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Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss v. 02.02.2007 - 11 K 1924/06 - Zur Dwfinition kosmetischer Stoffe

VG Karlsruhe v. 02.02.2007: Zur Definition kosmetischer Stoffe


Das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Beschl. v. 02.02.2007 - 11 K 1924/06) hat entschieden:

  1.  Kosmetische Mittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die ausschließlich oder überwiegend dazu bestimmt sind, äußerlich am Körper des Menschen oder in seiner Mundhöhle zur Reinigung, zum Schutz, zur Erhaltung eines guten Zustandes, zur Parfümierung, zur Veränderung des Aussehens oder dazu angewendet zu werden, den Körpergeruch zu beeinflussen. Als kosmetische Mittel gelten nicht Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Beeinflussung der Körperformen bestimmt sind.

  2.  Mangels ausreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse kann im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht entschieden werden, ob die Vitaminpräparate K 1 2 % Lotion bzw. Vitamin K 1 8 % Serum Bioque Arzneimittel im Sinne des AMG sind und nicht kosmetische Mittel.




Siehe auch
Kosmetika
und
Nahrungssupplemente


Aus den Entscheidungsgründen:


"I.

Die Antragstellerin vertreibt das Produkt Vitamin K 1 2 % Lotion und Vitamin K 1 8 % Serum Bioque als Kosmetika über das Internet. Das Produkt Vitamin K 1 2 % Lotion Bioque wird in der Werbung zur Vorbeugung von Besenreisern, Couperose und Rötungen, für ein klares Hautbild und verbesserte Blutgerinnung angepriesen. Dem Produkt Vitamin K 1 8 % Serum Bioque werden in Werbeaussagen unter anderem Wirksamkeit gegen Besenreiser, Couperose und Rötungen beigemessen.

Aufgrund von Hinweisen über den Vertrieb der genannten Produkte über das Internet führten Mitarbeiter der Stadt ... am 15.12.2005 eine Betriebskontrolle durch, bei der je zwei Flaschen Vitamin K 1 2 % Lotion und Vitamin K 1 8 % Serum für eine Untersuchung durch das Chemische Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) erhoben wurden; die verbleibenden Produkte wurden von Mitarbeitern der Stadt ... in Verwahrung genommen.

Mit Verfügung des Regierungspräsidium Karlsruhe vom 22.02.2006 wurde das Inverkehrbringen der Produkte Vitamin K 1 2 % Lotion Bioque und Vitamin K 1 8 % Serum Bioque untersagt (1.). Zugleich wurde die sofortige Vollziehbarkeit dieser Entscheidung angeordnet (Ziff. 2). Zur Begründung ist ausgeführt, bei den vertriebenen Produkten handele es sich nicht um Kosmetika, sondern um Arzneimittel.

Mit Verfügung vom 06.03.2006 ordnete das Regierungspräsidium Karlsruhe die Sicherstellung der von der Stadt ... am 15.12.2005 in Verwahrung genommenen 534 Flaschen Vitamin K 1 2 % Lotion Bioque und 48 Flaschen Vitamin K 1 8 % Serum Bioque an (1.) und ordnete zugleich die sofortige Vollziehbarkeit dieser Verfügung an (2.). Zur Begründung wird auf die für und gegen das Inverkehrbringen nicht zugelassener Fertigarzneimittel maßgebenden Erwägungen in der Entscheidung vom 22.02.2006 verwiesen und ergänzend ausgeführt, die Antragstellerin habe ihr Einverständnis mit der Inverwahrungnahme durch die Stadt ... und dem sofortigen Unterlassen des weiteren Vertriebs widerrufen.

Mit der am 14.03.2006 erhobenen Klage (11 K 738/06) beantragt die Antragstellerin die Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 22.02. und 06.03.2006 sowie die Verurteilung des Beklagten, die mit Bescheid vom 06.03.2006 sichergestellten Produkte an sie herauszugeben. Über die Klage ist bislang nicht entschieden worden.

Mit dem am 03.08.2006 eingegangenen Antrag beantragt die Antragstellerin,

   die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 22.02.2006 und vom 06.03.2006 wiederherzustellen.

Die angefochtenen Bescheide seien offensichtlich rechtswidrig. Die Untersagungsverfügung sei rechtswidrig, die von ihr betriebenen Produkte seien keine Arzneimittel, sondern kosmetische Mittel. Die Überlegungen des CVUA ... im Gutachten vom 22.12.2005 sowie in den korrigierten Versionen vom 20.01.2006 im Hinblick auf eine etwaige pharmakologische Wirkung hielten einer wissenschaftlicher Überprüfung nicht Stand. Gegenteiliges beweise das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. ... (Anlage 17). Eine Untersagungsverfügung des Antragsgegners nach § 69 AMG, gestützt auf den Vorwurf der Gefährlichkeit/Toxizität der streitgegenständlichen Produkte, könne nicht begründet werden, da es sich in diesem Fall um den Vollzug des LFGB handeln würde, für welchen die Stadt ... zuständig wäre, nicht der Antragsgegner. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in den angefochtenen Bescheiden genüge nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO.

Der Antragsgegner beantragt,

   den Antrag abzulehnen.

Er trägt im Wesentlichen vor: Bei den verfahrensgegenständlichen Produkten der Antragstellerin handele es sich um Arzneimittel. Die Sicherheitsbewertung des Sachverständigenbüros Dr. ... gehe von einer lückenhaften Tatsachengrundlage aus. Sie berücksichtige nicht, dass Frankreich bereits im Dezember 2004 mit der RAPEX-Meldung über schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen durch kosmetische Mittel mit Gehalten an Vitamin K berichtet habe. Die daraufhin erlassene Verbotsverordnung sei bis heute in Kraft. Abgesehen davon sei für die Einstufung eines Produktes die überwiegende Zweckbestimmung maßgebend, wie sie durch den durchschnittlich informierten Verbraucher wahrgenommen werde. Eindeutige Hinweise auf die überwiegende Zweckbestimmung als Arzneimittel ergäben sich aus den Angaben wie „- mit 8 % Vitamin K 1, - wirksam gegen - Besenreiser, Couperose, - Rötungen“. Bestimmend für die Verbrauchererwartung seien auch andere Werbeunterlagen, insbesondere die Aussagen im Internet. Auf die Ausführungen des CVUA und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 11.07.2006 werde verwiesen.

...




II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Untersagungs- und Sicherstellungsverfügung. In beiden Entscheidungen ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung gesondert verfügt und hinreichend schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 VwGO). Hinsichtlich der Untersagungsverfügung ist hierzu (S. 7) ausgeführt, im Interesse der Arzneimittelsicherheit könne es Patienten nicht zugemutet werden, bis zum rechtskräftigen Abschluss eines unter Umständen Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens erheblich gesteigerten Gesundheitsgefahren ausgesetzt zu werden. Die Begründung der Sicherstellungsanordnung nimmt darauf Bezug (Ziff. III. der Entscheidung). Darin sieht das Gericht eine noch ausreichende Begründung.

Nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Entscheidung erfordert eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung und dem Interesse des Antragstellers daran, dass die Verfügung bis zur unanfechtbaren Entscheidung über seinen Rechtsbehelf einstweilen nicht vollzogen wird. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, um dessen aufschiebende Wirkung es geht, zu berücksichtigen.

Gemessen an diesen Anforderungen bestehen nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Überprüfung keine ernstlichen Zweifel (vgl. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO) an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheid vom 22.02.2006 angeordneten Untersagungsverfügung (1.) und der Sicherstellungsverfügung vom 06.03.2006 (2.). Die Erfolgsaussichten der dagegen gerichteten Klage sind als offen zu bewerten. Offen ist, ob die von der Antragstellerin vertriebenen Produkte Vitamin K 1 2 % Lotion bzw. Vitamin K 1 8 % Serum Arzneimittel (1.1.) im Sinne des AMG sind und nicht kosmetische Mittel; es fehlt ein wissenschaftlicher Nachweis dafür, dass eine für die Qualifizierung als Arzneimittel erforderliche pharmakologische Wirkung oder therapeutische Wirksamkeit der Erzeugnisse gegeben ist, deren Inverkehrbringen untersagt wurde (1.2.). Die Regelung für Zweifelsfälle in Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG ist nicht anwendbar (1.3.) Eine Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus (1.4.). Dies gilt auch für die Sicherstellung (2.).

1. Gegen die durch das Regierungspräsidium Karlsruhe angeordnete Untersagung des Inverkehrbringens nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 AMG findet kein Widerspruch statt (§ 6a S. 1 AG VwGO i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klage war der statthafte Rechtsbehelf. Deren aufschiebende Wirkung war wiederherzustellen.

Als Rechtsgrundlage der angefochtenen Untersagungsverfügung vom 22.02.2006 kommt § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG in der Fassung vom 12.12.2005 (BGBl. I. S. 3394), zuletzt geändert am 14.08.2006 (BGBl. I. S. 1869) in Betracht. Sie stellt ihrem Inhalt nach einen Dauerverwaltungsakt dar und verbietet auf der Grundlage von § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG das Inverkehrbringen der Produkte Vitamin K 1 2 % Lotion Bioque und Vitamin K 1 % Serum Bioque und erschöpft sich damit nicht im Verlangen eines einmaligen Tuns oder Unterlassens. Es ist allgemein anerkannt, dass die Gerichte bei der Beurteilung derartiger Dauerverwaltungsakte die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung jedenfalls dann zu berücksichtigen haben, wenn das materielle Recht nicht die Maßgeblichkeit eines anderen Zeitpunkts bestimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.01.1998 - 3 C 6/97 -, BVerwGE 106, 141 = NJW 1999, 881; Urt. v. 14.04.2005 - 3 C 9/04 -, Buchholz 418.21 ApBO Nr. 16 = NVwZ 2005, 1198; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 113 Rdnr. 43). Dies ist bei dem hier in Rede stehenden Regelungskomplex nicht der Fall. Dementsprechend ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen. Es sind deshalb das Arzneimittelgesetz - AMG - in der Fassung des Gesetzes vom 12.12.2005 (BGBl. I, S. 3394), das am 01.12.2005 in Kraft getreten ist, und das seit dem 07.09.2005 geltende Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB - vom 01.09.2005 (BGBl. I, S. 2617), das an die Stelle des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) getreten ist, anzuwenden (Niedersächs. OVG, Urt. v. 23.03.2006 - 11 LC 180/05 -).

Nach § 69 Abs. 1 S. 1 AMG treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Nach S. 2 können sie insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen untersagen, deren Rückruf anordnen und diese sicherstellen, wenn (Nr. 6) die erforderliche Erlaubnis für das Herstellen des Arzneimittels oder des Wirkstoffes oder das Verbringen in den Geltungsbereich des Gesetzes nicht vorliegt oder ein Grund zur Rücknahme oder zum Widerruf der Erlaubnis nach § 18 Abs. 1 gegeben ist.

1.1. Nach § 2 Abs. 1 AMG in der Fassung vom 12.12.2005 sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper 1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen, 2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen, 3. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen, 4. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder 5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. § 2 Abs. 3 AMG grenzt Arzneimittel negativ gegen Lebensmittel und kosmetische Mittel ab, indem er für den hier interessierenden Zusammenhang bestimmt, Arzneimittel sind nicht 2. kosmetische Mittel im Sinne des § 2 Abs. 5 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches. Nach der bundesgesetzlichen Definition des Kosmetikmittelbegriffs in § 2 Abs. 5 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB - in der Neufassung vom 26.04.2006, gültig ab 07.09.2005, (BGBl. I 2006, 945) sind kosmetische Mittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die ausschließlich oder überwiegend dazu bestimmt sind, äußerlich am Körper des Menschen oder in seiner Mundhöhle zur Reinigung, zum Schutz, zur Erhaltung eines guten Zustandes, zur Parfümierung, zur Veränderung des Aussehens oder dazu angewendet zu werden, den Körpergeruch zu beeinflussen. Als kosmetische Mittel gelten nicht Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Beeinflussung der Körperformen bestimmt sind. Diese Definition greift in Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27.07.1976 (76/768/EWG) zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl.EG Nr. 262 S. 169) in der durch die Richtlinie 93/35/EWG vom 14.06.1993 (ABl.EG Nr. L 151 S. 32) geänderten Fassung die Abgrenzung der kosmetischen Mittel von den Arzneimitteln im Sinne des Gemeinschaftsrechtes dahin gehend auf, dass nur bei Überwiegen des kosmetischen Zweckes von einem kosmetischen Mittel im Verhältnis zu Arzneimitteln ausgegangen werden kann. Nach Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie sind kosmetische Mittel Stoffe oder Zubereitungen, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zwecke, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern und/oder den Körpergeruch zu beeinflussen und/oder um sie zu schützen. Die Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 5 LFGB geht davon aus, dass zwischen der bundes- und gemeinschaftsrechtlichen Begriffsbestimmung materiell kein Unterschied besteht (Zipfel, Lebensmittelrecht, Stand 2005, § 2 C 102 Rdnr. 101; Meyer/Reinhart, Wettbewerb in Recht und Praxis=WRP, 2005, 1437 ff., 1457 unter Hinweis auf amtl. Begründung, BT-Drs. 15, 3657, S. 55, 59). Bei einer Gleichgewichtigkeit von arzneilicher und kosmetischer Zweckbestimmung ist nunmehr nach § 2 AMG i.V.m. § 2 Abs. 5 LFGB in Einklang mit der europarechtlichen Rechtslage - entsprechend der Kosmetik-Richtlinie 76/768/EWG und entgegen dem früheren § 4 Abs. 1 LMBG - ein Arzneimittel gegeben (vgl. auch Meyer/Reinhart, a.a.O., 1457; im Ergebnis ebenso: VG Freiburg, Urt. v. 27.07.2006 - 3 K 1409/04 - unter Hinweis auf die Richtlinie 93/95/EWG v. 14.06.1993 [Abl. EG Nr. L 151 S. 32] u. Art. 1 der Richtlinie 76/761/EWG] u. EuGH, Urt. v. 21.03.1991 - C-369/88 - (Delattre), LRE 28, 3 (10)). Der gemeinschaftsrechtlich begründete und nicht zuletzt in der Zweifelsregelung (s. 1.3.) zum Ausdruck kommende Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften steht mit dem Sinngehalt der nationalen Vorschrift des § 2 AMG in Einklang. Die hinter der gemeinschaftsrechtlichen Vorrangregelung stehende Wertung, zum einen aus Gründen des (vorbeugenden) Gesundheitsschutzes und zum anderen aus Gründen der Rechtssicherheit in Zweifelsfällen die arzneilichen Vorschriften anzuwenden, stellt sich auch für das nationale Recht als sachgerecht und verhältnismäßig das (OVG NW, Urt. v. 10.11.2005 - 13 A 463/03 - Rdnr. 39).

