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OLG Stuttgart Urteil vom 08.06.2017 - 2 U 127/16 - Irreführende Werbeaussage bei Schmerzmittel

OLG Stuttgart v. 08.06.2017: Irreführende Werbeaussage „unterstützt das Immunsystem“ bei Schmerzmittel mit Vitamin-C-Zusatz


Das OLG Stuttgart (Urteil vom 08.06.2017 - 2 U 127/16) hat entschieden:
Werbung für ein Schmerzmittel mit der Aussage „Eine Extraportion Vitamin C unterstützt das Immunsystem“ verstößt gegen § 3a HWG.

Nach dieser Bestimmung ist eine Werbung für Arzneimittel unzulässig, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen und die nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen sind oder als zugelassen gelten (§ 3a Satz 1 HWG). Die Bestimmung verbietet es, für ein zulassungspflichtiges Arzneimittel ein nicht von der Zulassung erfasstes Anwendungsgebiet explizit zu nennen. Die Regelung wird durch § 3a Satz 2 HWG ergänzt, wonach es unzulässig ist, wenn sich die Werbung auf Anwendungsgebiete bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind.

Die „Unterstützung des Immunsystems“ ist als eigenständiges Anwendungsgebiet anzusehen.




Siehe auch Verschiedene Werbeaussagen und Stichwörter zum Thema Werbung


Tenor:

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 19.08.2016, Az. 10 O 45/16, wie folgt abgeändert:

    1. Die Beklage wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern, zu unterlassen,
      im geschäftlichen Verkehr für das Mittel „ASS + C-... Schmerzen“ mit der Angabe zu werben:
      „Eine Extraportion Vitamin C unterstützt das Immunsystem“,
      sofern dies wie folgt geschieht:

    2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 178,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2016 zu bezahlen.

  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus der Urteilsformel Ziff. I. 1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 Euro und im Übrigen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

  4. Die Revision wird nicht zugelassen.

  5. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 250.000,00 Euro festgesetzt.


Gründe:

A

Der Kläger verlangt vom beklagten Pharmazieunternehmen die Unterlassung einer Werbeäußerung zur Wirkung von Vitamin C, das in dessen Schmerzmittel enthalten ist.

I.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden. Zu den Mitgliedern zählen auch zahlreiche Hersteller von Arzneimitteln (vgl. die Mitgliederliste in der Anlage K1, Seite 21 bis 24).

Die Beklagte vertreibt als pharmazeutisches Unternehmen unter anderem ihr Arzneimittel „ASS+C-​...® gegen Schmerzen Brausetabletten“. Dieses Schmerzmittel ist für folgende Anwendungsgebiete zugelassen (vgl. die Fachinformation in der Anlage K4 unter Ziff. 4.1):
- leichte bis mäßig starke Schmerzen (wie Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Regelschmerzen, schmerzhafte Beschwerden, die im Rahmen von Erkältungskrankheiten auftreten). - Fieber.
Jede Brausetablette enthält 600 mg Acetylsalicylsäure und 200mg Ascorbinsäure (Vitamin C). Zu den pharmakodynamischen Eigenschaften teilt die Beklagte in den Fachinformationen (Anlage K 4 unter Ziff. 5.1) mit: „Bei gleichzeitiger Verabreichung mit Acetylsalicylsäure zeigte Ascorbinsäure in klinischen Studien Hinweise auf eine protektive Wirkung bezüglich Acetylsalicylsäure-​induzierter Magenschleimhautläsionen.“

