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OLG Düsseldorf Urteil vom 06.10.2009 - I-20 U 97/09 - Zum besonderen medizinisch indizierten Nährstoffbedarf bei Erkrankungen wie ADHS

OLG Düsseldorf v. 06.10.2009: Zum besonderen medizinisch indizierten Nährstoffbedarf bei Erkrankungen wie ADHS


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 06.10.2009 - I-20 U 97/09) hat entschieden:
Ein besonderer - medizinisch indizierter - Nährstoffbedarf kann bereits dann angenommen werden, wenn die an bestimmten Beschwerden, Krankheiten oder Störungen leidenden Personen einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe ziehen können. Ein besonderer Nutzen durch wissenschaftliche Studien schlüssig vorgetragen werden. Der Wirksamkeitsnachweis kann durch Vorlage von Studien erbracht werden, die nach allgemeinen anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden sind, und es ist nicht erforderlich, dass die Wirksamkeit als solche in der Fachwelt allgemein anerkannt und unumstritten ist. Die Diätverordnung enthält keine ausdrücklichen Regelungen der Anforderungen, die an den Wirksamkeitsnachweis zu stellen sind.




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Gründe:

I.

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Arznei- und Nahrungsergänzungsmittelherstellung.

Die Antragsgegnerin hat mit dem – an Apotheker gerichteten – Schreiben vom 19.02.2009 die Markteinführung eines von ihr neu entwickelten Produktes "R.", das aus einer Mischung von Seefischöl und Nachtkerzöl sowie den Mineralstoffen Magnesium und Zink besteht und als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zur diätetischen Behandlung von AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi-tätsstörung) dient, angekündigt. Die Antragstellerin hält den Vertrieb des Produktes "R." für wettbewerbswidrig und will im Wege der einstweiligen Verfügung erreichen, dass der Antragsgegnerin das In-Verkehr-Bringen untersagt wird.

Die Antragstellerin macht geltend, dass AD(H)S keine ernährungsassoziierte Erkrankung sei und nicht mit einem besonderen Ernährungserfordernis einhergehe und führt für diesen Standpunkt an, dass in den wichtigsten Standard-Lehrbüchern der Ernährungswissenschaft und Ernährungsmedizin keine spezielle Ernährung für Patienten mit ADHS beschrieben werde. Des weiteren macht die Antragstellerin geltend, dass entsprechend der Subsidiaritätsklausel in § 1 Abs. 4a DiätV ein etwa bestehender Bedarf durch eine Modifizierung der normalen Ernährung erreicht werden könne. Schließlich stellt die Antragstellerin die Wirksamkeit des Mittels in Frage.

Die Antragsgegnerin führt für die Wirksamkeit des von ihr angekündigten Mittels zwei Studien an und zwar die "O.-D.-Studie" und die "J.-Studie" von der Universität G. an.

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf bestehe, wie sich aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Studien ergebe. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne ein besonderer Nährstoffbedarf bereits dann angenommen werden, wenn die an bestimmten Beschwerden, Krankheiten oder Störungen leidenden Personen einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe ziehen könnten. Ein besonderer Nutzen sei von der Antragsgegnerin durch die Studien schlüssig vorgetragen und von Antragstellerin nicht hinreichend substantiiert bestritten worden. Mit den Studienergebnissen sei auch nachgewiesen, dass das beworbene Mittel für einen medizinisch bedingten Ernährungsbedarf bestimmt und geeignet sei. Schließlich habe die Antragstellerin nicht dargelegt, dass es Präparate gebe, welche genau die gleiche Kombination von Inhaltsstoffen bei genau den gleichen Anteilen an Nährstoffen aufwiesen, so dass auch die Subsidiaritätsklausel nicht durchgreife.

Mit der Berufung verfolgt die Antragstellerin ihren Unterlassungsantrag weiter. Sie bemängelt, dass das Landgericht die Anforderungen an das Vorliegen eines medizinisch bedingten Nährstoffbedarfes zu niedrig angesetzt habe. Dieser gehe über einen besonderen Nutzen, den § 1 Abs. 2 Nr. 1b DiätV als Kriterium für alle diätetischen Lebensmitteln nennt, hinaus. Die Antragsgegnerin habe einen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bei Kindern mit ADHS nicht ausreichend dargelegt, wo hingegen sie – die Antragstellerin – aufgezeigt habe, dass in den einschlägigen Lehrbüchern kein spezifisch medizinisch bedingter Nährstoffbedarf bei ADHS-Patienten erwähnt sei. Auch seien die von der Antragsgegnerin vorgelegten Studien nicht geeignet, die nutzbringende Verwendung ihres Produktes zu belegen. Die Antragstellerin legt in zweiter Instanz eine in M. durchgeführte Studie aus dem Jahre 2001 vor, aus der sich ergeben soll, dass die Sublimentierung der Omega-3-Fettsäure DHA für Kinder mit AHDS nicht von Nutzen sei. Dies habe auch eine weitere Studie aus dem Jahre 2004, die die Antragstellerin vorlegt, ergeben.