Nach Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 3 der Richtlinie 2004/27/EG vom 31.03.2004 am 30.10.2005 ist der nationale Arzneimittelbegriff i.S.d. § 2 AMG richtlinienkonform im Sinne des neu gefassten europarechtlichen Arzneimittelbegriffs auszulegen (BGH, Urt. v. 30.03.2006 - I ZR 24/03 -, NJW 2006, 2630 ff.).

Europarechtliche Regelungen sahen in der Vergangenheit zwei getrennte Definitionen von Arzneimitteln vor, nämlich solche nach der Bestimmung, sog. Präsentationsarzneimittel und solche nach der Funktion, sog. Funktionsarzneimittel, die sich nicht streng voneinander abgrenzen ließen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.03.1991 - C-60/89 - (Monteil und Samanni), Slg. 1991, I 1547 Rdnr. 11 f.). Der Arzneimittelbegriff ist durch Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl.EG Nr. L 136 v. 31.03.2004, S. 34) neu definiert worden. Arzneimittel sind nach Art. 1 Nr. 1 lit. a der Richtlinie 2004/27/EG Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind oder - nach Art. 1 Nr. 1 lit. b - alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Die Aufnahme der Formulierung pharmakologische (Pharmakologie = Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen und dem Organismus), immunologische (= das Immunsystem betreffend) oder metabolische (= den Stoffwechsel betreffend, stoffwechselbedingt) Wirkung soll nach dem dritten Satz der siebten Begründungserwägung der Richtlinie 2004/27/EG dazu dienen, die Art der Wirkung, die das Arzneimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, zu spezifizieren.

Bereits die Vorgängerregelungen sahen zwei getrennte Definitionen vor, nämlich Arzneimittel nach der Bezeichnung und Arzneimittel nach der Bestimmung und Funktion. Nach der Richtlinie 2001/83/EG waren Arzneimittel (Art. 1 Abs. 2) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden; des weiteren galten alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden, ebenfalls als Arzneimittel. Ähnliche Formulierungen verwendete Artikel 1 Nummer 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. Nr. 22, S. 369) in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22, im Folgenden: Richtlinie 65/65); danach gab es Arzneimittel nach der Bezeichnung und solche nach der Funktion (vgl. dazu z.B. EuGH, Urt. v. 29.04.2004 - C-387/99 -).

Für die Anwendung des § 2 AMG bedeutet die Änderung durch Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2004/27/EG folgendes: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellen die neu in die Begriffsbestimmung des Funktionsarzneimittels aufgenommenen Wirkungen (pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung) jedenfalls in größerem Umfang als die zuvor maßgebliche Definition des Art. 1 Nr. 2 II der Richtlinie 2001/83/EG auf objektive Merkmale des Produkts ab (BGH, Urt. v. 30.03.2006, a.a.O., m.w.N.). Mit der neuen Definition des Arzneimittels in Art. 1 Nr. 1 lit. b der Richtlinie 2004/27/EG verfolgte der europäische Gesetzgeber nach Erwägungsgrund Nr. 7 der Richtlinie „aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts“ das Ziel, die Begriffsbestimmungen weiter zu klären und zu spezifizieren und auftretende Zweifel der Begriffsbestimmung vermeiden zu helfen. Anlass für die Änderung waren auch das „Entstehen neuer Therapien“ und die steigende Zahl von sogenannten „Grenzprodukten“. Mit der Bestimmung des Begriffs des Arzneimittels in Art. 1 Nr. 1 lit. b der Richtlinie 2004/27/EG vom 31.03.2004 ist nach Auffassung des BGH nunmehr anders als unter der Geltung des Arzneimittelbegriffs nach Art. 1 Nr. 2 in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 2001/83/EG vom 06.11.2001 (vgl. EuGH, WRP 2005, 863 Rdnr. 56 - HLH Warenvertriebs GmbH) von einem einheitlichen europäischen Begriff des Funktionsarzneimittels und einer Vollharmonisierung in diesem Bereich auszugehen (BGH, Urt. v. 30.03.2006, a.a.O.,). Bereits nach der früheren Rechtsprechung des BGH war zum Präsentationsarzneimittelbegriff geklärt, dass auf die an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung abzustellen sei, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstelle, wobei die Verkehrsanschauung regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihre Anwendung anknüpfe. Anerkannt war auch, dass die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft ein die Vorstellung der Verbraucher beeinflussender Faktor sein könne (so BGH, Urt. v. 06.05.2004 - I ZR 275/01 -, LRE 48, 146 (153 f.) m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 - 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132, 136 ff. zu Art. 1 Nr. 2 Abs. 1 RL 65/65/EWG; OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 - Rdnr. 83 m.w.N.). Die in Werbeslogans zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen des Herstellers sind hiernach auch für den Präsentationsarzneimittelbegriff weniger entscheidend.