Die Beklagte bewirbt im Internet das rezeptfreie, apothekenpflichtige Arzneimittel, wie in der Urteilsformel abgebildet (vgl. auch Anlage K 3), mit dem Text:
„Wirkt mit Acetylsalicylsäure als Brausetablette rasch gegen Schmerzen. Eine Extraportion Vitamin C unterstützt das Immunsystem.
Anwendungsgebiete: Erkältungskrankheiten, Schmerzen, Entzündungen, Fieber u.Ä..“
Der Kläger hat in der ersten Instanz vorgetragen, die Aussage „Eine Extraportion Vitamin C unterstützt das Immunsystem“ werde durch den durchschnittlich aufmerksamen Verbraucher dahingehend verstanden, mit dem beworbenen Mittel könne das Immunsystem so unterstützt werden, dass er Erkältungskrankheiten seltener bekomme als ohne Einnahme des Mittels. Darüber hinaus gehe der Verbraucher davon aus, dass es sich bei der das Immunsystem stärkenden Wirkung um ein eigenständiges Anwendungsgebiet handele. Eine derartige Werbung mit einer fehlenden Zulassung verstoße gegen §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 3a HWG und sei zudem irreführend gem. § 3 HWG und § 5 UWG. Eine einmalige oder wenige Tage dauernde Einnahme des Mittels führe nicht zu einer Stärkung des Immunsystems. Eine positive Wirkung sei allenfalls dann zu erwarten, wenn Vitamin C regelmäßig über die Nahrung zugeführt werde, da der Körper davon keine Reserven anlegen könne. Zudem seien in einer Studie positive Wirkungen für die Erkältungsabwehr durch die Einnahme von Vitamin C nur bei Menschen festgestellt worden, die außergewöhnlichem Stress ausgesetzt gewesen seien wie etwa Marathon-Läufer oder Skifahrer. Der Kläger verweist diesbezüglich auf eine Analyse von 30 internationalen Studien (Hemilä/Chalker, „Vitamin C for preventing and treating the common cold“ in: Cochrane Library, Januar 2013).

Der Kläger hat in der ersten Instanz beantragt,
wie im vorliegenden Urteil erkannt.
Die Beklagte hat in der ersten Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat in der ersten Instanz vorgetragen, die beanstandete Angabe werde durch den Verbraucher lediglich als ein Hinweis auf eine zusätzliche (unterstützende) Wirkung des Mittels verstanden und nicht als Hinweis auf eine zusätzliche Indikation als Immuntherapeutikum. In dem Umfeld, in dem das Anwendungsgebiet als Schmerzmittel dem Verbraucher plakativ verdeutlicht werde, könne die Werbung lediglich als Beschreibung einer zusätzlichen Eigenschaft des Arzneimittels („Extraportion“) im Zusammenhang mit der Schmerzlinderung verstanden werden. Es sei wissenschaftlich anerkannt, dass Vitamin C das Immunsystem unterstütze; dies habe die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA bestätigt. Diese Wirkung sei auch nicht von einer Mindestbehandlungsdauer abhängig. In der streitgegenständlichen Werbung gehe es gar nicht um die Auslobung einer präventiven oder therapeutischen Wirkung von Vitamin C bei Erkältungen, sondern ausschließlich um den Hinweis auf die allgemein anerkannte Tatsache, dass Vitamin C das Immunsystem unterstütze. Tatsächlich hätten zumindest einzelne Studien einen Nutzen von Vitamin C sogar für die Prävention bzw. Verkürzung oder Abmilderung von Erkältungen gezeigt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Feststellungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen.

II.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Klage sei zulässig; der Kläger habe seine Klagebefugnis als Verband im Sinne von § 8 Absatz 3 Nr. 2 UWG nachgewiesen. Die Klage sei jedoch nicht begründet. In der Werbeaussage liege kein Verstoß gegen die Marktverhaltensregel des § 3a HWG. Der durchschnittlich verständige, aufmerksame und informierte Verbraucher verstehe die Werbeaussage nicht so, als ob er es mit einem Schmerzmittel zu tun habe, das gezielt als „Immunschutz“ eingesetzt werden solle. Ihm werde vielmehr verdeutlicht, dass lediglich eine zusätzliche Wirkung innerhalb der Basisindikation beschrieben werde. Der angesprochene Verkehrskreis nehme nicht an, das Mittel sei zur Vermeidung von Erkältungskrankheiten zugelassen. Es liege auch kein Verstoß gegen das Verbot irreführender Werbung (§ 3 HWG) vor. Dass Vitamin C das Immunsystem stärke, sei durch die europäische Behörde EFSA anerkannt. Dies habe der Kläger nicht widerlegt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Eine beglaubigte Abschrift des Urteils des Landgerichts vom 19.08.2016 wurde dem Berufungskläger am 22.08.2016 zugestellt (Bl. 149). Die Berufung ging am 12.09.2016 ein (Bl. 152). Sie wurde am 24.10.2016, einem Montag, vorab per Fax begründet (Bl. 157).