Schließlich habe das Landgericht auch die Subsidiaritätsklausel des § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV nicht richtig angewandt. Sie greife nicht nur durch, wenn es identische Präparate gebe; es genüge bereits eine Kombination aus anderen Präparaten. Die Antragsgegnerin habe nicht hinreichend vorgetragen, dass der angebliche Nutzen des streitigen Präparats nicht durch eine Kombination von üblichen Nahrungsergänzungsmitteln mit Fischöl, Nachtkerzöl, Magnesium und Zink erreicht werden könne.

Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 13.05.2009, wie erstinstanzlich im Verfügungsantrag vom 11.03.2009 beantragt, zu verurteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das zu ihren Gunsten ergangene landgerichtliche Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Zu den von der Antragstellerin in zweiter Instanz vorgelegten Studien bezieht sie sich auf eine Stellungnahme von Prof. Dr. H. Danach hätten die von der Antragstellerin vorgelegten Studien keine Relevanz für das streitbefangene Produkt. Des weiteren überreicht die Antragsgegnerin eine fachwissenschaftliche Bewertung des Produktes durch Prof. Dr. H.

Schließlich vertritt sie auch in zweiter Instanz die Auffassung, dass die Subsidiaritätsklausel nach § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV nicht eingreife; die Anforderungen dürften insoweit nicht überspannt werden und es müsse im Interesse der Patienten Praktikabilität gegeben sein.


II.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Ihr Interesse am Erlass der begehrten Eilmaßnahme überwiegt nicht derart, dass der beantragte Eingriff in die Sphäre der Antragsgegnerin aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens gerechtfertigt wäre.

Es würde für die Antragsgegnerin eine gravierende Beeinträchtigung im Wettbewerb bedeuten, wenn sie das von ihr neu entwickelte Mittel "R." nicht vertreiben dürfte, und sie könnte den Schaden, der aus der Vollziehung einer derartigen Unterlassungsverfügung entstände, kaum verlässlich bestimmen. Deshalb wäre eine derartige Maßnahme aufgrund eines Eilverfahrens nur dann gerechtfertigt, wenn die Tatsachengrundlage hinreichend gesichert wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Vielmehr ergeben die von der Antragsgegnerin zur Akte gereichten Studien eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Wirksamkeit des Produktes "R." bei der Behandlung von ADHS. Ein Wettbewerbsverstoß nach § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 LVGB sowie §§ 1 Abs. 4a und 14bAbs. 1 DiätV ist somit nicht gegeben.

Diätetische Lebensmittel sind nach § 1 Abs. 1 DiätV Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Auch bilanzierte Diäten müssen als diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einer besonderen Ernährung dienen, und zwar entweder der Ernährung von Patienten, bei denen die Aufnahme oder Verarbeitung gewöhnlicher Lebensmittel oder Nährstoffe aus bestimmten Gründen beeinträchtigt ist (§ 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 1 DiätV), oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinischen bedingten Nährstoffbedarf (§ 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV).

Dass das Mittel "R." Nährstoffe enthält und somit der Ernährung dient, wird von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen. Die Antragstellerin sieht allerdings keinen sonstigen medizinischen Ernährungsbedarf im Sinne von § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV gegeben, dem das als bilanzierte Diät beworbene Mittel dienen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ( GRUR 2008, 1118 – Mobil Plus-Kapseln) kann der besondere Nährstoffbedarf darin bestehen, dass die Patienten aufgrund der Beschwerden, Krankheiten oder Störungen insbesondere aus den in § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 1 DiätV genannten Gründen unterernährt sind. Ein Nährstoffbedarf ist aber auch dann medizinisch bedingt, wenn aufgrund der Beschwerden, Krankheiten oder Störungen sonstige besondere Ernährungserfordernisse bestehen, denen mit einer diesen Erfordernissen angepassten Nährstoffformulierung entsprochen werden kann. Dies kann bereits dann der Fall sein, wenn die an bestimmten Beschwerden, Krankheiten oder Störungen leidenden Personen einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe ziehen können.

Die Antragsgegnerin hat in erster Instanz dargelegt, dass ein Mangel an Omega-3-Fettsäuren bzw. eine Inbalance zwischen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren mit einer Reihe von Verhaltensauffälligkeiten sowie neurologischen und psychischen Störungen bei Kindern und Erwachsenen assoziiert werde. Bei den Betroffenen führten Veränderungen des Metabolismus von mehrfach ungesättigten Fettsäuren zu Störungen des Phospholipid-Stoffwechsels. Beobachtungsstudien belegten, dass die erythrozytären Membranphospholipide von Kindern mit ADHS-Symptomen Omega-3-Fettsäuren in geringeren Konzentrationen enthielten als die von gesunden Vergleichskindern.

Die Antragstellerin hält dem im Wesentlichen entgegen, dass in führenden ernährungswissenschaftlichen und ernährungsmedizinischen Lehrbüchern das Erfordernis einer besonderen Nährstoffzufuhr bei ADHS nicht erwähnt sei.

Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass es den von der Antragsgegnerin dargelegten Bedarf nicht gibt. Schließlich bestätigt der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftler Prof. Dr. H. in der von der Antragsgegnerin in zweiter Instanz zur Akte gereichten fachwissenschaftlichen Bewertung vom 26.08.2009, dass aus verschiedenen Beobachtungsstudien bekannt sei, dass Patienten mit ADHS erniedrigte Versorgungsparameter für verschiedene Nährstoffe aufwiesen, und zwar gerade im Hinblick auf Omega-3-Fettsäure DHA und Omega-6-Fettsäure GLA sowie im Hinblick auf das Mengenelement Magnesium.

Des weiteren ist vom Landgericht zu Recht festgestellt worden, dass das Präparat "R." wirksam gemäß § 14b DiätV ist. Nach dieser Vorschrift müssen sich bilanzierte Diäten gemäß den Anweisungen des Herstellers sicher und nutzbringend verwenden lassen und wirksam in dem Sinne sein, dass sie den besonderen Ernährungserfordernissen der Personen, für die sie bestimmt sind, entsprechen.

Der Wirksamkeitsnachweis kann durch Vorlage von Studien erbracht werden, die nach allgemeinen anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden sind, und es ist nicht erforderlich, dass die Wirksamkeit als solche in der Fachwelt allgemein anerkannt und unumstritten ist. Die Diätverordnung enthält keine ausdrücklichen Regelungen der Anforderungen, die an den Wirksamkeitsnachweis zu stellen sind. In § 14b Abs. 1 DiätV wird lediglich gesagt, dass die Herstellung von bilanzierten Diäten auf vernünftigen medizinischen diätetischen Grundsätzen zu beruhen hat und wirksam in dem Sinne sein muss, dass sie den besonderen Ernährungserfordernissen der Personen entspricht, für die sie bestimmt ist. Der nationale Verordnungsgeber hat davon abgesehen, den insoweit in Art. 3 Satz 2 der Richtlinie 1999/21/EG enthaltenen Zusatz, dass die Wirksamkeit durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen ist, in die Diätverordnung zu übernehmen. Diese Klarstellung ist jedoch unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Auslegung von § 14b Abs. 1, § 1 Abs. 4a DiätV ergänzend heranzuziehen. Danach sind an den Nachweis der Wirksamkeit einer bilanzierten Diät grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen als an die wissenschaftliche Absicherung einer sonstigen gesundheitsbezogenen Wirkungsbehauptung ( BGH GRUR 2009, 75 – Priorin).

Die von der Antragsgegnerin vorgelegte O.-D.-Studie genügt den Anforderungen an einen wissenschaftlich fundierten Wirksamkeitsnachweis. Es ist mit einer ausreichenden Anzahl an Probanden (117 Kindern) eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung einer Diätergänzung mit Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, verglichen mit Placebo durchgeführt worden. Einer dreimonatigen Behandlung in Parallelgruppen folgte ein Einfach Cross-Over von Placebo- zu Verumbehandlung für weitere drei Monate. Die Studie hat ergeben, dass während der dreimonatigen Behandlung in Parallelgruppen unter Gabe des Verums signifikante Verbesserungen gegenüber dem Placebo beim Lesen, Buchstabieren und Verhalten der Kinder beobachtet wurden. Nach dem Cross-Over ergaben sich ähnliche Veränderungen bei der Placebo-Verum-Gruppe, wohingegen Kinder, die mit der Verumbehandlung fortfuhren, ihren Fortschritt aufrechterhielten oder verbesserten. Aus diesen Ergebnissen haben die die Studie durchführenden Wissenschaftler den Schluss gezogen, dass Fettsäureergänzungen eine sichere und wirksame Behandlungsoption bei Erziehungs- und Verhaltensproblemen von Kindern mit ADHS darstellen können.

Die Studie ist durch die Veröffentlichung in der Zeitschrift "P." auch in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden.

Schließlich greift die Subsidiaritätsklausel nach § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV im vorliegenden Fall nicht ein. Es kann nicht festgestellt werden, dass für die hier in Frage stehende diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beidem ausreichen. Die in der Subsidiaritätsbestimmung genannten Alternativen schließen eine bilanzierte Diät nur dann aus, wenn eine Zufuhr der betreffenden Nährstoffe in der für die diätetische Behandlung gebotenen Menge auch durch eine Modifizierung der normalen Ernährung bzw. durch andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung erreicht werden kann, die für den Betroffenen zumutbar und praktikabel ist ( OLG Frankfurt, ZLR, 2006, 428-443). Es ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, wie die an ADHS erkrankten Kinder die Tagesdosis von 860 mg Omega-3-Konzentrat aus Seefischöl, 60 mg Nachtkerzöl, 80 mg Magnesium und 5 mg Zink in zumutbarer und zuverlässiger Weise mit gebräuchlichen Nahrungsmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln aufnehmen sollen.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, da die Sache kraft Gesetzes nicht revisibel ist, § 542 Abs. 2 ZPO.



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