagemarke "PROTI" durch die Zeichen "Proti®4K" und "PROTIPLEX" zwar auch Ausführungen zur rechtserhaltenden Benutzung durch die Marken "PROTIPLUS" und "Proti Power" eingestreut. Anders als die Revisionserwiderung meint, können diese Darlegungen dem Revisionsverfahren aber nicht zugrunde gelegt werden. Es handelt sich um keine das Berufungsurteil tragenden Ausführungen, weil das Berufungsgericht sie in Klammern gesetzt, zum Teil im Konjunktiv gehalten und nicht weiter begründet hat. Mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist daher im Revisionsverfahren zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass die Bezeichnungen "PROTIPLUS" und "Proti Power" trotz ihrer Abweichungen von der Marke "PROTI" den kennzeichnenden Charakter dieser Marke nicht verändern und der Kläger die Marken "PROTIPLUS" und "Proti Power" vor der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke "Protifit" ernsthaft benutzt hat (Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 89/104/EWG, § 26 Abs. 1 und 3 Satz 1 MarkenG). Der Senat geht ferner im Hinblick darauf, dass das Berufungsgericht zur Frage der Verwechslungsgefahr nicht Stellung genommen hat, zugunsten des Klägers davon aus, dass zwischen den kollidierenden Marken "PROTI" und "Protifit" Verwechslungsgefahr (Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/104/EWG = § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) besteht. In diesem Fall wäre die Marke "PROTI" nicht verfallen; der Kläger könnte sein Klagebegehren mit Erfolg auf die Marke "PROTI" stützen (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b, Art. 5 Abs. 1 Buchst. b, Art. 11 Abs. 1 und 3, Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 89/104/EWG, § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 14 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5 und 6, § 22 Abs. 1 Nr. 2, § 49 Abs. 1 Satz 1, § 51 Abs. 4 Nr. 1 MarkenG).

    Für die Beurteilung des Streitfalls kommt es daher auf die Frage an, ob eine eingetragene Marke nicht in einer Form rechtserhaltend benutzt werden kann, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, die die Unterscheidungskraft der Marke nicht beeinflussen, wenn die Marke in der Form, in der sie benutzt worden ist, ebenfalls eingetragen ist (Vorlagefrage 1). Ist diese Frage zu verneinen, muss das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, weil die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO). Dasselbe gilt, wenn die Vorlagefrage 2 bejaht, die Vorlagefrage 3 a verneint oder die Vorlagefrage 3 b bejaht wird. Andernfalls hat das Berufungsgericht die Ansprüche aus der Marke "PROTI" zu Recht für unbegründet erachtet. Die gegen sein Urteil gerichtete Revision hätte in diesem Fall keinen Erfolg, weil die Marke "PROTI" des Klägers zu dem nach § 51 Abs. 4 Nr. 1 MarkenG maßgeblichen Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke "Protifit" wegen Verfalls löschungsreif gewesen wäre.

    3. Nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 89/104/EWG unterliegt eine Marke den in dieser Richtlinie vorgesehenen Sanktionen, wenn der Inhaber der Marke diese für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, innerhalb von fünf Jahren nach dem Tag des Abschlusses des Eintragungsverfahrens nicht ernsthaft in dem betreffenden Mitgliedstaat benutzt oder eine solche Benutzung während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren ausgesetzt hat, es sei denn, es liegen berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vor. Als Benutzung im vorbezeichneten Sinn gilt nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 89/104/EWG auch eine Benutzung der Marke in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird. Die Vorschriften entsprechen Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 22. Oktober 2008 (ABl. Nr. L 299, S. 25), die an die Stelle der Richtlinie 89/104/EWG getreten ist. Im vorliegenden Rechtsstreit findet jedoch im Hinblick auf den für die Beurteilung des Sachverhalts maßgeblichen Zeitraum, der vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2008/95/EG am 28. November 2008 liegt, die Richtlinie 89/104/EWG - nachfolgend MarkenRL - Anwendung (vgl. EuGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010  C-449/09, GRUR Int. 2011, 135 Rn. 7 - Canon/IPN Bulgaria).

    Die Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL wird im deutschen Markengesetz durch § 26 Abs. 3 MarkenG umgesetzt. Dieser hat folgenden Wortlaut:

    Als Benutzung einer eingetragenen Marke gilt auch die Benutzung der Marke in einer Form, die von der Eintragung abweicht, soweit die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändern. Satz 1 ist auch dann anzuwenden, wenn die Marke in der Form, in der sie benutzt worden ist, ebenfalls eingetragen ist.