Zum Arzneimittelbegriff nach der Richtlinie 65/65/EWG hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, beide Begriffe ließen sich nicht streng voneinander abgrenzen (EuGH, Urt. v. 21.03.1991 - C-89/60 - u. Urt. v. 03.11.1983 in der Rechtssache 227/82 Van Bennekom, Slg. 1983, 3883, Rdnr. 22). Bezüglich des Vorliegens eines Funktionsarzneimittels in Abgrenzung zu einem Lebensmittel, war nach der Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass dies von Fall zu Fall entschieden werden muss und dabei alle Merkmale eines Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften - wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen sind (OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 09.06.2005 - C-211/03 - u.a. (HLH u. Orthica), LRE 50, 331 ff. Rdnr. 30, 51 ff. m.w.N.). Die Abgrenzung soll in Zweifelsfällen auf eine Gesamtabwägung aller im Einzelfall relevanten Merkmale mit einem Schwerpunkt bei der pharmakologischen (immunologischen, metabolischen) Wirkung hinauslaufen (OVG NW, Urteile v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - Rdnr. 61, 88 - 13 A 2098/02 - Rdnr. 60 u. - 13 A 2095/02 - Rdnr. 57 ). Diese auf eine Gesamtabwägung vor allem pharmakologischer Eigenschaften als objektives Abgrenzungskriterium abstellende Rechtsprechung des EuGH unterscheidet sich nicht wesentlich von der des Bundesgerichtshofs, wenn man berücksichtigt, dass entscheidendes Abgrenzungskriterium die Verbraucheranschauung bzw. die Verbrauchersicht ist und die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft ein die Vorstellung der Verbraucher beeinflussender Faktor sein kann (OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - Rdnr. 86, 88 unter Hinweis auf BGH, Urt. 06.05.2004, a.a.O., ).

Die Abgrenzung des Arzneimittels zu kosmetischen Mitteln wurde in der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 16.04.1991 - C-112/89 - ) zur RL 76/768/EWG wie folgt beurteilt: Ein Erzeugnis ist, auch wenn es unter die Definition der kosmetischen Mittel in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 76/768 fällt, dann als Arzneimittel im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten anzusehen und - wenn es sich um eine Arzneispezialität handelt - der entsprechenden Regelung zu unterwerfen, wenn es als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten bezeichnet wird oder dazu bestimmt ist, zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen angewandt zu werden. Diese Rechtsprechung des EuGH bezieht sich auf Fälle, in denen ein Erzeugnis im konkreten Fall mit Angaben zur kosmetischen Zweckbestimmung in den Verkehr gebracht wird, es aber nach allgemeiner Verkehrsanschauung Eigenschaften eines Arzneimittels hat. Die Qualifizierung eines solchen Erzeugnisses als Arzneimittel ist im Hinblick auf das mit beiden Richtlinien verfolgte Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit geboten, da die rechtliche Regelung für Arzneispezialitäten in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können und die im allgemeinen von kosmetischen Mitteln nicht ausgehen, strenger ist als die für kosmetische Mittel. Hiernach schließen sich beide Begriffe europarechtlich nicht aus, vorrangig ist das Arzneimittelrecht, wenn ein Arzneimittel begrifflich gegeben ist (Zipfel, a.a.O., Bd. 2, C 102 § 2 Rdnr. 114 m.w.N.). Diese zur RL 76/768/EWG ergangene Rechtsprechung ist auf die derzeitige Rechtslage nach der RL 2004/27/EG übertragbar.

Nach der zum Arzneimittelbegriff in jüngster Zeit ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfahlen (OVG NW, Urteile v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - u. - 13 A 2098/02 - u. - 13 A 2095/02 -) ergeben sich insbesondere aus den Begründungserwägungen der Richtlinie 2004/27/EG keine Anhaltspunkte für eine inhaltliche Änderung der Definition des Präsentationsarzneimittels. Bezüglich der Präsentationsarzneimittel findet sich zwar in der (aktuellen) Fassung des Art. 1 Nr. 2 lit. a) RL 2001/83/EG jedenfalls in der deutschen Übersetzung das Wort „bestimmt“, während an dieser Stelle im vormaligen Art. 1 Nr. 2 Abs. 1 das Wort „bezeichnet“ verwendet wurde. Aus dieser sprachlichen Änderung kann nach der Auffassung des OVG NW nicht auf einen inhaltlichen Änderungswillen des europäischen Gesetzgebers geschlossen werden. Denn in vielen anderen Mitgliedstaaten ist in den dortigen Fassungen des Art. 1 Nr. 2 lit. a) RL 2001/83/EG die Definition des Präsentationsarzneimittels im Verhältnis zu der davor bestehenden sprachlich nicht modifiziert worden. Durch die Definition des Funktionsarzneimittels in Art. 1 Nr. 2 lit. b) RL 2001/83/EG wird die bisherige Rechtsprechung des EuGH zur Gesamtabwägung nicht in Frage gestellt. Vom theoretischen Ansatz her ist lediglich an die Stelle der vormals herangezogenen pharmakologischen „Eigenschaften“ nunmehr primär die pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung getreten. Dies ändert in der Sache jedoch nichts, weil diese Kriterien - wenn sie im Abgrenzungsfall weiterhelfen - bereits zuvor berücksichtigt werden konnten (OVG NW, Urteile v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - Rdnr. 69 u. - 13 A 2098/02 - Rdnr. 69). Was schließlich die übrigen vom EuGH in ständiger Rechtsprechung genannten Abgrenzungskriterien - Zusammensetzung eines Produkts, Modalitäten des Gebrauchs, Umfang der Verbreitung, Bekanntheit bei den Verbrauchern, Risiken der Verwendung - anbelangt, können diese unabhängig davon, ob ihnen jemals neben den pharmakologischen Eigenschaften eine entscheidende Rolle beigemessen wurde, auch in Ansehung der neuen Definition des Funktionsarzneimittels ergänzend mit heran gezogen werden. Dass diese - wie zuvor ausgeführt - als objektiver gefasst angesehen wird, steht dem nicht entgegen, weil jedenfalls bei einem Teil der Kriterien eine stringente Zuordnung bereits zu der vormaligen (objektiven) Definition des Funktionsarzneimittels nicht möglich war (OVG NW, Urteile v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - Rdnr. 69 u. - 13 A 2098/02 - Rdnr. 67). Sowohl für die Einordnung als Präsentationsarzneimittel als auch als Funktionsarzneimittel kommt es hiernach darauf an, ob objektive Anhaltspunkte für eine der Wirkungen im Sinne des Art. 1 Nr. 1 a) der Richtlinie 2004/27/EG vorliegen.

