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OVG Lüneburg Urteil vom 19.12.1995 - 10 L 5059/93 - Zur Gemeinfreiheit von Gerichtsentscheidungen

OVG Lüneburg v. 19.12.1995: Zur Gemeinfreiheit von Gerichtsentscheidungen


Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg (Urteil vom 19.12.1995 - 10 L 5059/93) hat entschieden:
  1. Gerichtsentscheidungen sind amtliche Werke (§ 5 Abs 1 UrhG).

  2. Ihre Veröffentlichung ist öffentliche Aufgabe der Gerichtsverwaltung.

  3. Bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen ist die Gerichtsverwaltung an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden und hat den Anspruch eines Presseunternehmens auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb zu beachten.

  4. Bei der Auswahl der Publikationsorgane darf die Gerichtsverwaltung gegenüber der Fachpresse (Fachzeitschriften) wegen des Grundsatzes der Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 S 2 GG) nicht nach inhaltlichen Kriterien wie dem der Wissenschaftlichkeit unterscheiden.



Siehe auch Die urheberrechtliche Gemeinfreiheit von Gerichtsentscheidungen und amtlichen Leitsätzen und Stichwörter zum Thema Urheberrecht und Urheberschutz


Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zurverfügungstellung von finanzgerichtlichen Entscheidungen zum Zwecke der Veröffentlichung.

Die Klägerin ist ein Informationsdienstverlag. Als solcher gibt sie den in Zeitschriftenform regelmäßig erscheinenden Informationsdienst "p" heraus, mit dem sie u.a. in allgemeinverständlicher Form wöchentlich über die aktuelle finanzgerichtliche Rechtsprechung unterrichtet und ihren Lesern Ratschläge zur legalen Steuerersparnis vermittelt. Seit 1986 bemühte sie sich - zuletzt mit Schreiben vom 10. Februar 1989 und 30. Januar 1992 - vergebens, die Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts, die zur Veröffentlichung an abgegeben werden, zu erhalten, um sie in zu veröffentlichen. Am 5. März 1992 lehnte der Beklagte den Antrag letztmalig ab. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen mit Richtern des Finanzgerichts erfolge. Die Gerichtsverwaltung veröffentliche selbst nicht. Es stehe allen Verlagen frei, mit Richtern Einzelvereinbarungen zu treffen. Diese allen Verlagen offenstehende Möglichkeit zum Aufbau eines Informationsdienstnetzes werde dem Gleichbehandlungsgebot gerecht. Auch die Klägerin habe mit einem Richter des Niedersächsischen Finanzgerichts eine derartige Vereinbarung getroffen. Die Gerichtsverwaltung könne keinen Einfluss darauf nehmen, wie der einzelne Richter seine Veröffentlichungstätigkeit handhabe.

Die Klägerin hat am 11. März 1992 Klage und während des gerichtlichen Verfahrens am 30. März 1992 Widerspruch erhoben. Sie hat ausgeführt, dass ihr ein Anspruch auf Überlassung der finanzgerichtlichen Entscheidungen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zustehe. Die Versorgung der Zeitschrift mit Gerichtsentscheidungen aufgrund von Exklusivverträgen der Richter mit der Beigeladenen schließe sie von der Belieferung faktisch aus; das verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Das gleiche gelte in bezug auf die Belieferung des Informationssystems juris mit Gerichtsentscheidungen. Schließlich stehe ihr ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Richtern des Niedersächsischen Finanzgerichts zu, denen Entscheidungen ihres Gerichts durch den Beklagten regelmäßig zur privaten publizistischen Nutzung überlassen würden.

Die Klägerin hat beantragt,
  1. den Beklagten zu verpflichten, ihr die Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts, die von diesem oder von Richtern des Gerichts ohne individuelle Anforderung zur Veröffentlichung in und in eingesandt werden, zeitgleich gegen Kostenerstattung zur Verfügung zu stellen,

  2. die Zuziehung der Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat ausgeführt, dass eine gesetzliche Regelung, ob und in welchem Umfang Gerichte ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen hätten, nicht bestehe. Eine derartige Rechtspflicht folge weder aus dem Grundrecht der Pressefreiheit noch aus einfachgesetzlichen presserechtlichen Vorschriften. Die Klägerin könne von der Gerichtsverwaltung auch keine Gleichbehandlung mit der Beigeladenen verlangen; denn die Gerichtsverwaltung selbst veröffentliche keine Gerichtsentscheidungen. Die Veröffentlichung von Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts in der Zeitschrift vollziehe sich vielmehr wie folgt: Die Richter, die eine Entscheidung getroffen hätten, befänden darüber, ob sie veröffentlicht werden solle. Entsprechend dem mit der Beigeladenen geschlossenen Vertrag würden die für veröffentlichungswürdig erachteten Entscheidungen durch den einsendenden Richter neutralisiert und gekürzt, mit Leitsätzen und Zwischenüberschriften sowie einem komprimierten Tatbestand versehen. Sodann gebe der jeweilige Richter den Entscheidungsabdruck an den bei jedem Finanzgericht vorhandenen Verbindungsmann der Beigeladenen weiter. Dieser Verbindungsmann leite die Entscheidung sodann der Beigeladenen zu. Für die Auswahl und die Bearbeitung der Entscheidungen erhielten die Richter ein vom Umfang des Urteils abhängiges Honorar.

Dass die Richter Gerichtsentscheidungen auf privatrechtlicher Grundlage veröffentlichen, sei gewohnheitsrechtlich anerkannt. Es handele sich bei den zwischen den Richtern und der Beigeladenen getroffenen Vereinbarungen nicht um Exklusivverträge. Vielmehr werde bezüglich jeder einzelnen zur Veröffentlichung vorgesehenen Gerichtsentscheidung ein privatrechtlicher Vertrag zwischen den Richtern, die die Entscheidung auswählen, und der Beigeladenen geschlossen.

Die allen Verlagen offenstehende Möglichkeit zum Aufbau eines Informationsnetzes werde dem Gleichbehandlungsgebot gerecht. Es sei der Gerichtsverwaltung wegen der ihr auferlegten presserechtlichen Neutralitätspflicht sogar untersagt, die durch den freien Wettbewerb bedingten unterschiedlichen Zeitpunkte der Belieferung mit veröffentlichungswürdigen Entscheidungen durch eigene Lenkungsmaßnahmen zu nivellieren. Die von der Klägerin begehrte Belieferungstätigkeit durch die Gerichtsverwaltung bewirke einen unzulässigen, den publizistischen Wettbewerb verzerrenden Eingriff. Die Klägerin könne auch keine Gleichbehandlung mit der verlangen. Die Übersendung von Gerichtsentscheidungen an den Bundesfinanzhof für eine Dokumentation in der Rechtsprechungsdatenbank erfolge auf der Grundlage eines Schreibens des Bundesministers der Justiz vom 13. Juli 1987, das der Gerichtsverwaltung eine Rechtspflicht gegenüber dem Bundesfinanzhof im Rahmen der Amtshilfegrundsätze auferlege.