    Da es sich um vollständig harmonisiertes Recht handelt, ist die Bestimmung des § 26 Abs. 3 MarkenG richtlinienkonform auszulegen.

    a) Nicht als geklärt angesehen werden kann, ob die Vorschrift des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG mit Art. 10 MarkenRL in Einklang steht. Während die Vorschrift des § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL umsetzt, hat § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG keine unmittelbare Grundlage in der Markenrechtsrichtlinie. Mit dieser Bestimmung bezweckte der deutsche Gesetzgeber eine Klarstellung des Geltungsbereichs des in § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG verankerten Grundsatzes (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Markenrechtsreformgesetzes, BT-​Drucks. 12/6581, S. 83).

    b) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in der Entscheidung "Il Ponte Finanziaria/HABM (Bainbridge)" angenommen, die Vorschriften über die rechtserhaltende Benutzung erlaubten es nicht, den einer Marke zukommenden Schutz mittels des Nachweises ihrer Benutzung auf eine andere eingetragene Marke, deren Benutzung nicht nachgewiesen ist, mit der Begründung auszuweiten, die letztgenannte Marke stelle nur eine leichte Abwandlung der erstgenannten Marke dar (Urteil vom 13. September 2007 - C-234/06, Slg. 2007, I-​7333 = GRUR 2008, 343 Rn. 82 bis 86). Die Entscheidung ist zwar zu Art. 15 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke ergangen. Diese Vorschriften der Gemeinschaftsmarkenverordnung (nachfolgend GMV) entsprechen aber inhaltlich  wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Entscheidung hervorhebt  Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a MarkenRL. In der deutschen Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, welche Auswirkungen die Entscheidung für die Anwendung und Auslegung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG hat.

    aa) Teilweise wird angenommen, § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG stehe in Widerspruch zur Auslegung des Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a MarkenRL durch den Gerichtshof der Europäischen Union. Eine richtlinienkonforme Auslegung von § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG sei nicht möglich, die Bestimmung sei deshalb nicht mehr anwendbar (vgl. OLG Köln, GRUR 2009, 958; Lange, WRP 2008, 693, 696 ff.). Ob § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG generell und allgemein mit Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a MarkenRL nicht in Einklang steht, ist Gegenstand der Vorlagefrage 1.

    bb) Nach der Gegenansicht sollen Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a MarkenRL der Anwendung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG im Grundsatz nicht entgegenstehen (vgl. OLG Karlsruhe, GRUR-​RR 2011, 134, 135 f. - Superillu; Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 26 Rn. 179 f.; Ströbele in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 26 Rn. 138; Hildebrandt, Marken und andere Kennzeichen, 2. Aufl., § 8 Rn. 30; Bergmann, MarkenR 2009, 1, 6; Eichelberger, WRP 2009, 1490, 1494). Zum Teil wird angenommen, die rechtserhaltende Benutzung einer eingetragenen Marke durch ein abweichendes ebenfalls registriertes Zeichen sei nur dann in den Grenzen des Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL (= § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG) ausgeschlossen, wenn das nicht identische benutzte Zeichen ein sogenanntes Defensivzeichen sei. Teilweise wird die Ansicht vertreten, die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union habe in der Markenrechtsrichtlinie keine Grundlage (v. Mühlendahl, WRP 2009, 1, 9).

    cc) Nach Ansicht des Senats ist § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG grundsätzlich mit der Markenrechtsrichtlinie und insbesondere mit Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL vereinbar. Ein Ausschluss der Anwendung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG ist vielmehr nur in Betracht zu ziehen, wenn nur eine Marke benutzt wird und die Eintragung weiterer, nicht benutzter Marken dazu bestimmt und geeignet ist, den Schutzbereich der allein verwendeten Marke durch die unbenutzten Zeichen auszuweiten.

    Der Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG liegt der Gedanke zugrunde, dass durch die Benutzung eines Zeichens als Marke mehr als eine eingetragene Marke rechtserhaltend benutzt werden kann. Dieser Grundsatz steht sowohl mit dem Wortlaut als auch mit Sinn und Zweck der Vorschriften der Markenrechtsrichtlinie über den Benutzungszwang in Einklang.

