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OLG Hamm Urteil vom 12.01.2004 - 13 U 165/03 - Zur Anfechtbarkeit wegen fehlerhafter Preisübermittlung und zur Rechtzeitigkeit der Anfechtung im Internethandel

OLG Hamm v. 12.01.2004: Zur Anfechtung eines Internetkaufvertrages bei falscher Preisangabe innerhalb von vier Tagen nach der Auftragsbestätigung


Das OLG Hamm (Urteil vom 12.01.2004 - 13 U 165/03) hat entschieden:
  1.  Wird auf eine Bestellung per Internet der Auftrag sofort darauf bestätigt, wobei auf Grund eines Fehlers des zwischengeschalteten Dienstleisters der Kaufpreis versehentlich um zwei Kommastellen falsch angegeben wird, so ist der Verkäufer unabhängig von der Frage, ob durch die sofortige elektronische Auftragsbestätigung ein Kaufvertrag zustande gekommen ist, zur Anfechtung seiner Erklärung wegen Übermittlungsirrtums berechtigt (§ 120 BGB).

  2.  Eine Anfechtung des Kaufvertrages im Internethandel vier Tage nach der Auftragsbestätigung ist rechtzeitig.




Siehe auch
Preisangaben
und
Preisanfechtung


Aus den Entscheidungsgründen:


"Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gemäß §§ 281 Abs. 1, 280 Abs. 1 und 3, 433 BGB.

Es kann dahingestellt bleiben, ob durch die Bestellung des Klägers vom 29.04.2002 per e-mail und durch die Bestätigung der Beklagten ebenfalls vom 29.04.2002 per e-mail ein Kaufvertrag zustande gekommen ist oder ob es sich bei der Bestätigung der Beklagten allein um eine Zugangsbestätigung iSd § 312 e Abs. 1 Ziff. 3 BGB handelt.

Denn ein solcher Kaufvertrag wäre jedenfalls wirksam von der Beklagten gemäß § 142 BGB angefochten worden.

Bei der e-mail vom 03.05.2002 handelt es sich um eine Anfechtungserklärung gemäß § 143 BGB und nicht nur um eine Entschuldigungsmail. Unerheblich ist nach allgemeiner Meinung (Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 143 Rz. 3; BGH NJW RR 1995, S. 859), dass die Formulierung "Anfechtungserklärung" in dem Schreiben nicht enthalten ist; es reicht aus, wenn die Erklärung erkennen lässt, die Partei wolle aus einem in den §§ 119 ff BGB genannten Gründen das Geschäft nicht gelten lassen. Das ist hier der Fall. In der e-mail vom 03.05.2002 heißt es u.a.:

   "Aus diesem Grund können wir im Rahmen unserer allgemeinen Geschäftsbedingungen die von Ihnen bestellten Artikel leider nicht ausliefern."

Die e-mail der Beklagten vom 03.05.2002 bringt damit klar zum Ausdruck, dass die Beklagte sich nicht an dem vermeintlich geschlossenen Vertrag festhalten lassen will. Auch wird der Grund dafür mitgeteilt, indem darauf hingewiesen wird, dass beim Einspielen der neuen Preislisten durch einen Dienstleister ein Fehler passiert sei, der das Komma im Preis um zwei Stellen nach vorne habe rutschen lassen.




Die Anfechtungserklärung ist auch von der Anfechtungsberechtigten, der Beklagten, abgegeben worden. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Zeuge S die Anfechtungserklärung von 03.05.2002 als Vertreter für die Fa. L.de gemäß § 164 BGB abgegeben hat. Der Zeuge S hat ausgesagt, die e-mail vom 03.05.2002 sei von ihm veranlasst worden. Er selbst arbeite als Berater im Rang eines Abteilungsleiters bei der L.de, welche in organisatorischer Hinsicht wie eine eigene Filiale anzusehen ist. Sein Arbeitsbereich umfasse den Kundenservice. Das bedeute, dass er für die Tätigkeit zuständig sei, die von der Bestellung einer Ware bis zur vollständigen Abwicklung dieser Bestellung anfalle; auch sei er bevollmächtigt, Anfechtungserklärungen abzugeben.