Die Beigeladene hat ebenfalls beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass zwar ein öffentliches Interesse der Allgemeinheit bestehe, bedeutsame gerichtliche Entscheidungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hieraus könne aber kein gegen den Staat gerichtetes Gebot der Bekanntmachung gerichtlicher Entscheidungen hergeleitet werden. Vielmehr genüge der Staat seiner Verpflichtung schon dadurch, dass er die Veröffentlichung in angemessenem Umfang privatrechtlich ermögliche. Folgerichtig sei die Veröffentlichung sämtlicher Gerichtsentscheidungen in Deutschland privatrechtlich organisiert. Es gebe nicht einmal eine Befugnis der Instanzgerichte zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen von Amts wegen. Die Regelung der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen könne nur in einer Geschäftsordnung erfolgen. Instanzgerichte seien aber - im Gegensatz zu obersten Bundesgerichten - zum Erlass einer Geschäftsordnung nicht befugt. Die Veröffentlichungstätigkeit sei deshalb dem privatrechtlichen Bereich zuzurechnen; der Gleichheitsgrundsatz gelte hier nicht.

Auch könnten die Richter nicht verpflichtet werden, der Gerichtsverwaltung die zur Veröffentlichung in oder anderen Fachzeitschriften ausgewählten Entscheidungen so rechtzeitig mitzuteilen, dass diese noch vor Veröffentlichung in der betreffenden Fachzeitschrift die Entscheidungen der Klägerin zusenden könne. Der Richter habe, wie jeder andere Staatsbürger auch, das Recht, frei von Einmischung der Justizverwaltung und ohne deren Kenntnis Entscheidungen zu veröffentlichen. Dieses Recht folge aus dem Grundsatz der freien Entfaltung der Persönlichkeit sowie aus Art. 5 GG. Im übrigen handele es sich bei der Veröffentlichungstätigkeit der Richter um eine genehmigungsfreie Nebentätigkeit, die damit auch nicht anzeigepflichtig sei.

Des weiteren führe die Pflicht zur vorherigen Anzeige aller Entscheidungen, die die Richter in Zusammenarbeit mit dem betreffenden Fachverlag zur Veröffentlichung aussuchten, zu einer Verletzung des Urheberrechts der Richter. Zwar genössen die einzelnen Gerichtsentscheidungen nach § 5 Abs. 1 UrhG keinen Urheberrechtsschutz; jedoch seien Entscheidungssammlungen wie sowie überhaupt alle Fachzeitschriften nach § 4 UrhG als Sammelwerke geschützt. Da nach deutschem Recht ein Urheberrecht nur natürlichen Personen zustehen könne, seien alle Personen, die an der betreffenden juristischen Fachzeitschrift mitwirkten, Mitinhaber des einheitlichen Urheberrechts an dem Sammelwerk. Damit seien auch die Richter Urheber, die die veröffentlichte Entscheidung ausgewählt hätten. Der Urheber habe aber nach § 12 UrhG das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen sei. Damit schütze das Urheberrechtsgesetz jeden Miturheber davor, von der öffentlichen Gewalt gezwungen zu werden, seine Auswahl der zu veröffentlichenden Gerichtsentscheidungen einem Konkurrenten oder sonstigen Dritten, wie z.B. der Landesjustizverwaltung, bekannt zu machen.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 22. Juli 1993 im wesentlichen stattgegeben. Es hat die Klage als Verpflichtungsklage ohne Durchführung eines Vorverfahrens für zulässig und im wesentlichen für begründet erachtet. Die Klägerin habe einen Anspruch darauf, dass ihr der Beklagte diejenigen Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts, die von diesem oder von Richtern des Gerichts ohne individuelle Anforderung zur Veröffentlichung in eingesandt würden, zeitgleich gegen Kostenerstattung zur Verfügung stelle. Insoweit sei der ablehnende Bescheid vom 5. März 1992 rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Hinsichtlich der begehrten Gleichbehandlung mit der juris GmbH hat das Verwaltungsgericht die Klage jedoch abgewiesen.

Der Anspruch der Klägerin ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 GG. Einfachgesetzliche Anspruchsgrundlagen seien nicht einschlägig. § 4 Abs. 1 des Niedersächsischen Pressegesetzes decke das Begehren der Klägerin nach ständiger, unaufgeforderter Belieferung mit Gerichtsentscheidungen nicht, weil der presserechtliche Auskunftsanspruch sich lediglich auf konkrete, anlassbezogene Fragen in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse beziehe. § 4 Abs. 4 des Niedersächsischen Pressegesetzes treffe als Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur die Zuleitung von amtlichen Bekanntmachungen. Dies seien an die Öffentlichkeit gerichtete förmliche Willensäußerungen einer Behörde mit amtlich bestimmtem Inhalt.

Das von der Klägerin geltend gemachte Recht ergebe sich jedoch aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei einschlägig. Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG seien anwendbar, weil die Veröffentlichungstätigkeit am Niedersächsischen Finanzgericht Grundrechtsschranken unterliege. Zwar würden die Gerichtsentscheidungen im wesentlichen aufgrund privatrechtlicher Verträge der beteiligten Richter mit der Beigeladenen veröffentlicht. Die Gerichtsverwaltung müsse sich aber die privatrechtlich organisierte Veröffentlichungstätigkeit einzelner Richter als Erfüllung einer an sich staatlichen Informationstätigkeit zurechnen lassen und demgemäß grundrechtskonform ausgestalten. Die Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen sei nämlich eine öffentliche Aufgabe, weshalb der Staat für das Veröffentlichungswesen selbst Verantwortung zu übernehmen habe. Die Richter könnten diese Aufgabe zwar in ihre "privaten Hände" genommen haben. Gewohnheitsrechtlich anerkannt sei damit jedoch allenfalls, dass die Erfüllung der Veröffentlichungsaufgabe durch private wissenschaftliche Nebentätigkeit der Richter geschehen könne, nicht aber, dass die Aufgabe als solche im Privatrecht begründet sei. Die vermeintlich gewohnheitsrechtlich anerkannte Praxis enthebe den Staat damit nicht seiner Bindung an Gesetz und Recht, insbesondere nicht seiner Bindung an die Grundrechte.

Die staatliche Pflicht zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen treffe nicht den Richter selbst. Er möge dazu befugt sein. Die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen sei aber nicht Rechtsprechung, da diese nur Streitentscheidung sei. Deshalb gehöre die Veröffentlichung nicht zu den Amtspflichten des Richters und zähle nicht zu dem geschützten Bereich seiner Unabhängigkeit. Träger der Pflicht, dem Bürger gerichtliche Erkenntnisse zu vermitteln, könne danach nur die Justizverwaltung sein. Dafür spreche auch die in § 299 Abs. 2 ZPO niedergelegte, über § 173 VwGO auch für den Verwaltungsprozess geltende Kompetenz des "Vorstands des Gerichts", Dritten Akteneinsicht zu gewähren und Entscheidungsabschriften zu überlassen.

Diese Obliegenheit habe die Gerichtsverwaltung verletzt. Die Klägerin werde nämlich ohne sachlichen Grund von der Belieferung mit Entscheidungsabdrucken nahezu ausgeschlossen. Denn nach der Veröffentlichungspraxis am Niedersächsischen Finanzgericht würden alle wesentlichen Entscheidungen des Gerichts ausschließlich an die Beigeladene geleitet. Ob dies aufgrund von Exklusivverträgen geschehe, sei zwischen den Beteiligten streitig. So zahle nach Angaben des Beklagten die an die Beigeladene ein Entgelt dafür, "dass die im Rahmen der Vertragsabwicklung bestimmten Entscheidungen auch übersandt werden". Dass die Beigeladene Exklusivverträge mit den Richtern des Niedersächsischen Finanzgerichts abgeschlossen habe, entspreche auch den "Richtlinien zur Bearbeitung von Entscheidungen", die die Beigeladene herausgegeben habe. Diese Richtlinien würden ein "Ausschließlichkeitsrecht" der Beigeladenen an den Entscheidungen vorsehen. Auch die Beigeladene räume ein, dass sie infolge der abgeschlossenen Verträge eine "rechtlich gesicherte Alleinstellung" genieße. Letztlich könne diese Frage dahinstehen, da unstreitig sei, dass der Klägerin sämtliche Entscheidungen vorenthalten würden, die zur Veröffentlichung in der Zeitschrift vorgesehen seien, und damit die wesentlichen und bedeutsamen Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts.