Von der in der Richtlinie 2004/27/EG genannten Art der Wirkungen kommt für die Einordnung der streitgegenständlichen Erzeugnisse als Arzneimittel die pharmakologische Wirkung in Frage. Pharmakologie ist die Lehre von der Wirkung fremder und körpereigener Stoffe auf den Organismus sowie der Nutzung bestimmter chemischer Stoffe als Heilmittel (Roche Lexikon Medizin; VG Köln, Entsch. v. 25.08.2006 - 18 K 1232/06 -). Um eine pharmakologische Wirkung zu bejahen, müssen mit der Verwendung der in Rede stehenden Erzeugnisse nicht zwingend Gesundheitsgefahren verbunden sein. Vielmehr ist das Auftreten einer Gesundheitsgefahr nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich ein eigenständiger Faktor, der bei der Einstufung als Arzneimittel zu berücksichtigen ist (EuGH Urt. v. 09.05.2005 - C-211/03 -, WRP 2005, 863 Tz. 54 - HLH Warenvertriebs GmbH). Demgegenüber ist die pharmakologische Wirkung - neben der immunologischen oder der metabolischen Wirkung - des Erzeugnisses ein Faktor, auf dessen Grundlage die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten zu beurteilen haben, ob das Erzeugnis i.S. von Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG dazu bestimmt ist, die menschlichen physiologischen Funktionen wieder herzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (BGH, Urt. v. 30.03.2006, a.a.O., m.w.N.).



Für das gemeinschaftsrechtliche Funktionsarzneimittel galt ferner der Grundsatz, dass die Annahme eines solchen nicht an das Vorliegen einer Krankheit gebunden ist (vgl. EuGH, Urt. v. 16.04.1991 - C-112/89 - (Upjohn I), LRE 28, 19 (22)). Dies widerspricht dem Arzneimittelgesetz nicht, was die Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG zeigt (vgl. BGH, Urt. v. 11.07.2002 - I ZR 34/01 -, LRE 44, 37 (43 f.), u. - I ZR 273/99 -, LRE 44, 253 (256 f.); OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - u. - 13 A 2098/02 -).

Unabhängig von den in Art. 1 RL 2004/27/EG beschriebenen Funktionen wird in der Rechtsprechung mit Hilfe der therapeutischen Wirkung eines Erzeugnisses versucht festzustellen, ob die in Art. 1 RL 2004/27/EG geforderten Funktionen vorliegen. So sieht das OVG Nordrhein-Westfahlen (OVG NW, Urteile v. 10.11.2005 - 13 A 463/03 - Rdnr. 104 ff. , 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - Rdnr. 93 ff., 104 u. - 13 A 2098/02 - Rdnr. 105) eine therapeutische Wirkung im Sinne der Heilung einer Krankheit oder der Linderung ihrer Symptome nicht als zwingenden Bestandteil der Definition des Funktionsarzneimittels an. Allerdings erlaubt nach dieser Rechtsprechung die Bejahung einer therapeutischen Wirkung zur Abgrenzung eines Arzneimittels von Lebensmitteln den Rückschluss auf das Vorliegen einer pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkung im Sinne des Art. 1 Nr. 2 lit. b) RL 2001/83/EG bzw. i.S.d. Art. 1 Nr. 1 der RL 2004/27/EG. Denn eine festgestellte therapeutische Wirkung in der zuvor dargestellten Weise setzt notwendig voraus, dass das Produkt eine nicht nur unwesentliche Auswirkung auf den menschlichen Organismus, sein Immunsystem oder seinen Stoffwechsel entfaltet hat, selbst wenn sich die Wirkmechanismen nicht im Einzelnen feststellen lassen (OVG NW, Urt. v. 10.11.2005 - 13 A 463/03 - Rdnr. 104 ff. ). Für die Einbeziehung der therapeutischen Wirkung spricht u.a. der Erwägungsgrund Ziffer 7 zur RL 2004/27/EG, der das „Entstehen neuer Therapien“ als einen der Gründe für die Neuregelung anführt (OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - Rdnr. 104). Ob und inwieweit das Kriterium einer therapeutischen Wirkung für die Feststellung eines Arzneimittels Bedeutung erlangen kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung, weil, wie noch ausgeführt wird, eine therapeutische Wirkung, die einen Rückschluss auf die pharmakologische Wirkung des Mittels hat, nicht glaubhaft gemacht ist (s.1.2.).

1.2. In Ansehung dieser Kriterien sind die streitgegenständlichen Erzeugnisse bei summarischer Prüfung weder Präsentationsarzneimittel noch Funktionsarzneimittel. Objektive Anhaltspunkte für eine der Wirkungen im Sinne des Art. 1 Nr. 1 a) der Richtlinie 2004/27/EG sind wissenschaftlich nicht erwiesen und nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse nicht glaubhaft gemacht. Die Wirkungen von Vitamin-K 1-Produkten sind derzeit nicht hinreichend erforscht, um bei summarischer Betrachtung ein Arzneimittel anzunehmen.

Als Präsentationsarzneimittel lassen sich die in Frage stehenden Präparate nicht schon aufgrund der Hinweise der Antragstellerin in Werbemaßnahmen zuordnen. Die Bezeichnung eines Erzeugnisses durch den Hersteller ist zwar ein nützlicher, aber für sich allein nicht entscheidender Anhaltspunkt bei der Abgrenzung. Der Deklaration durch den Hersteller kann im Rahmen der Abgrenzung bereits deshalb kein Gewicht beigemessen werden, weil sie offensichtlich auf Vertriebsgründen beruht, anders ausgedrückt, die Arzneimitteleigenschaft des Produkts verneinen soll, um es ohne arzneimittelrechtliche Zulassung vertreiben zu können. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH müssen die Vorstellung des Herstellers oder des Anwenders über die Wirkung oder den Verwendungszweck des Produkts und dessen äußere Darstellung in den Hintergrund treten (OVG NW, Urt. v. 10.11.2005 - 13 A 463/03 - Rdnr. 125 zum Begriff Lebensmittel mit der Kennzeichnung „zur Nahrungsergänzung“ bzw. „Nahrungsergänzung“ unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 21.03.1991 - C-369/88 - (Delattre), LRE 28, 3 (10); OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 - Rdnr. 85). Auf die vom Antragsgegner im Schriftsatz vom 20.09.2006 dargestellten Herstellerangaben in Werbebroschüren der Antragstellerin kommt es demnach nicht entscheidend an, sie sind vor allem ohne den Nachweis der für ein Arzneimittel erforderlichen Wirkungen nicht ausschlaggebend. Soweit nach der dargestellten Rechtsprechung des BGH und EuGH die Verbrauchervorstellung am Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bemessen wird, handelt es sich hier nicht um ein Präsentationsarzneimittel, weil, was im Folgenden aufgezeigt wird, eine für ein Arzneimittel maßgebliche Wirkung nicht objektiv erwiesen ist.