Die Beklagte hatte auch einen Anfechtungsgrund, und zwar aus § 120 BGB.

Auch eine automatisierte, vom Computer erstellte Erklärung unterliegt den Regeln der Willenserklärung und ist damit einer Anfechtung zugänglich (Palandt a.a.O., § 120 Rz. 2; OLG Frankfurt NJW 2003, S. 450, 451; Hoffmann NJW 2003, S. 2576, 2577) . Dass es sich vorliegend bei der Annahmeerklärung - wenn man denn die e-mail vom 29.04.2002 so auslegt - um eine derartige automatisierte Computererklärung handelt, wird aus dem Zeitablauf deutlich. Unstreitig ist die Bestätigung des Auftrags des Klägers einige Sekunden nach Eingang der Bestellung erfolgt. Auch aus dem sonstigen Text wird deutlich, dass es sich um eine Erklärung handelt, die von einem Rechner infolge einer entsprechenden Programmierung automatisch erstellt und dann an den Computer des Klägers elektronisch übermittelt wurde. Da aber der Rechner nur Befehle ausführt, die zuvor mittels Programmierung von Menschenhand festgelegt worden sind, hat jede automatisch erstellte Computererklärung ihren Ursprung in einer menschlichen Handlung, die von dem Erklärenden veranlasst wurde und die auf seinen Willen zurückgeht. Auch Computererklärungen sind deshalb als Willenserklärungen dem jeweiligen Betreiber zuzurechnen.

Eine Erklärung des Inhalts, nämlich zum Preis von 1,88 EUR pro Stück dem Kläger die 99 Speichermodule zu liefern, hat die Beklagte nicht abgeben wollen. Vielmehr glaubte sie, wie aus der Aussage des Zeugen S deutlich geworden ist, mit dem Kläger auf der Basis der von ihr angegebenen Preise zu kontrahieren. Der Irrtum, der der Beklagten unterlaufen ist, unterliegt den Regeln des Übermittlungsirrtums gemäß § 120 BGB. Zurückzuführen ist dieser Irrtum auf eine von der Beklagten zunächst nicht bemerkte Aktivierung einer falschen Funktion beim Einspielen der neuen Preislisten durch einen Dienstleister, die letztlich bewirkte, dass ein viel zu geringer Preis in die Internet-Datenbank transportiert wurde.

Zwar betraf diese unrichtige Übermittlung nicht unmittelbar die Annahmeerklärung der Beklagten. Gegenstand der unrichtigen Übermittlung des zwischengeschalteten Dienstleisters war die "invitatio ad offerendum", aufgrund derer der Kläger sein Vertragsangebot abgab. Die unrichtige Übermittlung der "invitatio ad offerendum" wirkte bei der infolge der entsprechenden Programmierung automatisch übermittelten Annahmeerklärung der Beklagten noch fort. Bei diesem Geschehensablauf hatte die Beklagte keine Möglichkeit, den Fehler bei der Übermittlung zu bemerken oder gar zu korrigieren.