Darin liege die Ungleichbehandlung. Sie geschehe ohne sachlichen Grund. Mit dem Bundesverwaltungsgericht könne nicht darauf abgestellt werden, ob es sich bei der Zeitschrift um ein fachwissenschaftliches Publikationsorgan handele und bei der Zeitschrift nicht. Dies verstoße gegen den Grundsatz, dass die öffentliche Hand eine neutrale Informationsstelle sein müsse. Derartige Kriterien seien allenfalls angebracht, wenn beschränkte Mittel zu verteilen seien. Dies sei aber nicht der Fall. Der Beklagte habe die Notwendigkeit einer Auswahl niemals dargetan. Vielmehr sei es so, dass sich die Richter an die Beigeladene vertraglich gebunden hätten und sich der Beklagte irrtümlich rechtlich nicht für verpflichtet halte, auf die Veröffentlichungspraxis Einfluss zu nehmen. Im übrigen sei die "Wissenschaftlichkeit" kein zulässiges Unterscheidungsmerkmal. Denn es sei nicht nachvollziehbar, warum ein Publikationsorgan, das wissenschaftliche Ansprüche verfolge, gegenüber einer Zeitschrift, die steuerrechtlich interessierte "Laien" unterrichten wolle, privilegiert werde. Beide Publikationsorgane seien Fachzeitschriften. Daher werde von dem Beklagten keine Auswahl danach getroffen, ob sich die Interessenten fachjournalistisch betätigt hätten.

Dem Gleichbehandlungsgrundsatz stehe die richterliche Unabhängigkeit nicht entgegen. Art. 97 Abs. 1 GG schütze die rechtsprechende Gewalt vor Eingriffen durch Legislative und Exekutive. Die Veröffentlichungspraxis sei jedoch nicht Rechtsprechungstätigkeit, sondern dem Bereich der (Gerichts-)Verwaltung zuzurechnen.

Auch Urheberrecht stehe diesem Anspruch nicht entgegen. Denn § 4 UrhG schütze hinsichtlich des Sammelwerks lediglich den Herausgeber, nicht jedoch die an dem Sammelwerk im einzelnen Beteiligten. Die gerichtlichen Entscheidungen als solche würden jedenfalls gemäß § 5 Abs. 1 UrhG keinen urheberrechtlichen Schutz genießen.

Gegen das dem Beklagten am 26. und der Beigeladenen am 27. August 1993 zugestellte Urteil haben der Beklagte und die Beigeladene am 21. bzw. 22. September 1993 Berufung eingelegt.

Der Beklagte führt aus, dass es um den Inhalt von Gerichtsentscheidungen in einer Größenordnung von jährlich ca. 80 bis 90 Stück gehe. Der Klägerin komme es darauf an, an der für die Zeitschrift getroffenen Auswahl teil zu haben. Für seine Weigerung, der Klägerin die begehrten Entscheidungen zu übersenden, sei das Fehlen fachwissenschaftlichen Niveaus bedeutungslos gewesen, so dass es auf die vom Verwaltungsgericht erörterte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit nicht ankomme. Wenn es aber auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ankomme, halte er die Differenzierung nach dem fachwissenschaftlichen Anspruch und damit die bisherige Veröffentlichungspraxis für noch vertretbar. Denn die Zeitschrift der Klägerin sei eine für jedermann; ein wissenschaftlicher Wert komme ihr im Gegensatz zu den nicht zu.

Es bestehe keine ausdrückliche gesetzliche Regelung darüber, ob, in welcher Form und in welchem Umfang Gerichte ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen hätten. Dennoch könne ein grundsätzliches Gebot, die Öffentlichkeit über gerichtliche Entscheidungen zu unterrichten, nicht bezweifelt werden. Daher müsse die Fachpresse unterrichtet werden, die Teil der interessierten Öffentlichkeit sei. Die Erfüllung der Veröffentlichungspflicht obliege der Gerichtsverwaltung als öffentlich-rechtliche Aufgabe.

Die Gerichte würden dieser Verpflichtung auf unterschiedliche Weise gerecht werden. Die schriftlich verfassten Urteile und Beschlüsse könnten von jedem Interessierten im Einzelfall angefordert werden. § 4 Abs. 3 Justizverwaltungskostenordnung gebe jedoch keine Grundlage dafür ab, die Presse über den Einzelfall hinausgehend laufend mit veröffentlichungswürdigen Entscheidungen zu beliefern. Ein Teil der veröffentlichungswürdigen Gerichtsentscheidungen würde durch die Pressestelle nach Presserecht der Presse bekanntgegeben werden. In überwiegendem Umfang würde sich die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen jedoch in den Formen des Privatrechts vollziehen. Das angefochtene Urteil übersehe daher, dass er, der Beklagte, in seiner Eigenschaft als Leiter der Gerichtsverwaltung keine Entscheidungen an die Beigeladene herausgebe. Ein genereller Vertrag in Form eines Exklusivvertrages der Richter mit der Beigeladenen bestehe nicht. Zwischen beiden würden jedoch von Fall zu Fall einzelne Verträge geschlossen. Allerdings würden Entscheidungen, die von den Richtern an die Beigeladene gesandt würden, in aller Regel nicht der Klägerin überlassen.

Privatrechtliche Verträge zwischen der Beigeladenen und dem Richter kämen konkludent durch Einsenden eines Urteils über die Verbindungsperson am Finanzgericht zustande. Der einzelne Richter sei zwar nicht verpflichtet, ausschließlich bei der Beigeladenen zu veröffentlichen. Er könne seine Bearbeitung auch anderen Verlagen anbieten. Allerdings bestehe eine vertragliche Verpflichtung zwischen der Beigeladenen und dem Richter dahingehend, die für angebotenen Entscheidungen nicht zugleich einem anderen Verlag zu übersenden. Der Richter dürfe mithin seinen für vorgesehenen Text nicht anderweitig verwenden. Ihm dürfe es aus urheberrechtlichen Gründen jedoch nicht verwehrt sein, dieselbe Entscheidung den Anforderungen anderer Verlage entsprechend zu bearbeiten und dort anzubieten. Allerdings würden die für vorgesehenen Entscheidungen daneben auch in die Rechtsprechungsdatenbank aufgenommen. Auch das Verwaltungsgericht habe in der Weitergabe wichtiger Urteile zu Dokumentationszwecken an keine Benachteiligung der Klägerin gesehen.