Außerdem bestehen Bedenken, ob ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und interessierter Durchschnittsverbraucher (vgl. OVG NW, Urt. v. 10.11.2005 - 13 A 463/03 -Rdnr. 125 f. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 16.07.1998 - C-210/96 -, ZLR 1998, 45, 46 nachfolgend Urteile v. 18.06.2002 - C-299/99 -, Slg. I 2002, 5475-5520 u. v. 12.02.2004 - C-218/01 -, LRE 47, 318, 326) ein als „Vitamin K 1 2 % Lotion Bioque “ bzw. „Vitamin K 1 8 % Serum Bioque “ deklariertes Produkt in der Annahme kauft, es sei ein Arzneimittel. Die Bezeichnung der Behältnisse mit dem Wort „Vitamin“ deutet für sich genommen nicht auf ein Arzneimittel hin, eher auf ein Lebensmittel. In Verbindung mit dem Wort Lotion und der empfohlenen örtlichen Anwendung kombiniert der durchschnittliche Verbraucher nahe liegender Weise ein Pflegemittel, d.h. ein Kosmetikmittel. Die Verknüpfung mit dem Wort „Serum“ mag an ein Arzneimittel anklingen. Die Kurzbezeichnung Serum steht für den Blutbestandteil Blutserum (zitiert nach wikipedia). Die Verbindung mit dem Begriff „Vitamin“ und die empfohlene äußere Anwendung lassen aber die Verwendung zu kosmetischen Zwecken zu.

Nach der bisherigen Rechtsprechung ist die Einstufung von Vitaminpräparaten als Arzneimittel vor allem dann anerkannt, wenn sie, im Allgemeinen in starken Dosen, zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden, deren Ursache nicht der Vitaminmangel ist (OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 - Rdnr. 103 unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 30.11.1983 - C-227/82 - (VAN Bennekom); EuGH, Urt. v. 29.04.2004 - C-387/99 -, Slg 2004, I-03751 Rdnr. 55 unter Hinweis auf Urteil Van Bennekom, Rdnrn. 26 u. 27). Daraus ergibt sich ferner, dass Stoffe wie Vitamine in der Form von Nahrungsergänzungsmitteln, die unzweifelhaft dem Bereich der Ernährung zuzuordnen sind und die jedenfalls im Umfang der mit der normalen Nahrung aufgenommenen Mengen in aller erster Linie ernährungsphysiologische Wirkungen haben, gleichwohl dem Arzneimittelbereich zugeordnet werden können, wenn eine therapeutische Wirksamkeit im Hinblick auf eine Krankheit besteht, die nicht auf einem Ernährungsmangel beruht. Im Abgrenzungsfall ist allein entscheidend, ob der Einsatz auf der Grundlage eines einigermaßen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bezüglich der therapeutischen Wirksamkeit in der jeweiligen Konstellation erfolgt oder ob die Anwendung eher Versuchscharakter hat (wie beispielsweise der häufiger in den Medien berichtete Einsatz von Vitamin C bei Krebserkrankungen). Denn die Einstufung eines bestimmten Nährstoffs in einer bestimmten Konzentration oder - eine äußerlich anwendbare Creme mit Vitamin K 1 - als Funktionsarzneimittel ohne einen halbwegs gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisstand kommt nicht in Betracht (OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 2098/02 -). Auf den vorliegenden Fall angewendet, bedeutet dies. Selbst wenn Besenreiser, Varizen und Couperose Krankheiten wären, was in Fachkreisen kontrovers diskutiert wird (s. BfR v. 11.07.2006, S. 2) und nicht abschließend geklärt werden muss, wäre nicht nachgewiesen und nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass die streitgegenständlichen Vitamin-K-1-Präparate eine wissenschaftlich anerkannte therapeutische bzw. pharmakologische Wirkung hätten. Deshalb scheidet nach der aufgezeigten Rechtsprechung des BGH und des EuGH die Annahme eines Arzneimittels aus.




Die Frage, wie die pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung feststellbar ist, ist nach Erwägungsgrund Nummer 7 zur Richtlinie 2004/27/EG nach dem „wissenschaftlichen und technischen Fortschritt“ zu beurteilen; das „Entstehen neuer Therapien“ ist mit zu berücksichtigen. Europarechtliche Vorgaben zum Begriff des wissenschaftlichen Fortschritts sind nicht ersichtlich. Für die Auslegung nationalen Rechts (§ 2 AMG) kann auf die Maßstäbe der Rechtsprechung zur wissenschaftlichen Anerkennung einer Heilmethode im Beihilferecht zurückgegriffen werden. Danach ist von Bedeutung, ob die Therapie wissenschaftlich anerkannt ist oder ob eine solche Anerkennung zu erwarten ist. Als wissenschaftlich anerkannt sind nur solche Heilmethoden anzusehen, die von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für die Behandlung der jeweiligen Krankheit als wirksam und geeignet angesehen werden (BVerwG, Urt. v. 18.06.1998 - 2 C 24.97 -, NJW 1998, 3436). Um „anerkannt“ zu sein, muss einer Behandlungsmethode und den in ihrem Rahmen verwendeten Heilmitteln von - dritter Seite - also von anderen als dem Urheber - attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein und wirksam eingesetzt werden zu können. Um „wissenschaftlich“ anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Um „allgemein“ anerkannt zu sein, muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden. Daher ist eine Behandlungsmethode dann „wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt“, wenn eine Einschätzung ihrer Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt (BVerwG, Urt. v. 29.06.1995 - 2 C 15.94 -, ZBR 1996, 48; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.06.2003 - 4 S 804/01 -, DÖD 2004, 109).

Von einer wissenschaftlich anerkannten pharmakologischen Wirkung oder einer therapeutischen Wirksamkeit eines Vitamin K-1-Produkts der streitgegenständlichen Art kann nach der im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO nur möglichen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung der bislang vorliegenden Stellungnahmen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und des CVUA vom 22.12.2005 u. v. 20.01.2006 nicht ausgegangen werden; es finden sich zwar Anzeichen für eine therapeutische Wirksamkeit, die aber derzeit ebenfalls nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Die Wirkung von Vitamin K 1-Produkten ist derzeit wissenschaftlich noch nicht hinreichend erforscht. In Frankreich berichtete bereits im Dezember 2004 eine RAPEX(Rapid Alert System for Non-.Food. Products)-Meldung über schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen durch kosmetische Mittel mit Gehalten an Vitamin K 1. Hierbei kam es bei zwei kosmetischen Produkten (kosmetische Cremes mit den Handelsnamen EKYCED und AURIDERM ; siehe Anlage) zu Kontaktallergien mit schweren systematischen Unverträglichkeitsreaktionen. Außerdem wurde im Jahr 2005 über den Fall einer Ekzemreaktion nach topischer Anwendung einer Vitamin K 1 Creme in Spanien berichtet. Die der RAPEX-Meldung zugrunde liegenden Fälle zeigen, dass die Häufung von Kontaktallergien nach Verwendung von Vitamin K 1-haltigen Produkten auffallend hoch war. Frankreich erließ danach eine bis heute in Kraft gebliebene nationale Verbots-Verordnung, den Beschluss der Agence de securite sanitaire des produits de sante . Schließlich wurde in der Fachzeitschrift Contact Dematitis im Jahre 2005 über den Fall einer Ekzemreaktion nach topischer Anwendung einer Vitamin K-1 Creme berichtet. Vor dem Hintergrund des Vermarktungsverbotes für kosmetische Mittel durch die französische Regierung beabsichtigt die Kommission der EU eine Bewertung dieses Stoffes durch den wissenschaftlichen Ausschuss „Konsumgüter“ (SCCP) durchführen zu lassen (siehe Bericht des Innenministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz v. 05.09.2006). Dieser Bericht steht noch aus.