    (1) Nach dem 12. Erwägungsgrund der Markenrechtsrichtlinie müssen sich ihre Vorschriften in vollständiger Übereinstimmung mit der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) befinden. Nach Art. 5 C Abs. 2 PVÜ soll der Gebrauch einer Fabrik- oder Handelsmarke durch den Inhaber in einer Form, die von der Eintragung in einem der Verbandsländer nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird, die Ungültigkeit der Eintragung nicht nach sich ziehen und den der Marke gewährten Schutz nicht schmälern. Auf die Frage, ob das benutzte Zeichen ebenfalls eingetragen ist, stellt die Vorschrift nicht ab. In der Rechtsprechung des Senats ist deshalb die rechtserhaltende Benutzung eines Zeichens in abgewandelter Form unter der Geltung des Warenzeichengesetzes nicht deshalb verneint worden, weil für den Markeninhaber weitere, der benutzten Form entsprechende oder ihr ähnliche Marken eingetragen worden waren (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1984 - I ZR 2/82, GRUR 1985, 46 - IDEE-​Kaffee). Eine Ausnahme hiervon hat der Senat in Fällen gemacht, in denen der Warenzeicheninhaber ein neues Zeichen eintragen ließ und dieses den Charakter eines Defensivzeichens hatte (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1985  I ZR 209/83, GRUR 1986, 315  COMBURTEST).

    Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL stellt ebenso wie Art. 5 C Abs. 2 PVÜ für die Frage der rechtserhaltenden Benutzung der registrierten Marke durch eine abweichende Verwendungsform nicht darauf ab, ob das benutzte Zeichen registriert ist. Der Wortlaut dieser Vorschriften spricht daher nicht dafür, die Annahme einer Benutzung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a MarkenRL von der Erfüllung weiterer Voraussetzungen abhängig zu machen.

    (2) Für die Annahme einer rechtserhaltenden Benutzung der eingetragenen Marke durch eine abgewandelte ebenfalls als Marke eingetragene Form, wie sie § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG vorsieht, sprechen ebenfalls Sinn und Zweck des Benutzungszwangs. Dieser dient dazu, die Gesamtzahl der in der Gemeinschaft eingetragenen und geschützten Marken und damit die Anzahl der zwischen ihnen möglichen Konflikte zu verringern (Erwägungsgrund 8 Satz 1 MarkenRL). Mit diesem Ziel des Benutzungszwangs steht der Ausschluss sogenannter Defensivmarken in Einklang. Eine gesetzliche Regelung von Defensivmarken enthält das deutsche Markengesetz nicht. Mit Defensivmarken werden von Rechtsprechung und Literatur in Deutschland Marken bezeichnet, die der Markeninhaber eintragen lässt, um den Schutzbereich einer eingetragenen und benutzten Marke abzusichern oder auszuweiten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 1984 - I ZB 9/83, GRUR 1985, 383, 384 - BMW-​Niere; OLG München, Urteil vom 17. Juni 2010 - 29 U 3867/09, juris Rn. 39; Fezer aaO § 3 Rn. 37). Die Aufrechterhaltung derartiger Defensivzeichen entspricht nicht Sinn und Zweck des Benutzungszwangs.

    Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen der eingetragenen, in abgewandelter Form benutzten Marke dieser Defensivcharakter fehlt. Dies ist etwa in einer Konstellation der Fall, in der der Markeninhaber über eine eingetragene und in der Vergangenheit benutzte Marke verfügt, die er innerhalb der Grenzen des Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL (= § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG) fortentwickeln möchte (zur Anpassung jahrzehntelang benutzter Marken an den jeweiligen Zeitgeschmack Beispiele bei Esch, Strategie und Technik der Markenführung, 6. Aufl., S. 235 zur Veränderung der Shell-​Muschel im Zeitraum von 1900 bis 1999; Pelikan, Ein Unternehmen schreibt Geschichte, S. 13 zur Änderung des Zeichens "Pelikan" im vergangenen Jahrhundert; Bugdahl, MarkenR 2003, 259, 266 und 269 f. zur Änderung des Bildzeichens des Erdal-​Froschs und des Dosendesigns dieser Marke im Laufe des 20. Jahrhunderts; Internetauftritt des Solinger Schneidwarenunternehmens J. Henckels, Geschichte der Marke Zwilling von 1731 bis 1969). Kann der Markeninhaber allein durch die Benutzung der modernisierten registrierten Form nicht beide eingetragenen Marken rechtserhaltend benutzen, verliert er die Priorität der - häufig wertvollen - älteren Marke. Verzichtet der Markeninhaber deshalb auf die Eintragung der neuen Marke, trägt er in zweifacher Hinsicht das Risiko, dass das neu gestaltete Zeichen sich nicht innerhalb der durch Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL (= § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG) bestimmten Grenzen hält. Wo diese Grenze verläuft, ist der Beurteilung im Einzelfall vorbehalten. Ergibt diese Prüfung durch die Gerichte, dass die abweichenden Bestandteile des neuen Zeichens den kennzeichnenden Charakter der eingetragenen Marke verändern (§ 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG) bzw. die Unterscheidungskraft der eingetragenen Marke beeinflussen, verliert der Markeninhaber mangels rechtserhaltender Benutzung seiner eingetragenen älteren Marke nach Ablauf von fünf Jahren deren Schutz, ohne für das neue Zeichen Markenschutz durch Registrierung erworben zu haben. Der Benutzungszwang dient aber nicht dazu, die in älteren Marken verkörperten wirtschaftlichen Werte ohne zwingenden Grund zu zerstören und den Markeninhaber in der Fortentwicklung und Modernisierung seiner bereits vorhandenen - wertvollen - Marke zu behindern.