Es bestehe für die Gerichte zwar eine öffentlich-rechtliche Publikationspflicht. Den einzelnen Richter treffe auch die Dienstpflicht, veröffentlichungswürdige Entscheidungen zu veröffentlichen oder diese der Gerichtsverwaltung anzuzeigen. Die Beurteilung der Veröffentlichungswürdigkeit einer Gerichtsentscheidung gehöre noch zu den Dienstpflichten des Richters, falle aber nicht in den Bereich der Rechtsprechung und damit nicht in den der richterlichen Unabhängigkeit. Der Richter nehme insoweit funktional Aufgaben der Gerichtsverwaltung war. Diese könne ihrerseits nicht durchsetzen, dass der Richter ihr veröffentlichungswürdige Entscheidungen anzeige. Er, der Beklagte, sehe daher keine Möglichkeit, Kenntnis von den Entscheidungen zu erhalten, die aus dem Kreis der als veröffentlichungswürdig gekennzeichneten für einen Abdruck in vorgesehen seien. Er könne daher der Verpflichtung gegenüber der Klägerin, die ihm das angefochtene Urteil auferlege, nicht nachkommen. Überdies könne er die verlangte zeitgleiche Übersendung der Entscheidungen nicht gewährleisten.

Die Bearbeitung von Gerichtsentscheidungen und die Auswahl des Publikationsorgans durch den Richter gehöre aber nicht zu dessen Dienstpflichten. Jene seien in den Gesetzen abschließend geregelt. Die schriftlich abgefassten Urteile und Beschlüsse seien nicht Eigentum der Gerichtsverwaltung oder des Landes Niedersachsen. § 5 Abs. 1 UrhG nehme gerichtliche Entscheidungen vom urheberrechtlichen Schutz aus. Das bedeute, dass der Richter nach seinem Belieben mit den von ihm verfassten und auch von anderen Richtern verfassten Entscheidungen verfahren könne. Die Bearbeitung von Entscheidungen werde in Rechtsprechung und Literatur unbestritten als wissenschaftliche Tätigkeit des Verfassers angesehen, die den Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 3 GG genieße. Dieses Recht zur Veröffentlichung von Entscheidungen werde als Gewohnheitsrecht anerkannt. Da dem Richter die Auswahl der Entscheidungen für ein bestimmtes Publikationsorgan freistehe und darüber hinaus die Frage nach der Bedeutung für die Öffentlichkeit in den meisten Fällen nach seiner subjektiven Einschätzung beantwortet werde, bleibe eine Weisung hinsichtlich der Belieferung der Klägerin voraussichtlich ohne Wirkung. Die Weisung sei rechtswidrig und unzweckmäßig. Im übrigen diene es der Veröffentlichung mehr, wenn ihr wie bisher freier Lauf gelassen würde, anstatt maßregelnd einzugreifen.

Da er nicht verpflichtet sei, die Veröffentlichungspraxis öffentlich-rechtlich auszugestalten, stehe es in seinem Ermessen, wie dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Information Rechnung getragen werde. Praktische Schwierigkeiten, die insbesondere in dem Arbeitsaufwand für die Schwärzung der Entscheidungen bestünden, würden gegen die Einführung einer Publikation ausschließlich von Amts wegen sprechen, die über die mit Verfügung des Präsidenten vom 21. Oktober 1993 eingeführte Veröffentlichung hinausgehe. Bei einer Publikation von Amts wegen wäre zudem jeder Interessent gleichermaßen zu bedienen. Dies folge aus Art. 3 GG. Damit würde die Gerichtsverwaltung überfordert. Außerdem sei der Gerichtsverwaltung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Beurteilungsspielraum bei der Auswahl des Publikationsorgans einzuräumen. Dadurch würde es eher zu Ungleichbehandlungen kommen als unter Beibehaltung der bisherigen Praxis.

Im übrigen würden subjektive Rechte der Klägerin aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 GG nicht verletzt. Er dulde lediglich die private Belieferung von Fachverlagen durch die Richter, die von jeder Weisung durch die Gerichtsverwaltung frei sei. Die Klägerin habe mithin dieselben Chancen wie die Beigeladene, mit Richtern privatrechtliche Verträge über die Einsendung wichtiger Gerichtsentscheidungen abzuschließen.

Durch die zeitgleiche Überlassung der zu veröffentlichenden Entscheidungen an die Klägerin wäre jedoch der einzelne Richter in seinen Grundrechten verletzt. Die Bearbeitung von Gerichtsentscheidungen zum Zwecke der Veröffentlichung sei wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG und frei von staatlichen Eingriffen. Zugleich nehme der Richter sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wahr. Darüber hinaus sei seine allgemeine Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Seine wissenschaftliche Tätigkeit würde dadurch entwertet, wenn dieselbe Entscheidung in einer Vielzahl anderer Organe zeitgleich erscheine.

Die Beigeladene könne sich auf den Grundrechtsschutz des Art. 14 GG berufen. Sie habe sich durch im Wettbewerb eine Position aufgebaut, die vom Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs umfasst werde. Würden einem Konkurrenzunternehmen wie der Klägerin kostengünstig Entscheidungen zur Verfügung gestellt werden, für die die Beigeladene ein Autorenhonorar an den Einsender zu zahlen habe, so bedeute dies einen Eingriff in den Gewerbebetrieb.

Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage vollen Umfangs abzuweisen.
Die Beigeladene führt zur Begründung ihrer Berufung aus, dass das Verwaltungsgericht in wesentlichen Punkten von einem falschen Sachverhalt ausgehe. Der Klägerin würden Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts nicht vorenthalten. Vielmehr habe der Beklagte der Klägerin angeboten, ihr neutralisierte Ablichtungen aller Urteile zu überlassen. Das habe die Klägerin jedoch abgelehnt, weil es ihr auf dieselbe Auswahl an Entscheidungen ankomme, die ihr, der Beigeladenen, übersandt würden. Die Klägerin werde auch nicht ganz, nahezu oder teilweise von der Belieferung mit denjenigen Entscheidungsabdrucken ausgeschlossen, welche in veröffentlicht würden. Das Verwaltungsgericht unterscheide hier nicht zwischen der Belieferung mit unbearbeiteten Originalentscheidungen und der Belieferung mit zur Veröffentlichung bearbeiteten Entscheidungen. Unbearbeitete Originalentscheidungen würden in nicht veröffentlicht. Eine Bearbeitung der Gerichtsentscheidung genieße jedoch den Urheberrechtsschutz des § 5 UrhG. Die für sie arbeitenden Richter seien daher nicht gehindert, unbearbeitete Originalentscheidungen an andere Verlage zu senden. Kein Richter sei daher verpflichtet, ausschließlich bei ihr, der Beigeladenen, zu veröffentlichen. Vielmehr könnten die Richter des Niedersächsischen Finanzgerichts auch dann, wenn sie mit ihr einen Verlagsvertrag über die Veröffentlichung einer von ihnen für die Veröffentlichung bearbeiteten Entscheidung abgeschlossen hätten, dieselbe amtliche Entscheidung einer anderen Veröffentlichung ohne oder in einer anderen Bearbeitung zuführen.

Die Klägerin würde auch nicht tatsächlich von der Belieferung mit Originalentscheidungen ausgeschlossen. Das folge schon daraus, dass der Beklagte der Klägerin die Belieferung mit sämtlichen Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts angeboten habe. Außerdem könne jeder die von ihm für bedeutsam gehaltenen Entscheidungen von der Gerichtsverwaltung anfordern. Die Prozessbeteiligten könnten Entscheidungen veröffentlichen. Aber auch der Richter könne in privatrechtlicher Form Urteile veröffentlichen. Die Klägerin räume selbst ein, zu diesem Zweck bereits einen Richter am Niedersächsischen Finanzgericht gewonnen zu haben.