III.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger die Ansprüche weiter.

Der Kläger wiederholt und vertieft seinen Vortrag erster Instanz. Ergänzend trägt er vor, der Verbraucher nehme durch die Werbung an, Erkältungskrankheiten könnten durch die „Extraportion Vitamin C“ positiv, jedenfalls ergänzend behandelt werden, nämlich aufgrund der beschriebenen unterstützenden Wirkung auf das Immunsystem.

Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie rügt, das vom Kläger erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragene Verkehrsverständnis könne nicht zur Grundlage des Berufungsurteils gemacht werden.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 23.05.2017 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.


B

Die zulässige Berufung ist begründet. Der gemäß § 8 Absatz 3 Nr. 2 UWG klagebefugte Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Werbung aus § 8 Absatz 1 UWG i.V.m. §§ 3, 3a UWG und § 3a Heilmittelwerbegesetz (HWG).

I.

Nach § 3a UWG begeht eine im Sinne von § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Bei § 3a HWG handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung (BGH, Urteil vom 30. März 2006 – I ZR 24/03, juris Rn. 37; BGH, Urteil vom 13. März 2008 – I ZR 95/05, juris Rn. 34). Als Marktverhalten im Sinne von § 3a UWG ist jede Tätigkeit auf einem Markt anzusehen, die objektiv der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dient und durch die ein Unternehmer auf Mitbewerber, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer einwirkt. Hierzu zählen insbesondere Vorschriften, die die Zulässigkeit der Werbung regeln (Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl. (2017), § 3a UWG Rn. 1.62).

1. Die beanstandete Werbung verstößt gegen § 3a HWG.

a) Nach dieser Bestimmung ist eine Werbung für Arzneimittel unzulässig, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen und die nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen sind oder als zugelassen gelten (§ 3a Satz 1 HWG). Die Bestimmung verbietet es, für ein zulassungspflichtiges Arzneimittel ein nicht von der Zulassung erfasstes Anwendungsgebiet explizit zu nennen (Fritzsche in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. (2014), § 3a HWG Rn. 2). Die Regelung wird durch § 3a Satz 2 HWG ergänzt, wonach es unzulässig ist, wenn sich die Werbung auf Anwendungsgebiete bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind.

b) Mit der Werbebotschaft, dass das enthaltene Vitamin C das Immunsystem unterstütze, weist die Beklagte auf ein Anwendungsgebiet hin, für welches das Medikament nicht zugelassen ist.

Maßgeblich für den Umfang der Zulassung ist der nach § 25 Arzneimittelgesetz (AMG) erteilte Zulassungsbescheid der zuständigen Behörde (BGH, Urteil vom 11. September 2008 – I ZR 58/06, juris Rn. 20). Das zugelassene Anwendungsgebiet bezieht sich im vorliegenden Fall alleine auf „leichte bis mäßig starke Schmerzen (wie Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Regelschmerzen, schmerzhafte Beschwerden, die im Rahmen von Erkältungskrankheiten auftreten)“ sowie auf Fieber. Das Arzneimittel ist unstreitig nicht zur „Unterstützung des Immunsystems“ zugelassen.

c) Die „Unterstützung des Immunsystems“ ist als eigenständiges Anwendungsgebiet anzusehen.