    Eine Beschränkung der rechtserhaltenden Benutzung der Form eines Zeichens auf jeweils nur eine der eingetragenen Marken hat zudem zur Folge, dass der Markeninhaber den als Marke eingetragenen Stammbestandteil einer Markenfamilie rechtserhaltend nicht durch die Verwendung der einzelnen registrierten Zeichen der Markenfamilie benutzen kann. Für die Absicherung des Stammbestandteils der Serienzeichen durch den Schutz einer ebenfalls eingetragenen Marke besteht jedoch ein praktisches Bedürfnis. Dieses ist etwa für den Zeitraum des Aufbaus der Markenserie gegeben. Während dieses Zeitraums, in dem die einzelnen Marken noch nicht in einem solchen Ausmaß auf dem Markt präsent sind, dass sie die an eine Markenserie zu stellenden Anforderungen erfüllen (vgl. hierzu EuGH, GRUR 2008, 343 Rn. 62 bis 65  Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]), hat der Markeninhaber regelmäßig ein beachtenswertes Interesse daran, den Stammbestandteil durch die Eintragung als Marke zu schützen, auch wenn er den Stammbestandteil nicht isoliert benutzt.

    In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist anerkannt, dass sich der Erwerb von Unterscheidungskraft einer Marke auch aus ihrer Benutzung als Teil einer anderen eingetragenen Marke ergeben kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juli 2008 - C-488/06, Slg. 2008, I-​5725 = GRUR Int. 2008, 830 Rn. 49 - Aire Limpio/ARBRE MAGIQUE). Durch die Benutzung einer bestimmten Form eines Zeichens könnte dieses danach zwar die von Haus aus fehlende Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 MarkenRL (= § 8 Abs. 3 MarkenG) und Art. 7 Abs. 3 GMV erwerben. Bei Anwendung der Grundsätze der Entscheidung "Il Ponte Finanziaria" würde aber dieselbe Verwendung nach Eintragung dieses Zeichens keine rechtserhaltende Benutzung mehr darstellen, was den Verfall dieser Marke zur Folge hätte.

    Wenn die Vorlagefrage 1 verneint wird  Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a MarkenRL also nicht in jedem Fall einer nationalen Regelung wie § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG entgegensteht , stellt sich die Frage, ob eine entsprechende nationale Bestimmung mit der Markenrechtsrichtlinie vereinbar ist (Vorlagefrage 2), wenn sie nicht auf Defensivmarken angewandt wird.

    (3) Gegen die Beschränkung der rechtserhaltenden Benutzung der Zeichenform auf jeweils nur eine eingetragene Marke sprechen nach Ansicht des Senats zudem folgende Erwägungen:

    Benutzt der Markeninhaber eine von allen eingetragenen Marken abweichende, deren Unterscheidungskraft aber nicht beeinflussende Form, erscheint fraglich, welche eingetragene Marke dadurch im Sinne des Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL (= § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG) rechtserhaltend benutzt wird. Das kommt im vorliegenden Fall in folgender Konstellation in Betracht:

    Das Zeichen "PROTIPLUS" ist in den grafischen Gestaltungen nicht eingetragen. Durch die vom Kläger behauptete Verwendung der grafisch gestalteten Form von "PROTIPLUS" könnte daher sowohl die Wortmarke "PROTIPLUS" als auch die Klagemarke "PROTI" im Sinne von Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a MarkenRL benutzt worden sein. Gleiches gilt für die ebenfalls nicht eingetragene, nach Darstellung des Klägers aber als reines Wortzeichen benutzte Form "Proti Power".