Es sei auch nicht richtig, dass die zur Veröffentlichung in vorgesehenen Entscheidungen "die wesentlichen und bedeutsamen Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts" seien. Vielmehr seien die in veröffentlichten Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts nicht repräsentativ für dieses Gericht. In würden auch zahlreiche unwesentliche Entscheidungen veröffentlicht. habe auch kein ausschließliches Recht für die Veröffentlichung wesentlicher und bedeutsamer Entscheidungen. Richtig sei vielmehr, dass auch andere Verlage wesentliche Entscheidungen veröffentlichen würden.

Auch die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts sei unzutreffend. Wesentliche und bedeutsame Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts würden auch in anderen Fachzeitschriften veröffentlicht. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verpflichte den Beklagten jedoch nur, der Klägerin solche Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts zur Verfügung zu stellen, die von Richtern des Gerichts zur Veröffentlichung in eingesandt würden. Dadurch werde sie gegenüber anderen konkurrierenden Fachverlagen ohne sachlichen Grund benachteiligt.

Die Richter, die an der Entscheidung mitgewirkt hätten, treffe keine öffentlich-rechtliche Dienstpflicht zur Vornahme von Veröffentlichungen oder sogar zur Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei ihrer privaten Veröffentlichungstätigkeit. Daher sei keine Rechtsgrundlage dafür ersichtlich, dass der Richter verpflichtet sei, seinen Dienstherrn über die von ihm beabsichtigte Veröffentlichung zu unterrichten. Wenn die Veröffentlichung nicht zu den Dienstpflichten der Richter gehöre, dann sei auch nicht verständlich, auf welcher Rechtsgrundlage das Verwaltungsgericht die private Veröffentlichungstätigkeit der Richter der Gerichtsverwaltung zurechnen wolle.

Sie teile die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Staat die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen zulassen müsse. Das habe er dadurch getan, dass er Gerichtsentscheidungen vom Urheberrecht ausnehme und die allgemein privatrechtlich organisierte Veröffentlichung nicht behindere. Es gebe keine Rechtsgrundlage dafür, dass die Justizverwaltung selbst die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in die Hand nehme. Auf Art. 3 Abs. 1 GG könne eine Veröffentlichungspflicht nicht gestützt werden, da diese Vorschrift den Staat nicht verpflichte, durch positives Tun privatwirtschaftliche Wettbewerbsnachteile einzelner Marktbürger auszugleichen. Es fehle insofern an einer öffentlichen Aufgabe. Auch aus dem allgemeinen Informationsrecht der Bürger aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG könne eine Pflicht zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen nicht hergeleitet werden. Im übrigen müssten dann alle Gerichtsentscheidungen veröffentlicht werden.

Gegen ein Recht der Justizverwaltung, sich von ihren Richtern über die Entscheidungen unterrichten zu lassen, welche diese in Fachzeitschriften veröffentlichen, spreche auch die Unabhängigkeit der Richter. Würde die Justizverwaltung dazu ermächtigt werden, in die öffentliche Darstellung der Rechtsprechung einzuwirken, so würde sie in den Bereich der Rechtsprechung als eigenständige Funktion der Staatsgewalt und der richterlichen Unabhängigkeit eindringen.

Im übrigen verstoße die Verpflichtung der Richter zur vorherigen Anzeige aller für die Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen gegen den urheberrechtlichen Schutz entweder ihrer Person, der Beigeladenen, oder der Richter. Sie könne jedenfalls nicht dazu verpflichtet werden zu dulden, dass die Klägerin zeitnah im voraus über das Verlagsprogramm ihrer Wettbewerberin, nämlich der informiert werde.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage vollen Umfangs abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend führt sie aus, dass ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Ihr werde derzeit von dem Beklagten nicht angeboten, was sie mit der Klage begehre. Im übrigen habe das Verwaltungsgericht ihren Anspruch zutreffend auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt. Wenn es der Beklagte zulasse, dass die Beigeladene mit seinem Wissen und Wollen in den Besitz der Entscheidungen seines Gerichts komme, dann müsse er andere Verlage wie sie gleich behandeln. Im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG seien und gleich, auch wenn sie auf unterschiedliche Leser zielten und deshalb unterschiedlich über die Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts berichten würden. Die Finanzgerichtsverwaltung dürfe insbesondere nicht zwischen wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Publikationsorganen unterscheiden. Beide Verlage seien auf Gewinnerzielung bedacht und genössen den Schutz der Pressefreiheit.

Es sei falsch, wenn der Beklagte behaupte, dass er das Urteil nicht erfüllen könne. Die Richter könnten nach § 4 Abs. 1 Niedersächsisches Richtergesetz in Verbindung mit § 63 NBG angewiesen werden, dem Präsidenten mitzuteilen, welche Entscheidungen sie an die Beigeladene einzusenden beabsichtigten. Rechte der Richter würden hierdurch nicht verletzt. Der Präsident des Beklagten könne diese Entscheidungen - etwa 80 bis 90 jährlich - sodann unbearbeitet und anonymisiert ihr, der Klägerin, gegen Zahlung der dafür geschuldeten Gebühren zeitgleich übersenden. Technische Schwierigkeiten müssten angesichts des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG begründeten hohen Schutzgutes zurückstehen.

Urheberrecht stehe ihrem Anspruch nicht entgegen. Niemand wolle die Richter des Niedersächsischen Finanzgerichts daran hindern, auch künftig die Beigeladene mit bearbeiteten Entscheidungen zu beliefern. Ihnen verblieben alle Urheberrechte an der von ihnen gefertigten Entscheidungsbearbeitung. Sie beanspruche nur die anonymisierte Entscheidung selbst, und zwar nicht von den Richtern, sondern von der Finanzgerichtsverwaltung. Sie entscheide auch über die Veröffentlichungswürdigkeit von Entscheidungen, so dass auch eine "Auswahl" von Entscheidungen nicht urheberrechtlich geschützt sei.

Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und Exemplare der "EFG" sowie des "steuertip" Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

A. Die in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge des Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens und Beiladung sämtlicher Richter des Beklagten haben keinen Erfolg.

Die Sache ist entgegen dem Antrag des Beklagten nicht gemäß § 94 VwGO im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängige Rechtssache der Klägerin zum Aktenzeichen 1 BvR 1962/92 auszusetzen. Zum einen liegt die Aussetzung im Ermessen des Gerichts, so dass es grundsätzlich die Wahl hat, ob es über die vorgreifliche Frage inzident selbst entscheidet oder das Verfahren aussetzt (vgl. Kopp, VwGO, Komm., 10. Aufl. 1994, § 94 Rdnr. 3). Zum anderen liegen auch die Voraussetzungen einer Aussetzungspflicht (vgl. hierzu BFH, Urt. vom 7.2.1992 - III R 61/91 -, NJW 1992, 2445, 2446; Kopp, aaO, Rdnr. 4 a) nicht vor. Insbesondere geht es bei dem Verfahren nicht um die Verfassungsmäßigkeit einer anzuwendenden gesetzlichen Regelung, da es eine einschlägige gesetzliche Regelung über die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen derzeit nicht gibt. Auch ist bei dem erkennenden Gericht bzw. anderen Verwaltungsgerichten keine Vielzahl gleichgelagerter Verfahren (Massenverfahren) anhängig. Schließlich steht der Aussetzung des Verfahrens auch ein berechtigtes Interesse der Klägerin entgegen. Das Verfahren der Klägerin gehört zu den ältesten Verfahren des erkennenden Senats und ist hier seit über zwei Jahren anhängig. Außerdem ist, wie das Bundesverfassungsgericht mit Schreiben vom 29. August 1995 dem Senat mitgeteilt hat, zur Zeit noch nicht absehbar, wann in jenem Verfahren eine Entscheidung ergehen kann. Unter diesen Umständen erscheint es der Klägerin nicht zumutbar, auf die Entscheidung ihres Verfahrens vor dem hiesigen Gericht noch länger zu warten. Daher bewertet der Senat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung das Interesse der Klägerin an der Förderung ihres Verfahrens höher als das Interesse des Beklagten an der Aussetzung dieses Verfahrens, zumal auch die Beigeladene dem Aussetzungsantrag widersprochen hat.