Der Begriff des „Anwendungsgebietes“ ist gleichbedeutend mit dem in der medizinischen Wissenschaft gebräuchlichen Begriff der Indikation und bezeichnet die dem Arzneimittel gegebene Zweckbestimmung, insbesondere die körperlichen und seelischen Zustände, die durch das betreffende Arzneimittel beeinflusst werden sollen (OLG Stuttgart, Urteil vom 16. März 2006 – 2 U 226/05, juris Rn. 21; OLG Koblenz, Urteil vom 27. Januar 2016 – 9 U 895/15, juris Rn. 45). Die „Unterstützung des Immunsystems“ stellt einen therapeutischen Anwendungsbereich dar, denn eine Immunschwäche ist medizinisch diagnostizierbar.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Kommission für den Bereich der Lebensmittel nach Empfehlung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Angabe „Vitamin C trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“ zugelassen hat (ABl. L Nr. 136 vom 25.02.2012, S. 33). Auf die Beantwortung der Frage, ob das Arzneimittel tatsächlich in dem Anwendungsgebiet außerhalb der Zulassung wirksam ist oder nicht, kommt es bei der Beurteilung eines Verstoßes gegen § 3a HWG nicht an. Selbst eine langjährig nachgewiesene Wirksamkeit ändert nichts an dem Verbot einer entsprechenden Werbung. Die Verbotsvorschrift des § 3a HWG knüpft alleine an das formale Kriterium an, ob der Anwendungsbereich von der arzneimittelrechtlichen Zulassung erfasst wird (OLG Stuttgart, Urteil vom 16. März 2006 – 2 U 226/05, juris Rn. 20).

d) Entgegen der Auffassung der Beklagten weist sie in ihrer Werbung nicht lediglich auf eine zusätzliche Wirkung hin.

aa) Der Wortlaut von § 3a Satz 2 HWG setzt für die Unzulässigkeit der Werbung voraus, dass sie sich auf Anwendungsgebiete „bezieht“, die nicht von der Zulassung erfasst sind. Von einem „Bezug“ der Werbung auf ein nicht zugelassenes Anwendungsgebiet ist auszugehen, wenn der angesprochene Verbraucher die beanstandete Angabe als Hinweis auf ein Anwendungsgebiet und nicht lediglich als Beschreibung einer zusätzlichen Wirkung des Mittels versteht (OLG Koblenz, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 9 U 834/14, juris Rn. 26). Ein Verstoß gegen § 3a Satz 2 HWG liegt demnach nicht vor, wenn lediglich zusätzliche Wirkungen eines Arzneimittels beschrieben werden.

bb) Ob unzulässigerweise ein weiteres Anwendungsgebiet genannt oder lediglich auf zusätzliche Wirkungen hingewiesen wird, ist nach den Umständen des Einzelfalls und dem Verständnis des von der Werbung angesprochenen Verbrauchers zu entscheiden (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 26. September 2002 – 3 U 69/02, juris Rn. 13; OLG Koblenz, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 9 U 834/14, juris Rn. 26). Abzustellen ist auf den durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 – I ZR 167/97, juris Rn. 20). Da die entscheidenden Richter selbst zu den von der Werbung angesprochenen Verkehrskreisen gehören, bedarf es keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens, um das Verständnis des Verkehrs zu ermitteln (BGH, Urteil vom 02. Oktober 2003 – I ZR 150/01, juris Rn. 20).

cc) Bei der Feststellung des Verkehrsverständnisses sind - wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung - besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH, Urteil vom 06. Februar 2013 – I ZR 62/11, juris Rn. 15).

dd) Nach diesem Maßstab versteht der Verbraucher die Angabe „Eine Extraportion Vitamin C stärkt das Immunsystem“ in der hier streitigen Werbeanzeige als Hinweis auf ein eigenständiges Anwendungsgebiet.

(1) Zwar ist dem Landgericht zuzustimmen (Urteil, S. 16), dass ein – schmerzfreier – Verbraucher üblicherweise nicht der Idee verfallen würde, das rezeptfreie Medikament der Beklagten zu wählen, wenn er sein (allgemein schwaches) Immunsystem stärken will. Die Hauptwirkung des Arzneimittels liegt – erkennbar – in der Linderung von Schmerzen. Wer keine Schmerzen spürt und trotzdem sein Immunsystem durch die Zufuhr von Vitamin C stärken möchte, wird im Allgemeinen es enthaltende Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel wählen.