Das CVUA ... stellt in seiner Untersuchung der Produkte der Antragstellerin vom 22.12.2005 fest, Hautpenetrationsdaten von Vitamin K 1 lägen dem Amt nicht vor. Es führt aus, „aufgrund der Lilophilie des Moleküls ist eine nicht unerhebliche Penetration durch die Haut zu vermuten“, d.h. sie ist wissenschaftlich derzeit nicht gesichert. Die in der Anlage 1 aufgeführte Expositionsbetrachtung zeigt nach Auffassung des CVUA, dass eine pharmakologische Wirkung bei nur 10 % Penetration des Vitamin-K 1-Wirkstoffs bei ausschließlicher Anwendung im Gesicht bereits einer Verabreichung von hohen Dosen eines Vitamin-K 1-Arzneimittels bei Mangelblutungen entspräche. Eine großflächige Anwendung würde entsprechend ungünstiger ausfallen. Dies erklärt nach Meinung des CVUA, dass unerwünschte Nebenwirkungen zu beobachten seien, wie sie in der RAPEX-Meldung geschildert worden seien. Die Stellungnahme vom 20.01.2006 enthält im Vergleich zur Untersuchung vom 22.12.2005 keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse oder Aussagen. Einem wissenschaftlichen Nachweis einer pharmakologischen Wirkung entsprechen die Ausführungen der CVUA nicht.

Das selbe gilt für die Beurteilung des BfR vom 11.07.2006, in der es unter anderem heißt: „Da eine wissenschaftliche Dokumentation mit Untersuchungen zur Wirksamkeit und möglicher toxikologischer Risiken von Vitamin K 1 nicht beigefügt wurde, kann aufgrund der noch ausstehenden Literatur von internationalen Datenbanken und in Anbetracht der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit, vorab nur ein Zwischenbericht mit vorläufiger Beurteilung aus Sicht des BfR und der vorläufigen Kommission für kosmetische Mittel erarbeitet werden. Agens und pharmakologische Eigenschaften: Als K-Vitamine (Phyllochinone) wird eine Gruppe chemischer Verbindungen verstanden, die die Blutgerinnung fördern und die Durchlässigkeit der Blutgefäße regulieren“. Zur therapeutischen Wirksamkeit ist ausgeführt, „therapeutisch wird Vitamin K 1 als Antihämorrhagikum bei Vitamin-K-Mangelblutungen eingesetzt sowie bei Patienten mit stark erniedrigtem Quick-Wert bei drohender Blutungsneigung. Prophylaktisch erfolgt die Gabe an Neugeborene (unreife Leberfunktion) unmittelbar nach der Geburt. Bei Überdosierung von Antikoagulantien vom Cumarintyp dient Vitamin K 1 als Antidot. Die Verabreichung erfolgt systematisch entweder peroral und parenteral (I.m., s.c.), bei lebensbedrohlichen Zuständen auch i.v.“. Als unerwünschte Wirkungen im therapeutischen Bereich in Einzelfällen werden anaphylaktoide Reaktionen, das Auftreten von Kontaktdermatiden, Pigmentierungen und sklerodermiforme Infiltrationen an den Injektionsstellen beschrieben. Zur externen Anwendung führt der BfR folgendes aus: „Recherchen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfAaM) haben ergeben, dass eine arzneimittelrechtliche Zulassung für Vitamin-K-haltige Arzneimittel zur topischen Anwendung bisher nicht erteilt wurde. Aus der bisher vorliegenden Fachliteratur wird jedoch ersichtlich, dass unter anderem Vitamin-K-haltige Externa zunehmend klinisch im Bereich der plastischen Chirurgie (Face-Lifting), Lasertherapie und Phlebologie eingesetzt werden zur Linderung bzw. Reduktion postoperativer Folgeerscheinungen wie erhöhte Blutungsneigung mit Hämatombildung, Schwellungen und Rötungen nach Lasertherapie, Hyperpigmentierungen u.a.. Therapeutische Wirksamkeit kann bei den angegeben Indikationen durch klinische Untersuchungen, die hauptsächlich in den USA an chirurgischen Zentren durchgeführt wurden, angenommen werden. Dem BfR liegen die Originalstudien nicht vor (6,7)“.

Das BfR gelangt zu folgender vorläufigen Beurteilung: „Eine arzneiliche Wirksamkeit von Vitamin K 1 nach topischer Anwendung kann aufgrund unterschiedlicher Berichte aus chirurgischen Kliniken angenommen werden, obwohl wissenschaftliches Erkenntnismaterial in Form klinischer Studien dem BfR nicht vorliegt. Sollte der Nachweis der Wirksamkeit auf das Gefäß- und Gerinnungssystem geführt werden können, muss davon ausgegangen werden, dass das fettlösliche Vitamin durch die Hautschichten penetriert und am Gefäßsystem Effekta ausübt, pharmakologische Wirkung zeigt und systematisch verfügbar wird. Untersuchungen zur Hautpenetration liegen dem BfR allerdings nicht vor.“... „Für eine abschließende gesundheitliche Bewertung von Vitamin K 1 als Inhaltsstoff Kosmetischer Mittel zur topischen Anwendung fehlen noch Daten zur Wirksamkeit bei den in der Auslobung empfohlenen Einsatzgebieten und den verwendeten Konzentrationen, zum Wirkungsmechanismus, zur Hautpenetration und Resorption“.