    Fraglich erscheint das Vorliegen einer Benutzung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL auch, wenn der Markeninhaber zwei Formen von Zeichen benutzt, von denen eine Zeichenform mit einer der eingetragenen Marken identisch übereinstimmt (erste Zeichenform) und die weitere Form (zweite Zeichenform) von den zwei eingetragenen Marken abweicht, ohne deren Unterscheidungskraft zu beeinflussen, und wenn die weitere benutzte Form (zweite Zeichenform) die größere Ähnlichkeit mit derjenigen Marke aufweist, die bereits durch die identisch übereinstimmende Form (erste Zeichenform) rechtserhaltend benutzt wird. Vom Vorliegen dieser Sachverhaltsvariante ist im Streitfall ebenfalls auszugehen. Der Kläger benutzt nach seiner Darstellung das Zeichen "PROTIPLUS" nicht nur als Wortmarke, sondern auch in grafisch gestalteter Form. Er verwendet außerdem nach seiner Behauptung die Wort/Bildmarke "Proti Power" in dieser Form und als reines Wortzeichen. Wird die Vorlagefrage 1 bejaht oder die Vorlagefrage 2 verneint, kommt es auf die Vorlagefrage 3a an. Durch die Verwendung der grafisch gestalteten Form von "PROTIPLUS" oder der Form von "Proti Power" als reines Wortzeichen, die beide nicht eingetragen sind, könnte die Klagemarke "PROTI" rechtserhaltend benutzt worden sein.

    dd) Sollte die Vorlagefrage 1 bejaht oder die Vorlagefrage 2 verneint werden, kommt im Streitfall in Betracht, dass die Vorschrift des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG auf Fallkonstellationen wie die vorliegende nicht angewandt werden kann, weil der Gerichtshof der Europäischen Union die Vorlagefrage 3 a bejaht oder das Berufungsgericht die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen hierzu nicht treffen kann. Dem Senat stellt sich dann die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG auf eingetragene Marken, die allein bislang durch die Markenrechtsrichtlinie harmonisiert sind (Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 89/104/EWG und Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2008/95/EG), nicht mehr angewandt werden kann (Vorlagefrage 3 b).

    (1) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass Gründe des Vertrauensschutzes die Anwendung einer geänderten Rechtsprechung erst auf künftige, dem Urteilserlass nachfolgende Fälle gebieten können. Danach können die durch eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung veranlassten neuen Maßstäbe bei der Auslegung einer Norm auf Sachverhalte von der Anwendung ausgeschlossen sein, in denen die Beteiligten die maßgeblichen Vorkehrungen und Entscheidungen im Vertrauen auf eine seit langem bestehende gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung noch vor deren Änderung getroffen haben. In diesen Fällen können Grundsätze des Vertrauensschutzes der Anwendung eines geänderten Verständnisses einer Norm zwingend entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2003 - II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 377). Der Senat ist der Ansicht, dass mit dieser höchstrichterlich anerkannten Fallgruppe die vorliegend zu beurteilende Sachverhaltsgestaltung zumindest vergleichbar ist.