(2) Ein Verbraucher, der jedoch Schmerzen spürt und dem ärztlich – wenngleich in einem anderen Zusammenhang – empfohlen wurde, sein Immunsystem zu stärken, wird bei der Auswahl der Medikamente möglicherweise zu dem rezeptfreien Arzneimittel der Beklagten greifen. Es deckt beide von ihm gewünschten Wirkungsweisen ab. Während es jedoch nur zur Behandlung von Schmerzen zugelassen ist, fehlt ihm die Zulassung für die medizinisch indizierte Stärkung des Immunsystems.

e) Selbst bei Zugrundelegung eines anderen Verbraucherverständnisses lägen die Voraussetzungen für einen zulässigen Hinweis auf eine zusätzliche Wirkung nicht vor.

Auf zusätzliche Wirkungen darf nur hingewiesen werden, wenn sie sich innerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes entfalten. Sowohl der ursächliche Zusammenhang dieser zusätzlichen Wirkungen mit der zugelassenen Indikation als auch das Fehlen einer eigenständigen Indikation müssen verdeutlicht werden (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteile vom 26. September 2002 – 3 U 69/02, juris Rn. 13 und vom 27. Januar 2005 – 3 U 145/03, juris Rn. 56; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 24. August 2006 – 3 U 22/06, juris Rn. 21; Brixius in Bülow/Ring, Heilmittelwerbegesetz, 5. Aufl. (2016), § 3a HWG Rn. 34).

Daran fehlt es hier. Selbst nach dem Vortrag der Beklagten ist davon auszugehen, dass es einen Zusammenhang der zusätzlichen Wirkung mit der Basisindikation – jedenfalls für den durchschnittlichen Verbraucher – nicht gibt.

aa) Schon hinsichtlich der Anwendungsbereiche der Zahn- und Regelschmerzen ist dieser Wirkungszusammenhang unklar. Es wird in der Werbung nicht deutlich, ob die Unterstützung des Immunsystems auch bei diesen Indikationen hilfreich ist.

bb) Insbesondere aber hat der Senat nach dem Vortrag der Parteien davon auszugehen, dass dieser Wirkungszusammenhang bei Erkältungskrankheiten regelmäßig nicht besteht. Die Beklagte selbst hat ihn nur für Personen mit besonderer körperlicher Belastung vorgetragen.

Zunächst ist nicht entscheidend, dass Vitamin C im Allgemeinen das Immunsystem stärkt. Die Beklagte kann sich zwar sehr wohl darauf berufen, dass es sich dabei um eine allgemeine wissenschaftliche Erkenntnis handelt. Dies kommt (auch) darin zum Ausdruck, dass die Europäische Union bei Lebensmitteln die Angabe „Vitamin C trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“ durch die Verordnung Nr. 432/2012 der Kommission (ABl. L 136 vom 25.05.2012, S. 33) ausdrücklich zulässt. Dies hilft der Beklagten allerdings nicht. Die Zulässigkeit der Lebensmittelwerbung unterscheidet sich von der Heilmittelwerbung. Bei der Heilmittelwerbung darf kein Wirkungszusammenhang suggeriert werden, der tatsächlich nicht besteht.

(1) Dabei ist der vom Kläger unwidersprochene (und damit gem. § 138 Absatz 3 ZPO als zugestanden anzusehende) Vortrag zu berücksichtigen, dass die Beigabe von Vitamin C (Ascorbinsäure) den Zweck hat, durch die Acetylsalicylsäure möglicherweise verursachten ungewünschten Nebenwirkungen auf die Magenschleimhaut zu vermeiden. Dies folgt aus den Fachinformationen über das Medikament (Anlage K 4, unter Ziff. 5.1): „Bei gleichzeitiger Verabreichung mit Acetylsalicylsäure zeigte Ascorbinsäure in klinischen Studien Hinweise auf eine protektive Wirkung bezüglich Acetylsalicylsäure-​induzierter Magenschleimhautläsionen.“ Daraus ergibt sich das Bild, dass die Beklagte den Hinweis auf das das Immunsystem stärkende Vitamin C anbringt, um eine allgemeine Wirkung dieses Vitamins positiv hervorzuheben, wohingegen der eigentliche Zweck der Beigabe aber darin liegt, damit Risiken auf Nebenwirkungen vorzubeugen, die vom Wirkstoff des Schmerzmittels ausgehen.