Die Auswertung des Berichts des BfR vom 11.07.2006 ergibt, dass eine pharmakologische Wirkung von Vitamin-K-haltigen Produkten nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Das BfR räumt selbst ein, wissenschaftliches Erkenntnismaterial in Form klinischer Studien zur arzneilichen Wirksamkeit von Vitamin K 1 nach topischer (örtlicher) Anwendung liege nicht vor, bislang gäbe es dazu lediglich unterschiedliche Berichte aus chirurgischen Kliniken. Dem Bericht des BfR ist zu entnehmen, dass der Nachweis der Wirksamkeit von Vitamin K 1-Mitteln auf das Gefäß- und Gerinnungssystem derzeit wissenschaftlich nicht geführt ist. Eine therapeutische Wirksamkeit, die auf eine pharmakologische Wirkung hindeutet, kann allenfalls klinischen Erfahrungsberichten entnommen werden, die aber nicht dem Charakter einer wissenschaftlichen Untersuchung an Hochschulen oder einer vergleichbaren Forschungseinrichtung entsprechen und keinen wissenschaftlichen Nachweis darstellen. Bei dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse kann deshalb bei summarischer Betrachtung nicht vom Vorliegen eines Arzneimittels ausgegangen werden, die Qualifizierung als Arzneimittel kann aber aufgrund klinischer Erfahrungsberichte nicht ausgeschlossen werden. Der Stand der Forschungsergebnisse ist offen.



1.3. Die Regelung für Zweifelsfälle in Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG in der Fassung, die er durch die Richtlinie 2004/27/EG erhalten hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Zweifelsregelung ist anwendbar, auch wenn die Aufnahme einer dem Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG entsprechenden Zweifelsregelung in das AMG nicht erfolgt ist (vgl. OVG NW, Urt. v. 10.11.2005 - 13 A 463/03 - Rdnr. 49). Dort ist nunmehr geregelt, dass in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, diese Richtlinie (2001/83/EG) gilt. Die Regelung kann nicht dahin verstanden werden, dass ungeachtet objektiver Tatbestandsvoraussetzungen Abgrenzungsschwierigkeiten immer in dem Sinne zu lösen sind, dass „im Zweifel“ ein Arzneimittel vorliegt. Die Zweifelsregelung findet erst dann Anwendung, wenn unter Berücksichtigung aller Merkmale eines Produkts keine Einigkeit hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft besteht in dem Sinne, dass diese weder (sicher) festgestellt noch (sicher) ausgeschlossen werden kann, weil andernfalls bereits kein Zweifelsfall vorläge. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn in der Zweifelsregelung als Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit gefordert wird, dass „das Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften ... unter die Definition von „Arzneimittel“ ... fallen kann (OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 1977/02 - Rdnrn. 147 u. 144). Der danach bestehende gemeinschaftsrechtliche Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften ist auch bei der Anwendung nationalen Rechts zu berücksichtigen, gegebenenfalls im Wege der richtlinienkonformen Auslegung (OVG NW, Urt. v. 17.03.2006 - 13 A 2095/02 - u. 13 A 1977/02 - Rdnr. 42, OVG NW, Urt. v. 10.11.2005 - 13 A 463/03 - ). Die Zweifelsregelung ist hier deshalb nicht anwendbar, weil nach dem derzeitigen Erkenntnisstand noch nicht alle wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten für eine umfassende Beurteilung der Wirkungen von Vitamin K 1-Produkten ausgeschöpft wurden. In dem auf eine summarische Prüfung beschränkten Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO lassen sich „Restzweifel“ nicht klären.

1.4. Sind hiernach die Erfolgaussichten als offen zu bewerten, so fällt die Abwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Für die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung spricht zwar, dass Erzeugnisse, wenn sie Arzneimittel sind, erhebliche Gefahren für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können, und deshalb strengeren staatlichen Maßnahmen unterliegen müssen als kosmetische Mittel, von denen solche Gefahren im Allgemeinen nicht ausgehen oder in geringerem Maße zu befürchten sind. Im konkreten Fall sind aber die eventuell entstehenden Gefahren, wie bereits ausgeführt, gering. Es kam in Deutschland allenfalls zu gelegentlichen allergischen Reaktionen. Allerdings dürfen die der RAPEX-Meldung zugrunde liegenden Fälle nicht außer Acht gelassen werden. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 75, 108 <154 f.>; 80, 137 <153>; 90, 145 <172>) lässt sich aber die im Bericht des BfR vom 11.07.2006 (S. 4 a.E.) aufgezeigte Gefahr von Allergien mit hoher Wahrscheinlichkeit mit anderen Mitteln als der einstweiligen Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts beseitigen. In Frage kommen unter anderem an den Verbraucher gerichtete Aufklärungshinweise, die geeignet sind, den Verbraucher vor derartigen Gefahren zu schützen. Als geeignet und zweckmäßig zum Schutze des Verbrauchers sieht das BfR einen Hinweis auf die Möglichkeit der Auslösung einer allergischen Reaktion bei Anwendung Vitamin-K-haltiger Präparate. Gegebenenfalls können derartige Hinweise mit Testmöglichkeiten und weiteren Schutzmaßnahmen verbunden werden. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Untersagungsverfügung ist mit dem Schutzzweck des AMG und mit beiden europarechtlichen Richtlinien zu Arzneimitteln (RL 2004/27/EG) und Kosmetikmitteln (RL 76/768/EWG) vereinbar. Denn der Schutz der öffentlichen Gesundheit ist gewahrt, der Gefahr von Allergien kann durch weniger einschneidende Maßnahmen als der der Untersagungsverfügung begegnet werden. Gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung spricht im vorliegenden Fall insbesondere das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht der Antragstellerin, im Rahmen ihres eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ein Produkt nach Maßgabe der einschlägigen Gesetze vertreiben zu dürfen, für das nicht nachgewiesen und nicht glaubhaft gemacht ist, dass es ein Arzneimittel ist und deshalb den besonderen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes unterliegt. Ein unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verfügtes Verbot des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen Erzeugnisse würde einen unverhältnismäßigen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG darstellen, weil weniger einschneidende und geeignete Maßnahmen in Frage kommen, um mögliche Gefahren abzuwenden. Unverhältnismäßige Einschränkungen sind mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Der Antragstellerin muss (einstweilen) gestattet werden, ihre Erzeugnisse nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften in Verkehr bringen zu dürfen. Ob und unter welchen Voraussetzungen die streitgegenständlichen Erzeugnisse als Kosmetikmittel in Verkehr gebracht werden dürfen, sofern es sich um solche handelt und das AMG oder sonstige nationale oder europarechtliche Sondervorschriften nicht eingreifen, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Dies beurteilt sich nach Maßgabe der für Kosmetikmittel einschlägigen Vorschriften.

2. Lässt sich die sofortige Vollziehbarkeit der Untersagungsverfügung im einstweiligen Rechtsschutz nicht aufrechterhalten, so ist auch bezüglich der hierauf gestützten Sicherstellung die aufschiebende Wirkung des dagegen eingelegten Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Gegen die durch das Regierungspräsidium Karlsruhe angeordnete Sicherstellung nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 AMG findet kein Widerspruch statt (§ 6a S. 1 AG VwGO, § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klage war der statthafte Rechtsbehelf. ..."

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