Ferner sind die Richter des Niedersächsischen Finanzgerichts nicht gemäß § 65 Abs. 1 oder Abs. 2 VwGO beizuladen gewesen. Abgesehen davon, dass während des insgesamt 3 1/2jährigen Verfahrens bisher kein Richter des Beklagten seine Beiladung beantragt hat, liegen die Voraussetzungen einer solchen auch nicht vor. Denn nach Auffassung des Senats werden rechtliche Interessen der Richter des Beklagten durch die Entscheidung nicht berührt (§ 65 Abs. 1 VwGO). Allenfalls geht es um deren wirtschaftliche Interessen, was aber nicht einmal zwingend der Fall ist, weil die Klägerin nur die Gleichbehandlung mit der Beigeladenen, nicht aber etwa ein Verbot der bisherigen Veröffentlichungspraxis von Richtern des Beklagten gegenüber der Beigeladenen erstrebt. Die Richter des Beklagten sind des weiteren an dem hier streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 65 Abs. 2 VwGO). Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten auf Gleichbehandlung mit der Beigeladenen berührt unmittelbar nur das Außen(Rechts-)- verhältnis des Beklagten als Träger der Finanzgerichtsverwaltung zu Presseunternehmen, nicht aber das Innen-(Rechts-)verhältnis des Beklagten zu seinen Richtern.

Eventuelle tatsächliche Schwierigkeiten des Beklagten, eine bestimmte Veröffentlichungspraxis etwa auf der Grundlage der Verfügung des Finanzgerichtspräsidenten vom 21. Oktober 1993 durchzusetzen, bestehen unabhängig von einer möglichen rechtlichen Verpflichtung des Beklagten zur Gleichbehandlung von Presseunternehmen. Sie bestehen damit unabhängig von der Entscheidung dieses Rechtsstreits und sind nicht mit Mitteln der Beiladung, sondern allenfalls mit denen der Dienstaufsicht zu lösen.


B.

Die Berufungen sind zulässig, aber unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf zeitgleiche Übersendung der anonymisierten und unbearbeiteten Entscheidungen des beklagten Niedersächsischen Finanzgerichts gegen Kostenerstattung hat, die vom Beklagten oder von Richtern des Gerichts der Beigeladenen zur Veröffentlichung in eingesandt würden. Darauf wird nach Maßgabe der folgenden Ausführungen Bezug genommen und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

Das Berufungsvorbringen des Beklagten und der Beigeladenen rechtfertigt keine andere tatsächliche und rechtliche Bewertung des Falles.

1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht insbesondere ausgeführt, dass die Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen eine öffentliche Aufgabe ist (vgl. NJW 1993, 3282, 3283 m.w.Nw.). Dieser Auffassung hat sich der Beklagte während des Berufungsverfahrens angeschlossen, indem er von einem grundsätzlichen Gebot, einer Veröffentlichungspflicht, ausgeht, die Öffentlichkeit über gerichtliche Entscheidungen zu unterrichten. Entsprechend hat der Präsident des Nieders. Finanzgerichts mit Verfügung vom 21. Oktober 1993 alle Richter dieses Gerichts angewiesen, alle veröffentlichungswürdigen Entscheidungen zu kennzeichnen und mit einem Stichwort zu versehen. Diese Entscheidungen werden in einer Liste erfasst, die im Rahmen einer Pressemitteilung durch den Pressereferenten zu veröffentlichen ist, damit Interessenten die Entscheidungen auf Anfrage gegen Kostenerstattung anfordern können.

Auch die jüngere Literatur geht von einer Rechts- bzw. Amtspflicht der Gerichte aus, für die Veröffentlichung ihrer Entscheidungen zu sorgen (Hirte, Der Zugang zu Rechtsquellen und Rechtsliteratur, 1991, S. 52; derselbe, EWiR Art. 3 GG 1/89, 363, 364; Hoffmann-Riem, Anm. zum Urteil des OVG Bremen, JZ 1989, 633, 637; Huff, Urteile gehören in die Öffentlichkeit, DRiZ 1994, 150). Die Gerichtsverwaltung schuldet im Interesse von Rechtsstaat und Demokratie Urteilsöffentlichkeit (so Herberger, Anm. zum angefochtenen Urteil in jur-pc 1993, S.2325). Besonders Grundsatz- oder Leitsatzentscheidungen können ihre Wirksamkeit erst dadurch erlangen, dass sie durch Veröffentlichung jedermann zugänglich gemacht werden (Fischer, Die urheberrechtliche Schutzfähigkeit gerichtlicher Leitsätze, NJW 1993, 1228). Auch Geiger (Veröffentlichung von Entscheidungen der Steuergerichte als Beitrag zur Steuervereinfachung, DB 1990, 1260, 1261) weist auf die Notwendigkeit zur umfassenden Veröffentlichung finanzgerichtlicher Entscheidungen im Interesse eines möglichst freien und einfachen Zugriffs der Öffentlichkeit und der Durchschaubarkeit des Steuerrechts hin.

2. Träger dieser öffentlichen Aufgabe bzw. Adressat der Veröffentlichungspflicht ist die Gerichtsverwaltung.

a) Sie wird - obwohl es keine unmittelbar einschlägige gesetzliche Verpflichtung gibt - in vereinzelten Vorschriften unmittelbar angesprochen, z.B. als "Vorstand des Gerichts" in § 299 Abs. 2 ZPO und als "Justizverwaltung" bzw. "Justizbehörde" und "Behörde" in §§ 1, 4 Abs. 3, Abs. 4 Justizverwaltungskostenordnung. Streitigkeiten um die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden gemäß § 23 EGGVG als Justizverwaltungsstreitigkeiten aufgrund anfechtbarer Justizverwaltungsakte angesehen (vgl. KG, Beschl. vom 9.1.1976 - 1 VA 4/75 -, NJW 1976, 1326; OLG Celle, Beschl. vom 12.6.1990 - I VAS IV/90 -, NJW 1990, 2570). Auch die Ansiedlung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Justiz bei der Behördenleitung oder der ihr unterstellten Pressestelle (Nr. 1.2), zu deren Aufgabe auch die Pressemitteilungen über ergangene Entscheidungen gehören (Nr. 4.7), spricht hierfür (vgl. AV d.MJ vom 1.8.1994 zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Justiz, Nds. Rechtspflege 1994, S. 226).