(2) Wie die Beklagte in der Klagerwiderung vorgetragen hat, geht es ihr in der streitgegenständlichen Werbung auch „gar nicht um die Auslobung einer präventiven oder therapeutischen Wirkung von Vitamin C bei Erkältungen“, sondern um die allgemeine Aussage, dass Vitamin C das Immunsystem stützt (Bl. 78). Zwar verweist die Beklagte auf „zumindest einzelne Studien“, die „sogar“ einen Nutzen für die Prävention bzw. Verkürzung/Abmilderung von Erkältungen gezeigt hätten (Bl. 78). Die von der Beklagten vorgelegte Studie hat einen positiven Nutzen jedoch nur bei Teilnehmern festgestellt, die physischen Anstrengungen ausgesetzt waren wie Marathonläufer und Skifahrer (Anlage B 5, Bl. 110). Dies entspricht nicht den Lebensgewohnheiten des durchschnittlichen Verbrauchers, der von der Werbung angesprochen wird. Seine körperliche Konstitution betreffend liegt mithin keine Tatsachenbehauptung der Beklagten vor, dass Vitamin C bei einer Erkältungskrankheit wirkt, d.h. sie abmildert oder verkürzt.

(3) Liegt ein Wirkungszusammenhang des Medikamentes jedoch lediglich in allgemeiner Form vor, nicht aber – wie erforderlich – im Zusammenhang mit der zugelassenen Indikation, ist ein Werbehinweis, der dem Verbraucher gegenüber diesen Eindruck erweckt, gemäß § 3a HWG unzulässig.

f) Der Verstoß ist auch im Sinne von § 3a UWG geeignet, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen. Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die wie §§ 3, 3a HWG den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, sind ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher in diesem Sinne spürbar zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 08. Januar 2015 – I ZR 123/13, juris Rn. 16).

2. Nachdem bereits der Verbotstatbestand des § 3a HWG vorliegt, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Werbung auch unzulässigerweise irreführend im Sinne von § 3 HWG ist. Nach dieser Norm ist eine irreführende Werbung unzulässig, insbesondere wenn Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit beigelegt wird, die sie nicht haben. Die Vorschrift stellt eine Ausprägung des allgemeinen Irreführungsverbots des § 5 Absatz 1 Satz 1 UWG dar; beide stehen gem. § 17 HWG im Verhältnis der Kongruenz zueinander (Fritzsche in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. (2014), § 3 HWG Rn. 1).

3. Nicht zur Entscheidung des Gerichts steht die Behauptung des Klägers, der Verbraucher nehme durch die Werbung an, Erkältungskrankheiten könnten durch die „Extraportion Vitamin C“ positiv, jedenfalls ergänzend behandelt werden, nämlich aufgrund der beschriebenen unterstützenden Wirkung auf das Immunsystem. Dieses Verkehrsverständnis ist von der Beklagten bestritten worden. Der Vortrag kann diesem Urteil nicht zugrunde gelegt werden. Gemäß § 529 Absatz 1 Nr. 2 ZPO können neue Tatsachen nur unter den Voraussetzungen des § 531 Absatz 2 ZPO zugelassen werden. Sie liegen nicht vor. Der Kläger hätte diesen Vortrag bereits in der ersten Instanz halten können und ist nun damit ausgeschlossen.

II.

Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten beruht auf § 12 Absatz 1 Satz 2 UWG. Für einen Verband, dem es zuzumuten ist, typische und durchschnittlich schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße zu erkennen und abzumahnen, kommt statt der Erstattung von Rechtsanwaltskosten ein Anspruch auf anteiligen Ersatz der Personal- und Sachkosten in Form einer Kostenpauschale in Betracht (OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 1991 – 2 U 133/90, WRP 1991, 347; Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 12 UWG Rn. 1.127). Nach der unbestrittenen Berechnung des Klägers (Bl. 16 d.A.) ist sie gemäß § 287 ZPO auf brutto 178,50 Euro zu schätzen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO. Der Streitwert wird gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen festgesetzt. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Kläger Verbandsinteressen vertritt und es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um ein bekanntes und vielfach gekauftes Arzneimittel handelt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Absatz 2 ZPO nicht vorliegen.










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