Die Anfechtung erfolgte auch fristgemäß i.S.v. § 121 Abs. 1 BGB. Fristgemäß bedeutet unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, nach Kenntnis von dem Anfechtungsgrund. Dem Anfechtungsberechtigten steht eine angemessene Überlegungsfrist zu; dabei gilt als Obergrenze eine Frist von zwei Wochen (OLG Hamm NJW - RR 1990, S. 523; Palandt a.a.O. § 121, Rz. 4). Die Beklagte hat die Anfechtungserklärung am 03.05.2002, also vier Tage nach der Annahmeerklärung vom 29.04.2002 abgegeben. Da es sich bei dem Internethandel um ein Massengeschäft handelt, ist es zwanglos vorstellbar, dass die Beklagte die falsche Preisangabe erst im Rahmen einer Überprüfung einige Tage nach ihrer e-mail-Erklärung vom 29.04.2002 bemerkt hat. Dementsprechend hat die Beklagte dann unverzüglich reagiert. Dies ergibt sich auch aus dem von dem Kläger nicht bestrittenem Vortrag, wonach die Internetabteilung der Beklagten erst am 06.05.2002 die Datenbank systematisch nach Aufträgen, die sich auf die fehlerhaft ausgezeichnete Ware bezogen, durchsuchen konnte, allerdings in Einzelfällen, in denen der Fehler schon frühzeitiger erkannt worden sind - wie hier -, die Anfechtungserklärungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben worden sind. Der Kläger, der als Anfechtungsgegner die Beweislast für den Zeitpunkt der Kenntnis trägt (Palandt a.a.O. § 121, Rz 6), hat etwas anderes nicht dargelegt und schon gar nicht bewiesen.

Auf die vorsorglich erklärte Anfechtung durch die Beklagte in ihrem Schreiben vom 19.07.2002, die ohnehin verspätet erfolgt wäre, kommt es daher nicht an.

2. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 122 Abs. 1 BGB.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für den Anspruchsgrund vorliegen; jedenfalls hat der Kläger keinen nach § 122 BGB ersetzbaren Schaden nachgewiesen. Der Ersatzanspruch des Anfechtungsgegners erstreckt sich auf den Vertrauensschaden, d.h. auf die Nachteile, die durch das Vertrauen auf die Gültigkeit entstanden sind (negatives Interesse). Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäftes vertraut hätte (Palandt a.a.O., Vor § 249, Rz. 17). Der Ersatzanspruch wird durch das Erfüllungsinteresse nach oben begrenzt (Palandt a.a.O., § 122, Rz 4). Beweist der Anfechtungsgegner, dass ohne das Verhalten des Beklagten, das die Anfechtung begründete, ein günstigerer Vertrag abgeschlossen wäre, ist dieser für die Schadensbemessung maßgebend (Palandt a.a.O., Vor § 249 Rz. 17). So liegt der Fall hier aber gerade nicht. Vielmehr hätte der Kläger ohne den hier abgeschlossenen Vertrag nur einen Vertrag über Speichermodule zu einem Einzelpreis von 188,- EUR abschließen könne.



Dementsprechend könnte der Kläger hier nur den durch das anfechtbare Verhalten veranlassten Mehraufwand verlangen. Dazu hat der Kläger jedoch nichts vorgetragen.

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs.1 BGB (früher: culpa in contrahendo).

Auch hier kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für den Anspruchsgrund vorliegen; denn auch hier hat der Kläger keinen ersetzbaren Schaden nachgewiesen. Zwar ist auch nach der Neuregelung der Konstellation der c.i.c. im BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform unter bestimmten Umständen durchaus der Ersatz des Erfüllungsinteresses möglich. Solche Umstände liegen hier aber nicht vor. Denn das Erfüllungsinteresse ist dann zu ersetzen, wenn der Vertrag ohne die c.i.c. mit dem Schädiger zu günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre (Palandt a.a.O., § 311, Rz. 58; BGHZ 108, 200; BGH NJW-RR 2001, 1524). Das ist hier gerade nicht der Fall. Denn dann hätte die Beklagte den korrekten Preis in Höhe von 188,- EUR ausgewiesen und es hätte nur ein Vertrag mit einem solchen Kaufpreis zustande kommen können.

Einen Vertrauensschaden, der anders als bei § 122 BGB der Höhe nach nicht auf das Erfüllungsinteresse beschränkt ist (Palandt, a.a.0., § 311, Rz. 57), hat der Kläger weder dargelegt noch beweisen. ..."

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