b) Maßgeblich dafür, sowohl die Aufgabe der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen als auch die Rechtspflicht hierzu der Gerichtsverwaltung zuzuordnen, erscheint dem erkennenden Senat jedoch der Umstand zu sein, dass gemäß § 5 Abs. 1 UrhG gerichtliche Entscheidungen und amtliche Leitsätze amtliche Werke sind, die in ihrer unbearbeiteten Form frei von jeglichem Urheberrechtsschutz und daher "gemeinfrei" sind. Sie gehören nicht dem Richter oder Spruchkörper als ausschließlich verfügbares geistiges Eigentum, sondern aufgrund des von ihnen im Rahmen der rechtsprechenden Staatsgewalt ausgeübten Richteramtes der Allgemeinheit. Der völlige Ausschluss des Urheberrechtsschutzes erscheint gerechtfertigt, weil bei amtlichen Werken eine schutzwürdige persönliche Beziehung zwischen Urheber und Werk in der Regel nicht besteht. Es muss der Behörde, die die Entstehung des Werkes veranlasst hat, freistehen, über das Werk ohne Rücksicht auf persönlichkeitsrechtliche Befugnisse, insbesondere ohne Namensangabe des Urhebers, zu verfügen (so Urheberrechtsgesetz-Entwurf, BT-Drucks. IV/270 S. 39). Die weniger weitreichenden vorangegangenen Vorschriften waren bereits damit begründet worden, dass das öffentliche Interesse die möglichst weite Verbreitung solcher Werke erfordere und dass die kraft ihres Amtes zur Schaffung solcher Werke berufenen Verfasser entweder überhaupt kein Interesse an der Verwertung ihrer Leistungen hätten oder ihre Interessen hinter denen der Allgemeinheit zurückstehen müssten (Entwurf, aaO; Schricker, Urheberrecht, Komm., 1987, § 5 RdNr. 4).

c) Der Senat vermag nicht die Ansicht zu teilen, dass aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes eine Verlagerung des Veröffentlichungswesens auf die Gerichtsverwaltung nicht geboten sei (so aber Fischer, Anm. zum angefochtenen Urteil, EWiR 1994, 61, 62). Es kann dahingestellt bleiben, ob das Veröffentlichungswesen gewohnheitsrechtlich in den privaten Händen der Richter liegt. Jedenfalls spricht für eine Priorität, wenn vielleicht auch nicht Ausschließlichkeit (so aber Hoffmann-Riem, aaO, S. 638), der Ansiedlung der öffentlichen Aufgabe wie der Veröffentlichungspflicht bei der Gerichtsverwaltung, dass der völlige Ausschluss des Richters vom Urheberrecht an Gerichtsentscheidungen dem Zweck der möglichst weiten Verbreitung dieser amtlichen Werke dient, so dass ihre - privaten - Interessen hinter denen der Allgemeinheit zurückzustehen haben (vgl. Entwurf, aaO). Über amtliche Werke wie Gerichtsentscheidungen soll die Behörde frei verfügen können (Entwurf, aaO). Wegen der "Gemeinfreiheit" gerichtlicher Entscheidungen als amtliche Werke besitzt nur die "Behörde", die Gerichtsverwaltung, die amtliche Verfügungsgewalt über - unbearbeitete - gerichtliche Entscheidungen. Da es hier nur um diese geht, braucht nicht darauf eingegangen zu werden, wie es mit dem Urheberrechtsschutz bei bearbeiteten Gerichtsentscheidungen aussieht. Jedenfalls haben die einzelnen Richter, urheberrechtlich betrachtet, weder ein "Erstveröffentlichungsrecht" noch ein irgendwie geartetes Recht auf die Unantastbarkeit der Auswahl der von ihnen einem von ihnen bevorzugten Verlag übersandten Entscheidungen, zumal über die Veröffentlichungswürdigkeit bei jeder Gerichtsentscheidung im Einzelfall zu entscheiden ist.

d) Die öffentliche Aufgabe der Gerichtsverwaltung, ihre Pflicht zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen sowie ihre amtliche Verfügungsgewalt über Gerichtsentscheidungen sind auch der Grund dafür, dass sich die Gerichtsverwaltung die - private - Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen durch einzelne Richter zurechnen lassen muss (ebenso OVG Bremen, Urt. vom 25.10.1988 - OVG 1 BA 32/88 -, NJW 1989, 926, 927).

e) Der Veröffentlichungspflicht der Gerichtsverwaltung entspricht eine Amts- bzw. Dienstpflicht der Amtsinhaber, der Richter, abgesehen davon, dass ohne Mitwirkung der beteiligten Richter die Gerichtsverwaltung ihre Aufgabe schwerlich erfüllen könnte. Die Sorge für eine angemessene Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen ist eine richterliche Amtspflicht (OVG Bremen, aaO, S. 926, 928; OLG Celle, aaO, S. 2571; Hoffmann-Riem, aaO; Huff, aaO; Hirte, Anm. zum Urteil des BGH vom 21.11.1991, EWiR 1992, 601, 602). Dieser Auffassung schließt sich der Senat aus den gegebenen Gründen ausdrücklich an. Von einer richterlichen Pflicht ist offensichtlich auch der Beklagte in seiner Verfügung vom 21. Oktober 1993 ausgegangen, wenn er die einzelnen berichterstattenden Richter zur Anzeige veröffentlichungswürdiger Entscheidungen angewiesen hat. Diese Pflicht der Richter ist auch durchsetzbar. Denn gemäß § 42 DRiG ist ein Richter zu einer Nebentätigkeit auch in der Gerichtsverwaltung, in deren Kompetenz die Veröffentlichung von gerichtlichen Entscheidungen und die Verfügungsgewalt über solche fällt, verpflichtet.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Informationsanspruch der Fachpresse und damit auch der Klägerin auf Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen aus spezialgesetzlichen Vorschriften wie § 78 FGO (§§ 100 VwGO, 299 Abs. 2 ZPO), § 4 Abs. 3, Abs. 4 Justizverwaltungskostenordnung, aus einem landesrechtlichen presserechtlichen Auskunftsanspruch nach § 4 Abs. 1 Nds. PrG, aus § 5 Abs. 1 UrhG - weil die möglichst weite Verbreitung amtlicher Werke im öffentlichen Interesse, im Interesse der Allgemeinheit liegt - oder aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 bzw. 2 GG folgt. Die Pressefreiheit verankert grundsätzlich kein subjektives Recht der Presse auf Bereitstellung von Informationen oder gar auf Abdruck vollständiger Dokumente (Hoffmann-Riem, aaO, S. 637).

4. Jedenfalls ergibt sich der Anspruch der Klägerin auf zeitgleiche Übersendung von Gerichtsentscheidungen zur Veröffentlichung im Hinblick auf die von Richtern des Beklagten der Beigeladenen zugesandten Entscheidungen aus dem im Bereich der öffentlichen (Gerichts-)Verwaltung geltenden Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG iVm Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Staat genießt im Bereich der Grundrechtsförderung einen weiteren Handlungsspielraum als im Bereich der Grundrechtseinschränkung. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet ihm nur, dass er den Inhalt der Meinungen oder die Tendenz von Presseerzeugnissen zum Förderungskriterium macht. Staatliche Förderungen dürfen bestimmte Meinungen oder Tendenzen weder begünstigen noch benachteiligen. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG begründet im Förderungsbereich für den Staat vielmehr eine inhaltliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Dieser Neutralitätspflicht des Staates entspricht auf Seiten des Trägers der Pressefreiheit ein subjektives Abwehrrecht gegen die mit staatlichen Förderungsmaßnahmen etwa verbundenen inhaltslenkenden Wirkungen sowie ein Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb. Dagegen ist es dem Staat nicht von vornherein verwehrt, die Förderung an meinungsneutralen Kriterien auszurichten (so BVerfGE 80, 124, 134). Die Pressefreiheit ist für alle Presseveröffentlichungen gewährt. Der Begriff "Presse" ist weit und formal auszulegen; er kann nicht von einer - an welchen Maßstäben auch immer ausgerichteten - Bewertung des Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Die Pressefreiheit ist mithin nicht auf die "seriöse" Presse beschränkt (BVerfGE 66, 116, 134 m.w.Nw.). Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird allen Presseorganen grundsätzlich unabhängig von der Art und Weise ihrer Berichterstattung zuteil (BVerfGE 50, 234, 24).