    (2) Nachdem unter Geltung des deutschen Warenzeichengesetzes durch das Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes, des Warenzeichengesetzes und weiterer Gesetze vom 4. September 1967 (BGBl. I 953) mit Wirkung ab 1. Januar 1968 der Benutzungszwang für Marken eingeführt worden war (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 WZG), hat der Senat wiederholt ausgesprochen, dass eine rechtserhaltende Benutzung keine identische Verwendung des Warenzeichens erfordert, sondern zeichenmäßig bedeutungslose Abwandlungen oder Zusätze unbeanstandet zu bleiben haben (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1978 - I ZR 67/76, GRUR 1978, 642, 643 f. - SILVA; GRUR 1985, 46, 47 - IDEE-​Kaffee). Der Senat hat insoweit jedoch nur geringfügige Abweichungen der Benutzungsform von dem eingetragenen Zeichen als unschädlich angesehen, weil eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung im Warenzeichengesetz zur rechtserhaltenden Benutzung durch von der Eintragung abweichende Zeichenformen fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1974  I ZR 28/73, GRUR 1975, 135, 137  KIM-​Mohr; Beschluss vom 13. Juli 1979 - I ZB 25/77, GRUR 1979, 856, 858 - Flexiole). Nachdem in Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL die rechtserhaltende Benutzung durch die Verwendung abgewandelter Benutzungsformen Eingang in die Markenrechtsrichtlinie gefunden hatte, ist der deutsche Gesetzgeber davon ausgegangen, dass zu einer Fortgeltung der als streng empfundenen deutschen Rechtsprechung kein Anlass bestand (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des Markenrechtsreformgesetzes, BT-​Drucks. 12/6581, S. 83). In diese Zielsetzung der Neuregelung des Benutzungszwangs im Markengesetz fügt sich auch die Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG ein. Deren Vereinbarkeit mit der Markenrechtsrichtlinie ist vor der "BAINBRIDGE"-​Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, GRUR 2008, 343) deshalb in der deutschen Rechtsprechung und Literatur - soweit ersichtlich  niemals in Zweifel gezogen worden. Die Markeninhaber konnten angesichts der gesetzlichen Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG daher darauf vertrauen, dass die Benutzung einer Marke in einer Form, die von der Eintragung abwich, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wurde (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL), auch dann als Benutzung galt, wenn die benutzte Form ebenfalls als Marke eingetragen war. Das Vertrauen auf die Gültigkeit des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG für eingetragene Marken hält der Senat gegenüber einer richtlinienkonformen Auslegung gem. Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL, falls die Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG mit der Richtlinie nicht in Einklang steht, für so gewichtig, dass er die Bestimmung ihrem Wortlaut gemäß jedenfalls auf vor der Veröffentlichung der "BAINBRIDGE"-​Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union liegende Sachverhalte weiter anwenden möchte.

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt (vgl. EuGH, Urteil vom 5. März 1998 - C-347/96, Slg. 1998, I-​937 Rn. 30 - Solred; Urteil vom 22. November 2005 - C-144/04, Slg., 2005, I-​9981 = NJW 2005, 3695 Rn. 77 - Mangold/Helm). Andererseits ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union anerkannt, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und des Rückwirkungsverbots der Anwendung einer Gemeinschaftsregelung im Einzelfall entgegenstehen können (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 1992 - C-​163/90, Slg. 1992, I-​4625 Rn. 30 bis 34 - Legros; Urteil vom 20. Mai 2003 - C-​469/00, Slg. 2003, I-​5053 = GRUR 2003, 609 Rn. 99 bis 101 - Grana Padano; Urteil vom 20. Mai 2003 - C-108/01, Slg. 2003, I-​5121 = GRUR 2003, 616 Rn. 95 bis 97 - Prosciutto di Parma; Urteil vom 16. Juni 2005 - C-105/03, Slg. 2005, I- 5285 = EuZW 2005, 433 Rn. 44 und 47 - Pupino; Urteil vom 4. Juli 2006 - C-212/04, Slg. 2006, I-​6057 = EuZW 2006, 730 Rn. 110 - Adeneler).

    Maßgebliche Bedeutung kommt insoweit aus Sicht des Senats dem Umstand zu, dass das Recht an der Marke in den Schutzbereich des Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Art. 14 des Grundgesetzes fällt (vgl. zu Art. 17 Abs. 2 EU-​Grundrechtscharta Meyer/Bernsdorff, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl., Art. 17 Rn. 13; zu Art. 14 GG BVerfGE 51, 193, 216 f.; 78, 58, 70; 95, 173, 188; BGH, Urteil vom 2. April 2009 - I ZR 209/06, GRUR 2009, 678 Rn. 32 = WRP 2009, 839  POST/RegioPost). Das Markenrecht steht dem Markeninhaber zwar nicht schrankenlos zu, sondern wird erst durch die auf die Markenrechtsrichtlinie zurückgehenden Bestimmungen des Markengesetzes konkretisiert (vgl. BGH, GRUR 2009, 678 Rn. 32 - POST/RegioPost). Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass die vorliegende Fallkonstellation durch die deutsche Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG ausdrücklich gesetzlich geregelt war und das Vertrauen eines Markeninhabers in die Gültigkeit dieser Bestimmung wegen des durch Art. 17 Abs. 2 EU-​Grundrechtscharta und Art. 14 GG geschützten Eigentumsrechts an der Marke das Interesse an einer der Bestimmung entgegenstehenden anderslautenden Auslegung anhand der Markenrechtsrichtlinie deutlich überwiegt (vgl. auch Lange, WRP 2008, 693, 699).










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