Nach diesen Maßstäben, denen der erkennende Senat folgt, verbietet sich im vorliegenden Falle entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. vom 1.12.1992 - 7 B 170/92 -, NJW 1993, 675, 676) eine Auswahl des Publikationsorgans danach, ob es fachwissenschaftlichen Ansprüchen genügt oder nicht. Die Klägerin gehört zur Fachpresse, weil sie eine Fach(-)zeitschrift auf dem (Fach-)Gebiet des Rechts herausgibt. Auch § 4 Abs. 3 Justizverwaltungskostenordnung nennt als Antragsteller hinsichtlich der Übersendung zur Veröffentlichung begehrter gerichtlicher Entscheidungen unterschiedslos "Fachzeitschriften". Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit ist im Bereich der Fachpresse nicht meinungsneutral, weil nicht formal. Es bewertet vielmehr den Inhalt der Darstellung finanzgerichtlicher Entscheidungen, sei es in methodischer Hinsicht der Darstellung oder überhaupt hinsichtlich der Qualität der Darstellung. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist daher auch auf heftigen Widerspruch gestoßen (Huff, aaO). Nach ihm dürfe die Veröffentlichung von Entscheidungen überhaupt nicht davon abhängig gemacht werden, ob es sich um eine Fachzeitschrift oder eine Publikumszeitschrift handele. Dies stehe sowohl mit Art. 3 wie auch mit Art. 5 GG nicht in Einklang. Die Verfassungsbeschwerde der Klägerin gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist derzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig (Az. 1 BvR 1962/92).

Hinsichtlich der Frage der Gleichbehandlung in zeitlicher Hinsicht wird der Anspruch hierauf durch Art.3 Abs. 1 GG iVm Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls gedeckt. Denn die Frage des zeitlichen Vorsprungs spielt, worum insbesondere die Beigeladene besorgt ist, im publizistischen Wettbewerb, der nicht verzerrt werden soll, eine erhebliche Rolle. Der Gleichbegünstigungsgrundsatz, der die zeitliche Gleichbehandlung der Presse bei der Zuleitung amtlicher Bekanntmachungen von Behörden gebietet (vgl. Löffler/Rickert, Handbuch des Presserechts, 3. Aufl. 1994, S. 130 Rn. 3) ist in § 4 Abs. 4 Nieders. PrG geregelt und hat für die Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen, die amtliche Werke im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG darstellen, entsprechend zu gelten. Im übrigen müssen veröffentlichungsfähige Gerichtsentscheidungen allen Interessierten unter gleichen Bedingungen zur Veröffentlichung bereitstehen (Hoffmann-Riem, aaO, S. 637).

5. a) Der Anspruch der Klägerin ist auch erfüllbar. Der Beklagte hat die bei ihm tätigen Richter durch Verfügung vom 21. Oktober 1993 selbst angewiesen, veröffentlichungswürdige Entscheidungen anzuzeigen. Im Nachhinein lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass die der Beigeladenen von Richtern des Niedersächsischen Finanzgerichts zur Veröffentlichung in zugesandten Entscheidungen veröffentlichungswürdig sind. Dabei geht der Senat davon aus, dass die veröffentlichungswürdigen und veröffentlichten Entscheidungen auch die wesentlichen und bedeutsamen Entscheidungen des Nieders. Finanzgerichts sind. Wenn aber diese Entscheidungen von Richtern dieses Gerichts veröffentlicht werden, dann sind diese veröffentlichungswürdigen Entscheidungen auch von vornherein bestimmbar. Dass der Beklagte die Amtspflicht seiner Richter gegebenenfalls auch dienstrechtlich durchsetzen kann, ist zwar, soweit bekannt, noch bei keinem Gericht versucht worden. Das spricht aber nicht gegen die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Durchsetzung. Die Erfüllbarkeit des Anspruches der Klägerin hängt dabei auch nicht von der Mitverurteilung der Richter des Beklagten nach Beiladung ab, da sich die richterlichen Pflichten, wenn oft erst nach Auslegung, unmittelbar aus dem Gesetz selbst wie etwa aus § 42 DRiG i.V.m. §§ 4 Abs. 1 NdsRiG, 63 Satz 3 NBG ergeben.

Die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG steht nicht entgegen, da die rechtsprechende Tätigkeit beendet ist, wenn die gefällte Entscheidung zur Veröffentlichung ansteht (vgl. auch Kissel, Gerichtsinterne Demokratie, DRiZ 1995, S. 131). Urheberrechte der Richter gibt es nach § 5 Abs. 1 UrhG nicht, soweit es - wie hier - um unbearbeitete gerichtliche Entscheidungen geht. Wenn und soweit die Richter gewohnheitsrechtlich auf privatrechtlicher Grundlage veröffentlichen können, schließt dies ihre Mitwirkungspflicht bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen über ihre Gerichtsverwaltung nicht aus. Auch die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG, wenn und soweit sie bei der Bearbeitung von Gerichtsentscheidungen überhaupt greifen sollte, ist nicht berührt, weil es um die Mitwirkung der Richter bei der Veröffentlichung unbearbeiteter Gerichtsentscheidungen geht. Schließlich stehen auch nicht Rechte der Beigeladenen aus Art. 14 GG der Veröffentlichung unbearbeiteter Gerichtsentscheidungen durch die Gerichtsverwaltung entgegen. Die bisherige Veröffentlichungspraxis durch Richter der Beklagten auf privatrechtlicher Grundlage hat der Beigeladenen lediglich einen tatsächlichen Vorteil, eine bloße Chance eingeräumt.

b) Der Anspruch der Klägerin ist auch im Hinblick auf die zeitgleiche Übersendung erfüllbar. Tatsächliche Schwierigkeiten sind nicht ersichtlich, wenn die Richter ihrer Pflicht zur Anzeige der Veröffentlichungswürdigkeit ihrer Entscheidungen rechtzeitig nachkommen. Für die Erfüllbarkeit dieser Bedingung spricht § 4 Abs. 4 Nds. PrG analog, wonach der Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift von den Behörden verlangen kann, dass ihm deren amtliche Bekanntmachungen nicht später als seinen Mitbewerbern zur Verwendung zugeleitet werden. Zwischen amtlichen Bekanntmachungen und amtlichen Werken wie Gerichtsentscheidungen dürfte in dieser Beziehung kein wesentlicher Unterschied bestehen, der eine Differenzierung rechtfertigen könnte.

c) Der Anspruch der Klägerin ist schließlich bisher nicht vollständig erfüllt worden. So hat die Klägerin auf gerichtliche Nachfrage mit Schriftsatz vom 12. Dezember 1995 und in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, dass nach Durchsicht des Jahrgangs 1995 von darin 68 Entscheidungen des Nieders. Finanzgerichts enthalten seien, wovon sie nur 33 erhalten habe. Dabei wisse sie nicht, ob ihr diese Entscheidungen zeitgleich mit der Übersendung an zugesandt worden sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO zuzulassen, weil die Sache im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängige Rechtssache zum Aktenzeichen 1 BvR 1962/92 grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 1992 - BVerwG 7 B 170.92 - abweicht.



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